Standpunkt

Nein zum Pflichtjahr nach der Schule

Veröffentlicht am 28.04.2025 um 00:01 Uhr – Von Simon Linder – Lesedauer: 3 MINUTEN

Bonn  ‐ Simon Linder kritisiert die Debatte um die Einführung eines neuen Pflichtdienstes. Die Diskussion werde auf dem Rücken der jungen Leute geführt, die ohnehin nicht ausreichend im Fokus der Politik stünden.

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Junge Menschen stehen nicht ausreichend im Fokus der Politik: Schulen sind marode, die Rente ist mehr als unsicher und die Klimakrise eskaliert. Trotzdem setzen sich jährlich fast 100.000 von ihnen in einem Freiwilligendienst für die Gesellschaft ein, viele auch im kirchlichen Bereich: im Krankenhaus, im Kindergarten, in der Pastoral. Nicht nur die Gesellschaft hat etwas davon, sondern auch sie selbst: Sie entdecken Talente, die in der Schule nicht gefragt waren und entwickeln sich persönlich weiter. Die Kirche steht gemeinsam mit den anderen Trägern in der Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass diese Chancen erhalten bleiben.

In letzter Zeit wurde vermehrt darüber diskutiert, diesem Dienst eine entscheidende Dimension zu nehmen: seine Freiwilligkeit – und ihn in ein Pflichtjahr umzuwandeln. Häufig wird dies kombiniert mit der Forderung nach der Wiedereinsetzung der Wehrpflicht. Dass im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht, dass der "neue attraktive Wehrdienst zunächst auf Freiwilligkeit basiert", bedeutet: Finden nur wenige junge Menschen diesen so attraktiv wie die Koalitionäre selbst, könnte er zur Pflicht werden.

Zunächst zur Wehrpflicht: Wer der Überzeugung ist, dass wir wegen eines möglichen Angriffs Russlands auf NATO-Gebiet bis Ende des Jahrzehnts gesamtgesellschaftlich wehrfähig sein müssen, darf sich nicht mit einer Wehrpflicht für Schulabgänger begnügen, sondern muss alle, die dann in einen Krieg ziehen müssten, eine Wehrausbildung absolvieren lassen. Es ist unfair, diese Lasten auf die heute jungen Menschen abzuwälzen und sich selbst davon auszunehmen.

Und zum allgemeinen Pflichtdienst: Politiker und Politikerinnen, die sich in den vergangenen Jahren nicht für eine Stärkung der Freiwilligendienste eingesetzt haben (etwa für ein kostenloses ÖPNV-Ticket oder für eine angemessene Bezahlung, damit auch junge Menschen aus finanziell schwächeren Familien einen Freiwilligendienst absolvieren können), nun aber einen Pflichtdienst fordern, bedienen nur die Stimmung derjenigen, die sich gern über "diese jungen Leute" beklagen.

Von Simon Linder

Der Autor

Simon Linder arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Universität Tübingen. Er ist promovierter Katholischer Theologe und hat einen Studienabschluss in Allgemeiner Rhetorik. Aktuell forscht er zum Thema "Assistierter Suizid".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.