Neues Buch zur Religion in der Gesellschaft

Kardinal Marx: Christentum ist kein Bollwerk gegen die Welt

Veröffentlicht am 26.03.2025 um 00:01 Uhr – Von Barbara Just (KNA) – Lesedauer: 6 MINUTEN

München ‐ 2021 bot Kardinal Marx dem Papst seinen Rücktritt an, um Mitverantwortung für die "Katastrophe des sexuellen Missbrauchs" zu übernehmen. Franziskus lehnte ab. In der Folge entstand nun auch dieses Buch über Kirche und Welt.

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Ins Auge springt einem der Titel "Kult" auf alle Fälle. Ob das neue Buch des Münchner Kardinals Reinhard Marx im Kösel-Verlag auch ein solcher wird? Mal abwarten. Mit Glaube, Kirche und Freiheit hat sich der Kirchenmann schon auseinandergesetzt. Nun legt er ein 176-Seiten-Essay vor, das als "Weckruf" verstanden werden soll. Denn mit dem Verschwinden der Religionen und einer nachlassenden Kraft des Christentums vollziehe sich ein nicht mehr zu übersehender Einschnitt, notiert er – persönliches Nachdenken und Widerspruch von Leserinnen und Lesern ausdrücklich erwünscht.

Der gebürtige Westfale wird im September 72 Jahre. Seit 1979 ist er Priester, seit 1995 erst Weihbischof in Paderborn, dann Bischof von Trier und seit 2007 Erzbischof von München und Freising. 2010 gab's den Kardinalshut obendrauf. Zeit für eine Bilanz, in einer Phase, in der die Welt aus den Fugen gerät und Selbstverständlichkeiten über Bord geworfen werden. Dabei sah es nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/1990 so aus, als beginne eine neue Epoche, "eine bessere Zeit für Deutschland und für die gesamte Welt", so der Kardinal.

Finanz- und Wirtschaftskrisen, Klimawandel und Artensterben, Pandemie, Kriege, Terror und wachsender Rechtspopulismus haben längst für Ernüchterung gesorgt. Wo bleibt da der Beitrag der Religionen? Statt wie erhofft zum Weltfrieden, zu einem Weltethos beizutragen, "hat die Tendenz zu einer stärker fundamentalistischen Grundorientierung zugenommen". Das gehe Hand in Hand mit Rechtspopulismus und Nationalismus. Marx missfällt, wenn versucht wird, Religionen politisch zu instrumentalisieren. Diese sollten sich fragen, wie ihr Kern vereinbar sei mit Ideen von Freiheit, Toleranz und Anerkennung des jeweils anderen.

Der "Kult" als Herzelement

Das Herzelement des Christentums sei der "Kult", so der Kardinal. Ohne die Feier der Eucharistie könne die Kirche nicht bestehen. Hier sei die "Kraftquelle und der Ort der Erneuerung der Welt im Geiste Jesu". Ein Gottesdienst müsse trösten und befreien sowie zum Engagement ermutigen. Dort müsse das Leben gefeiert und das ewige Leben bezeugt werden. Das Christentum sei kein Bollwerk gegen die Welt. Mit ihm gingen Veränderung und Verwandlung einher, es gehe um den "geweiteten Blick auf einen neuen Himmel und eine neue Erde".

Selbstkritisch bekennt Marx: "Manche Auffassungen, die ich als Seminarist und junger Priester noch für eindeutig und klar hielt, sehe ich nach Jahrzehnten heute anders." Dies gelte besonders für die "bittere Katastrophe von Gewalt und sexuellem Missbrauch durch Amtsträger der Kirche". Das Leid von Betroffenen erschüttere ihn zutiefst und habe seinen Blick auf die Kirche verändert.

„Wir haben als Kirche dazu beigetragen, dass Menschen nicht mehr vertrauen können, und ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Liebe verlieren.“

—  Zitat: Reinhard Marx

2021 bot er Papst Franziskus seinen Amtsverzicht an, den dieser aber nicht akzeptierte. "Ich habe das als Herausforderung angenommen, mich noch stärker einer synodalen Kirche zu verpflichten und gemeinsam mit anderen Wege der Erneuerung zu beschreiten", schreibt Marx. Auch das Nachdenken über die Bedeutung des Kultes für ein gelebtes Christentum, das sich dem Menschen zuwende, gehöre dazu. Seine Erkenntnis: "Wir haben als Kirche dazu beigetragen, dass Menschen nicht mehr vertrauen können, und ihren Glauben, ihre Hoffnung und ihre Liebe verlieren. Das dürfen wir nie wieder zulassen."

Natürlich weiß der Kardinal um die Kirchenaustritte und die fortschreitende Säkularisierung. Doch er hält nichts davon, dass Kirche künftig gesellschaftlich-politisch-soziale Fragen ausklammern solle. Dann nämlich werde Kult verstanden als Rückzug. Es gehe dann nur noch um die Verteidigung lieb gewordener Traditionen oder die Sicherung der eigenen Machtposition, aber nicht um die Freisetzung der Kraft des Evangeliums. Dieses müsse im Horizont der Gegenwart neu gelesen werden.

Reformfragen nicht auf lange Bank schieben

Die Fragen, die im deutschen Reformprojekt Synodaler Weg aufgerufen worden seien, sollten nicht auf die lange Bank geschoben werden, rät Marx. "Als Kirche haben wir keine Zukunft, wenn wir uns nicht wirklich in Frage stellen lassen." Er sei kein Pessimist, sondern überzeugt, dass das Christentum die Religion der Zukunft sein könne und die katholische Kirche das Aushängeschild des christlichen Glaubens auf universaler Ebene. "Aber das wird ein längerer Weg und erfordert von den Verantwortlichen in der Kirche gemeinsam mit den Gläubigen, das Evangelium in seiner Tiefe und Lebensdienlichkeit neu zu entdecken und zu leben."

Zum Christentum gehöre die Freiheit, so der Kardinal. Christinnen und Christen könnten für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft daher eine wichtige Rolle spielen. Ihre im Glauben als Geschenk erfahrene Freiheit und Unabhängigkeit sei stärker als sich ändernde ökonomische und politische Moden.

"Ich will, dass das Christentum und die Kirche auf der Höhe der Zeit präsent sind, im Dialog und anschlussfähig bleiben", hält Marx fest. Beide müssten mit der Botschaft vom Reich Gottes beunruhigen und Zeichen setzen. Wirklich etwas sagen zu den Nöten der Zeit. "Mit Mut, Phantasie und Hoffnung wird das Christentum bestehen und die Kirche ihren Weg in die Zukunft gehen", zeigt sich der Kardinal optimistisch. Noch sei er nicht zu Ende.

Von Barbara Just (KNA)