Bischof Gerber: Priester müssen Mindset lebenslang hinterfragen

Was müssen die Priester der Zukunft können? Und was jene der Gegenwart? Die Kirche in Deutschland arbeitet an einer neuen Rahmenordnung für die Priesterausbildung. Der Fuldaer Bischof Michael Gerber ist bei der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) Vorsitzender der Kommission für Geistliche Berufe und Kirchliche Dienste. Im Interview spricht er über wichtige Ausbildungsinhalte und das Priester-sein in einer säkularen Gesellschaft.
Frage: Herr Bischof Gerber, einst war geplant, die Priesterausbildung nur noch auf drei Standorte deutschlandweit zu verteilen. Damals gab es heftige Kritik. Wie ist jetzt der Stand?
Gerber: Die Frage der Standorte hat gerade keine Priorität. Bei der neuen Rahmenordnung für die Priesterausbildung, die im ersten Halbjahr erscheinen soll, wollen wir in erster Linie die wesentlichen Ausbildungsziele und die Dynamiken beschreiben, die in der Ausbildung angestoßen werden sollen. Daraus ergibt sich die Frage, in welchem Setting ein Kandidat am besten in diese Dynamiken wachsen und reifen kann. Auf dieser Grundlage entscheidet sich dann auch die Frage nach den Standorten. Manche Diözesen bilden bereits an unterschiedlichen Standorten aus. Wir müssen noch stärker drauf schauen, was der Dynamik des Einzelnen hilft.
Frage: Welche Ziele halten Sie in der Ausbildung für zentral?
Gerber: Das sind die klassischen Ziele, die sich auch in den einschlägigen universalkirchlichen Dokumenten seit den 1990er Jahren finden: Grundlegend ist einerseits die menschliche Reife. Hat jemand ein realistisches Bild von sich und seiner Umwelt? Ist er in der Lage, Beziehungen so zu gestalten, dass sie sein Gegenüber und ihn selbst in eine größere Freiheit führen? Das ist die Grundlage, um Seelsorge zu betreiben. Andererseits ist da die theologische Bildung. Kann jemand theologische Inhalte auf der Höhe der heutigen Zeit reflektieren und ist jemand in der Lage, mit Andersdenkenden in einer pluralen Gesellschaft in einen Diskurs zu treten und die Theologie dort einzubringen? Dazu kommt die geistliche Tiefe, ob jemand einen persönlichen Zugang zu einer Christusbeziehung gefunden hat und auch als Diözesanpriester ein geistliches Leben gestalten kann. Denn da ist er vor Ort in der Regel nicht in eine geistliche Gemeinschaft eingebunden, sondern wohnt allein. Schließlich kommt eine pastorale Befähigung dazu, also Kenntnisse von menschlichen Dynamiken, Einzelne wie Gruppen begleiten zu können und in Leitungsverantwortung eine Pfarrei weiterzuentwickeln. All das muss angestoßen sein, um lebenslanges Wachstum zu ermöglichen. Man ist nie fertig, sondern macht sein Leben lang neue Erfahrungen und muss diese integrieren. Hier muss das eigene Mindset ein Leben lang kritisch hinterfragt werden.
Frage: Ist für diesen Ansatz das Priesterseminarsystem des 19. Jahrhunderts – trotz aller Aufbrüche – hilfreich? Denn der Welt ausgesetzt sind die jungen Männer ja kaum.
Gerber: Wir sind weit weg von einem Priesterseminar des 19. Jahrhunderts. In den meisten Seminaren gibt es eine kooperative Ausbildung. Es lernen dort also sowohl Menschen aus verschiedenen Diözesen sowie aus verschiedenen Disziplinen zusammen. Die Priesteramtskandidaten sind also auch immer mit künftigen Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten umgeben. Dadurch wird eine besondere wechselseitige Anfrage möglich. Wenn beispielsweise in der Predigtausbildung in meinem Kurs nicht nur die Seminaristen des eigenen Seminars sitzen, sondern auch andere Frauen und Männer, kommt man anders ins Nachdenken, was denn die eigene Botschaft ist und was man zu sagen hat. Dadurch wird authentisch fühlbar, zu welchen Menschen man eigentlich spricht.

"Wir sind weit weg von einem Priesterseminar des 19. Jahrhunderts", sagt Michael Gerber.
Frage: Da spielt auch die Frage des Wohnorts hinein.
Gerber: Schon seit Jahrzehnten wohnen Seminaristen nicht mehr ausschließlich im Seminar. Es gibt die Externitas, also die Freisemester, in denen die Priesteramtskandidaten woanders wohnen und studieren. Als Regens habe ich die Möglichkeit eröffnet, für eine Zeit in einer Wohngemeinschaft zu leben, etwa in einem Pfarrhaus in einem prekären Stadtteil oder einer Jugendhilfeeinrichtung. Die Seminaristen arbeiten dort mit und erweitern ihren Horizont. Zuletzt besteht auch die Möglichkeit, der Priesterausbildung noch etwas voranzustellen. Ich habe auch jemanden, dem noch persönliche Klarheit fehlte, vor dem Eintritt ins Priesterseminar nahegelegt, bei einem geeigneten Praktikum in einer sozialen Einrichtung wichtige Erfahrungen zu machen, um zu reifen. Erst danach ist er ins Seminar gekommen. All dies ist nach der neuen ratio nationalis angezeigt. Denn es hilft zu unterscheiden: Was ist unser Ziel und was sind unsere Mittel dafür?
Frage: Für Aufsehen sorgte die ratio nationalis der italienischen Bischofskonferenz, vor allem durch deren Umgang mit Homosexuellen. Wie soll das in Deutschland aussehen?
Gerber: Wir müssen schon in den Einstellungsgesprächen thematisieren, dass es im Seminar Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung gibt. Das müssen wir tun, damit niemand seine eigene Sexualität abspaltet nach dem Motto: Was nicht sein darf, gibt es nicht. Denn das tut weder dem Menschen noch der Pastoral gut. Meine Devise ist: Findet ein Mann im Laufe der Priesterausbildung zu einer Integration der eigenen Sexualität, sodass er zu einer ehelosen Lebensform Ja sagen kann? Kann jemand dergestalt reifen, dass Seelsorge in einer inneren Freiheit geschieht und nicht sexuell konnotiert wird? Das ist auch Missbrauchsprävention, die gilt für jede Form der sexuellen Orientierung. Wir brauchen ein Klima, dass der Einzelne sich in geschützten Räumen mit der eigenen Sexualität auseinandersetzen kann und sie in seine Persönlichkeit integriert. Da war ich mir auch im Kontakt mit römischen Stellen innerhalb der Arbeit an der ratio sehr einig.
„Das geistliche Leben darf nicht vom weltlichen Erleben getrennt werden.“
Frage: Daneben gibt es laut aktueller Forschung das Problem, dass viele junge Priester Liturgen sein wollen, aber im Berufsalltag dann am Ende doch auch Manager sein müssen. Wie kann die Ausbildung darauf reagieren?
Gerber: Das geistliche Leben darf nicht vom weltlichen Erleben getrennt werden. Etwa durch den Aufenthalt in sozialen Einrichtungen können die jungen Männer mit herausfordernden Situationen konfrontiert werden. Die Erfahrungen daraus können dann ins geistliche Leben einfließen. Alle großen geistlichen Autoren der letzten 2.000 Jahre sagen uns, dass geistliches Leben nicht im luftleeren Raum, sondern in der Welt stattfindet. Zu dieser Spiritualität wollen wir hinführen. Nicht umsonst bilden wir Weltpriester aus. Dabei geht es darum, Kirche in der Welt zu sein und zu gestalten. Wir entlasten die Priester mit Verwaltungsbeauftragten. Aber es geht darum, im Jetzt und Hier Kirche zu sein, auch angesichts aller globalen Krisen. Da muss die Kirche aus dem Glauben die Kraft schöpfen, Menschen seelsorglich zu begleiten, damit sie schöpferisch-konstruktiv die Wirklichkeit mitgestalten können. Das ist eine wichtige seelsorgliche Aufgabe. Dem müssen sich Priester stellen und dürfen sich nicht in ein bestimmtes Milieu zurückziehen.
Frage: Die Menschen im Hier und Jetzt werden aber mit jedem Tag säkularer. Muss sich da die Ausbildung noch mehr drauf einstellen?
Gerber: Wir müssen viel aufmerksamer dafür sein, welche Formen Menschen heute mit dem Glauben in Berührung kommen lassen. Was diesen Glauben für die Menschen zu einer Ressource werden lässt, um die Herausforderungen des Lebens zu gestalten. Jesus spricht immer in Wachstumsgleichnissen, weil er reales Wachstum und dessen Bedingungen beobachtet hat. Daraus können wir lernen, dass auch wir reales Glaubenswachstum beobachten und daraus unsere Schlüsse ziehen müssen. Diese Erfahrungen können Einfluss auf Strukturen wie auf die Pastoral an verschiedenen Orten haben. Welche Bedingungen müssen wir für Wachstum schaffen, wo muss auf ein sich wandelndes Klima eingegangen werden? Das gilt auch für die Übersetzung des Glaubens in die Welt. Dazu müssen wir auch bewährte Sozialformen wie jene in der klassischen Pfarrgemeinde kritisch hinterfragen und gegebenenfalls neu profilieren.