"Die Kirche befindet sich weiterhin mitten in einem epochalen Umbruch"

Beinert: Noch zu früh für umfassende Bilanz des Benedikt-Pontifikats

Veröffentlicht am 24.03.2025 um 12:51 Uhr – Lesedauer: 5 MINUTEN

Freiburg ‐ Vor 20 Jahren wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt, acht Jahre später trat er spektakulär zurück. Der Theologe und Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert hält die Zeit für eine umfassende Bilanz des Ratzinger-Pontifikats aber noch nicht für gekommen.

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20 Jahre nach der Wahl von Joseph Ratzinger zum Papst und 12 Jahre nach dessen Rücktritt sieht der Theologe und frühere Ratzinger-Schüler Wolfgang Beinert die Zeit für eine umfassende Bilanz des Pontifikats Benedikts XVI. (2005-2013) noch nicht gekommen. "Was ist geblieben von diesem Pontifikat? Ehrlicherweise muss die erste Antwort lauten: Das lässt sich nach zwanzig Jahren nicht mit Entschiedenheit und Sicherheit sagen. Die Kirche befindet sich weiterhin mitten in einem epochalen Umbruch", schreibt Beinert in einem Beitrag für die "Herder-Korrespondenz" (April-Ausgabe). Es sei noch nicht deutlich, ob Benedikt XVI. "der letzte Vertreter eines antimodernistischen Papstverständnisses" gewesen sei oder die römischen Bischöfe dies auch künftig weitertrügen.

Möglicherweise habe Benedikt XVI. durch seinen Amtsverzicht jedoch ein neues Kapitel in der Geschichte der Petrusnachfolger aufgeschlagen, so Beinert weiter. "Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet dieser Garant der Tradition das Amt nachhaltig verändert haben könnte. Es ist entmystifiziert, entzaubert, menschlicher geworden." Dass der Papst sich ganz und gar zur Gemeinde des menschgewordenen Gottes rechne, dass er müde werden dürfe, dass er sich als überfordert zeigen dürfe, "erscheint nun nicht nur als kanonistisch möglich, sondern zudem als gut, als nützlich, als hilfreich für die Kirche".

Ratzinger ist "letzten Endes an sich selbst gescheitert"

Zugleich betont Beinert, dass man Benedikt XVI. heute schon zu den prägenden Gestalten der Papstgeschichte rechnen dürfe – "mit allen seinen Starken und seinen Schwächen". Mit einiger Sicherheit lasse sich bereits sagen, dass er letzten Endes an sich selbst gescheitert sei. "Er galt als 'Mozart der Theologie auf dem Papstthron', aber gerade darin bestand die Tragik seines Lebens. Sein Denken und seine Handlungsoptionen machten sich an einem Welt- und Kirchenbild fest, das statisch war", so der 92-jährige Theologe, der bis 1998 Dogmatik in Regensburg gelehrt hat. Die Energie Ratzingers habe sich auf die Defensive beschränkt.

Zu Benedikts Verdiensten als Papst zählt Beinert – "wenn auch mit gewissen Einschränkungen" – dessen Vorgehen gegen den spirituellen und sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch zahlreiche Kleriker in aller Welt. "Missbrauch war schon vorher im Vatikan bekannt, man wusste von eklatanten Verbrechen selbst bei Papstvertrauten – aber die Abwehrmaßnahmen waren lasch, nachlässig, voller Unlust gewesen." Vertuschung, nicht Aufarbeitung habe die Parole gelautet. Benedikt sei der erste Kirchenführer in Rom gewesen, der mit aller Härte, Konsistenz und Entschiedenheit dagegen vorgegangen sei. "Freilich zeigte sich auch ziemlich bald, dass er als Erzbischof von München genau das alles hatte vergessen lassen. Noch in den allerletzten Lebensjahren verfolgten ihn die Unterlassungssünden jener Zeit", so Beinert. (stz)