Impfung statt Gottesdienst: Eine Kirche wird zur Arztpraxis
Die Kirche St. Michael in Potzbach im Donnersbergkreis wurde im Februar 2024 profaniert. Daraufhin gab es eine öffentliche Ausschreibung, bei der sich interessierte Käufer beteiligen konnten, indem sie einen Vorschlag zur Nutzung unterbreiteten. Einer von ihnen waren Lukas Schur und seine Frau Lara. Der 35-jährige Arzt in der Facharztausbildung hatte die Idee, die Kirche in eine Arztpraxis umzubauen. Wie er auf diese Idee kam, erzählt er im Interview.
Frage: Welche Beziehung haben Sie zur Potzbacher Kirche?
Schur: Ich bin in Potzbach aufgewachsen und habe hier in dieser Kirche den einen oder anderen Gottesdienst gefeiert und das ein oder andere Dorffest rund um diese Kirche besucht. Ich selbst komme aus einer christlichen Familie. Wir sind protestantisch und meine Mutter ist aktuell Presbyterin und ich war im Presbyterium im Nachbarort in Winnweiler. Dort ist die evangelische Kirche ansässig, zu der wir einen Bezug haben. Das Thema Kirche ist mir also nicht fremd.
Frage: Wie kamen Sie auf die Idee, in der Kirche eine Arztpraxis zu planen?
Schur: Da gibt es zwei Gründe. Die Kirche hat einen sehr schönen Nebeneffekt, denn hinter ihr befindet sich ein wunderschönes Grundstück. Jedes Mal, wenn ich mit meiner Frau, die ich seit über zwölf Jahren kenne, daran vorbeigefahren bin, haben wir gesagt: Die müsste man kaufen. Vor ungefähr vier Jahren habe ich den Pfarrer mal angerufen, ob er wüsste, ob die Kirche perspektivisch zum Verkauf stünde. Und da hat er mir angekündigt, dass es wahrscheinlich sei, es aber noch keinen konkreten Zeitplan gebe. Er versprach mir, sich zu melden. Und im vergangenen Frühjahr hat er mich dann angerufen und gesagt, dass die Kirche jetzt zur Ausschreibung steht. Darauf habe ich mir überlegt, weil ich mittlerweile das Medizinstudium abgeschlossen habe und mich in der Facharztausbildung, dass ich da gerne perspektivisch eine Arztpraxis hineinbauen würde.
Frage: Wie haben die Bewohner des Dorfes auf die Idee reagiert?
Schur: Die allermeisten finden das eine tolle Idee und sind froh, dass ein bekanntes Gesicht der Kirche neues Leben einhaucht. Sie sind erleichtert, dass ich direkt zu erkennen gegeben habe, dass ich das äußere Aussehen der Kirche bewahren will.

Lukas Schur und seine Frau Lara vor der Kirche in Potzbach.
Frage: Wie haben die Verantwortlichen der Kirchengemeinde auf ihre Idee reagiert?
Schur: Es war eine öffentliche Ausschreibung im blinden Bietverfahren. Ich musste ohne Gutachten ein Gebot abgeben und einen Vorschlag für eine mögliche Kirchennutzung unterbreiten. Da kann man sicher kritisch anmerken, dass damit ein hohes wirtschaftliches Risiko für den Bietenden einhergeht. Diese Vorschläge aus Betrag und Nutzungsidee wurden dann durch die Kirchengemeinde gesichtet und sie haben sich dann für uns entschieden. Das hat uns sehr gefreut.
Frage: Wollen Sie in der fertigen Arztpraxis Erinnerungen an die ursprüngliche Nutzung der Kirche miteinfließen lassen?
Schur: Erstens möchte ich versuchen die Fassade als Gesamteindruck zu erhalten. Das zweite ist, dass ich über den Kirchturm, der neben dem Gebäude steht und der mit der Profanierung stillgelegt wurde, einen Pachtvertrag mit der Ortsgemeinde geschlossen habe, denn ich selbst darf nicht die Glocke läuten. Aber so konnten wir den Potzbachern ihr vertrautes Glockengeläut zurückgeben, indem wir der Ortsgemeinde durch den Pachtvertrag das Läuten erlaubt habe.
Frage: Wie sieht es mit dem Inventar aus?
Schur: Markant ist die Kupfertür bzw. kupferbeschlagene Holztür von außen. Das ist ein Element, was ich sehr gerne erhalten möchte, sofern es energetisch funktioniert. Zum anderen sind Kirchenbänke mitverkauft worden, das heißt, sie stehen noch in der Kirche und die würde ich gerne im Wartebereich wiederverwenden. Die Kirchenfenster waren leider nicht Teil des Kaufvertrags und daher werden die noch ausgebaut.
Frage: Wie gehen Sie bei der Planung mit Herausforderungen um, die ein solches Gebäude mit sich bringt?
Schur: Ein grundsätzliches Problem ist die Dürftigkeit an Informationen: Ich bin zum Beispiel davon ausgegangen, dass eine Kirche auch ans Abwasser angeschlossen ist. Da liegt auch ein Rohr, aber es stellte sich dann heraus, dass es nicht an die Kanalisation angeschlossen ist, sondern blind endet. Es entstehen also immer wieder Überraschungen, die mir die ansässigen Potzbacher besser erklären können als Mitarbeiter des Bistums Speyer. Insgesamt sehe ich die Kirche als sehr geeignet für diese Nutzung an, denn die Kirche ist eine schlichte Kirche aus den 1970er Jahren und hat zum Beispiel für eine Kirche eine niedrige Deckenhöhe von ungefähr drei Metern, die ich auch gerne beibehalten möchte, weil es mir gut gefällt. Ich habe mir eine Architektin gesucht, die auf dieses Konzept Lust hat und die mit mir gemeinsam die Arztpraxis und das dahinter liegende Wohnhaus realisieren möchte.

Bald ist hier eine Arztpraxis: Das Innere der Kirche in Potzbach.
Frage: Haben Sie auch Hemmungen beim Umbau, wenn es etwa um den Umgang mit dem Altarraum geht?
Schur: Da bin ich tatsächlich ein relativ rational denkender Mensch und muss erstmal die zweckmäßige Verwendung in den Vordergrund stellen. Ich versuche, das emotionslos zu sehen. Was mir viel mehr Sorge bereitet, sind die Dienstbarkeiten, die die katholische Kirche auf jeden Verkauf eintragen lässt. Der Tenor dieser Dienstbarkeiten ist, dass in einer ehemaligen Kirche nichts gemacht werden darf, was grundsätzlich dem Ansinnen oder dem Antlitz der katholischen Kirche Schaden zufügt, zum Beispiel Prostitutions- oder Erotikgewerbe, was ich unterstütze und sehr gut nachvollziehen kann. Dann steht aber auch drin, dass in der Kirche nicht über Abtreibung gesprochen, beraten werden oder diese durchgeführt werden darf, was in Bezug auf eine Arztpraxis eine relativ große Grauzone ist. Ich konnte mich mit dem Bistum und dem Pfarrer inhaltlich annähern, aber die katholische Kirche bestand auf diesen Passus, den ich als Hausarzt relativ schwierig finde, weil ich meine Aufgabe darin sehe, über alles sprechen zu können.
Frage: Erwarten Sie in Bezug auf die Patienten Verunsicherung, dass die Arztpraxis sich in einer ehemaligen Kirche befindet?
Schur: Ich sehe da kein Problem, denn schließlich ist entscheidend, was drin ist. Am ehesten werden die, die schon mal in der Kirche drin waren, ein solches Gefühl haben. Sie haben positive Erinnerungen an die Kirche. Wer extern zum ersten Mal in die Hausarztpraxis kommt, kommt sicherlich eher zum Arzt und nicht zum Gebäude.
Frage: Dass Kirchen aufgegeben werden, kommt aktuell immer häufiger vor. Welche anderen Ideen hätten Sie zur kreativen oder gemeinnützigen Nutzung von profanierten Kirchen?
Schur: Ich fände alles, was dem Gemeinwohl guttut, einen wahnsinnigen Gewinn. Schließlich ist nicht der Mensch für die Kirche da, sondern die Kirche für den Menschen. Wenn die Kirche nicht mehr als Gottesdienstort für die Menschen dient, dann könnte er in anderer Form den Menschen etwas zugutekommen lassen. Und da sehe ich die Arztpraxis als eine Möglichkeit. Ein Gemeindetreff oder ein Kindergarten wären andere Ideen.