Martin Stuflesser über die Bedeutung der Liturgie für die Ökumene

Die Einheit aller Christen wiederherstellen

Veröffentlicht am 02.09.2015 um 14:40 Uhr – Von Julia-Maria Lauer – Lesedauer: 
Liturgie

Bonn ‐ Die Vereinigung Societas Liturgica setzt sich für den ökumenische Dialog im Bereich der Liturgie ein. Im Interview spricht ihr neuer Vorsitzender Martin Stuflesser über den Begriff des Sakraments und erklärt, was für ihn eine gute Liturgie ausmacht.

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Frage: Herr Stuflesser, Sie sind der neue Präsident der Societas Liturgica. Was ist das eigentlich?

Stuflesser: Die Societas ist eine internationale Vereinigung von Liturgiewissenschaftlern, die 1967 in Driebergen in den Niederlanden gegründet wurde. Nachdem das Zweite Vatikanische Konzil mit seinem Ökumenismusdekret "Unitatis redintegratio" den Dialog mit den anderen christlichen Kirchen befördert hat, versucht die Societas diesen Impuls auf dem Gebiet der Liturgiewissenschaft fruchtbar zu machen. So kommen Fachwissenschaftler aus allen christlichen Konfessionen alle zwei Jahre zu großen Kongressen zusammen. Dabei stehen der interkonfessionelle Austausch und die Feier des Glaubens im Vordergrund. Denn als Liturgiewissenschaftlern ist es uns besonders wichtig, dass wir auch zusammen beten und Gottesdienst feiern. Das soll in den verschiedenen christlichen Traditionen geschehen, die in unserer Vereinigung repräsentiert werden.

Frage: Welchen Stellenwert hat die Liturgie in den verschiedenen Konfessionen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil?

Stuflesser: Erstaunlicherweise nehmen wir als Katholiken teilweise sehr wenig wahr, was es in anderen Bereichen an Neuerungen gibt. Um ein Beispiel zu nennen: Die liturgische Erneuerung des Zweiten Vatikanischen Konzils hat nicht nur innerhalb der Katholischen Kirche zu einer Reform der Liturgie geführt, sondern auch in vielen anderen christlichen Konfessionen. Denken Sie etwa an die Leseordnung oder daran, dass einige evangelische Traditionen mittlerweile Eucharistische Hochgebete in ihren Gottesdienstbüchern stehen haben und nicht mehr nur die Einsetzungsworte. Man hat sich in den letzten 50 Jahren gerade auf dem Gebiet der Liturgie einander stark angenähert. Das ist sicher eine Frucht dieses sehr intensiven Austausches über Liturgie und über ihren theologischen Sinngehalt.

Porträt eines dunkelhaarigen Mannes.
Bild: ©Privat

Martin Stuflesser ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Julius Maximilians-Universität in Würzburg. Die Ökumene ist ihm ein besonderes Anliegen.

Frage: In der katholischen Kirche steht die Eucharistie im Mittelpunkt der Liturgie. In den protestantischen Kirchen gibt es davon stark abweichende Vorstellungen. Erhoffen Sie sich mit Ihrer Arbeit auch hier eine Annäherung?

Stuflesser: Ich glaube, dass sich zum Verständnis der Eucharistie bereits große Annäherungen ergeben haben. Natürlich nehmen wir als Liturgiewissenschaftler die Forschung der systematischen Theologie zur Kenntnis. Interessant ist hier beispielsweise die Lima-Erklärung von 1982, die Übereinstimmungen im Verständnis von Taufe, Liturgie und Amt verschiedener Konfessionen aufzeigt. Aber in der Societas diskutieren wir viel mehr über die Feier der Liturgie selbst, um daraus eine Theologie der Liturgie zu entwickeln. Während unserer Kongresse feiern wir zum Beispiel immer eine Eucharistiefeier im Ritus des jeweils amtierenden Präsidenten. Gerade diese eine Kongress-Eucharistie in der Kongresswoche setzt noch einmal einen ganz besonderen Fokus auf das Sakrament der Eucharistie und lässt gleichzeitig sehr schmerzlich die Trennung beim Abendmahl bewusst werden. Es geht hier also nicht darum, Interkommunion zu praktizieren, sondern darum - soweit uns dies möglich ist - bewusst in einer anderen Tradition mitfeiern. So nutzen wir etwa die Möglichkeit des sogenannten Kanzeltausches: Bei unserem Kongress in Québec hat daher ein katholischer Priester im anglikanischen Abendmahlsgottesdienst gepredigt. Dies ist nach dem Ökumenischen Direktorium des Vatikans ausdrücklich erlaubt. Wir versuchen also, in der Feier das auszuloten, was geht. Es ist noch ein langer Weg, aber wir kommen voran.

Frage: Also bewegt sich etwas?

Stuflesser: Auf alle Fälle. Wir gehen immer von den konkreten liturgischen Grundvollzügen aus und schauen nach den konfessionellen Gemeinsamkeiten, von denen es tatsächlich viele gibt. So werden die Sakramente immer von einem deutenden Wort begleitet. Es reicht nicht, einen Menschen mit Wasser zu übergießen, sondern man muss dazu sagen "Ich taufe dich im Namen des Vater und des Sohnes und des Heiligen Geistes". Da diese Feiergestalt und das darin zum Ausdruck kommende Verständnis von Taufe vielen christlichen Kirchen gemein ist, können wir die Taufe wechselseitig anerkennen. Beim Hochgebet kann man festhalten, dass es allen Konfessionen nicht nur darum geht, die Einsetzungsworte zu rezitieren; diese sind vielmehr Teil eines großen Bitt- und Dankgebetes im Kern der Eucharistiefeier, in das die Einsetzungsworte eingebettet sind. Diese Worte werden vom Vorsteher, also einem ordinierten Amtsträger, im Auftrag der Gemeinde gesprochen. Wenn wir uns darüber einig sind, sind wir bereits einen großen Schritt weiter.  

Linktipp: Dossier Zweites Vatikanisches Konzil

Vieles, was heute in der Kirche als selbstverständlich gilt, ist eine Folge von fast revolutionären Beschlüssen des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Katholisch.de blickt auf die wegweisende Bischofsversammlung und ihre wichtigsten Beschlüsse zurück.

Frage: Im nächsten Kongress 2017 wird es um die Sakramente gehen. Kann es eine ökumenische Definition der Sakramente geben?

Stuflesser: Das ist eine spannende Frage. Zum einen gibt es ja mit dem schon erwähnten Lima-Dokument, mit der in Deutschland von katholischer und evangelischer Kirche verabschiedeten Erklärung "Lehrverurteilungen - Kirchentrennend" und der "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigung" bereits interessante Ansätze, die teilweise noch viel zu wenig rezipiert worden sind. Vor diesem Hintergrund haben wir uns bei der Societas schon vielfach mit den konkreten Sakramenten beschäftigt. Also: Was ist Eucharistie? Was ist Taufe? Was bedeutet Eheschließung? Es gibt Traditionen, zum Beispiel bestimmte Strömungen in der anglikanischen Kirche, die sich allein mit dem Wort "Sakrament" schon schwer tun und es als typisch katholisch ablehnen. Im selben Atemzug würden sie sagen, dass Taufe und Eucharistie die elementaren Grundvollzüge von Kirche sind. Das Verständnis ist also da, nur die Bezeichnung lautet anders. Trotzdem müssen wir uns darüber Gedanken machen, was Sakramente überhaupt sind. Ich denke, in der katholischen Kirche sind wir immer etwas vollmundig, wenn wir Kirche als Grundsakrament und Jesus Christus als Ursakrament bezeichnen. Wir müssen achtgeben, dass das nicht nur hohle Formeln werden, die wir einfach nur gedankenlos rezitieren, sondern dass wir diese auch mit Leben füllen.

Frage: Fehlt uns Katholiken mittlerweile vielleicht ein Verständnis für die Sakramente?

Stuflesser: Mir kommt es mit aller Vorsicht gesagt so vor, dass oft nicht geschaut wird, wie weit die vermittelten Inhalte durch die gefeierte Liturgie gedeckt sind. So haben wir beispielsweise dutzende von Handbüchern zur Firmung, die diese als das Sakrament des Mündigwerdens und des Erwachsenwerdens bezeichnen. Von all dem steht in den Gebeten der Firmung kein Wort. Firmung ist hier schlicht und einfach Abschluss der Taufe. Wenn ich das zur Kenntnis genommen habe, dann müsste ich die Firmkatechese für heutige Firmlinge anders gestalten. Ich müsste zum Beispiel - was ja Papst Benedikt XVI. schon einmal angeregt hat - über die Reihenfolge der Sakramente nachdenken. Wenn die Firmung die Eingliederung abschließt und diese eigentlich die Voraussetzung dafür ist, dass ich zur Eucharistie zugelassen bin, dann müsste die Reihenfolge lauten: Taufe, Firmung - das ist die Initiation - und dann kommt die Eucharistie. Ich wünsche mir als Liturgiewissenschaftler, dass die systematische Theologie konkreter fragt, wie weit sich die Sakramententheologie an das rückbinden lässt, was wir tatsächlich feiern. Das sage ich nicht zuletzt vor einem pastoralen Hintergrund. Denn die Menschen, die heute zu uns in die Kirche kommen, begegnen dem ganz konkret vollzogenen Ritus. Sie erfahren, wie ein Kind getauft wird, wie Menschen heiraten oder ein Mann zum Priester geweiht wird. Das, was sie erleben, bestimmt ihr Verständnis von dem, was dieses Sakrament ist. Deshalb ist die konkrete Feiergestalt so wichtig.

Frage: Was macht für Sie persönlich eine gute Liturgie aus?

Stuflesser: Ich bin den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils sehr verbunden: Für mich bedarf es einer gewissen Schlichtheit und Klarheit der Strukturen. Überbordendes, das den Sinn dessen, was wir feiern, verstellt, ist mir fremd. Das Zweite Vatikanische Konzil möchte die Gläubigen zur aktiven Teilnahme bewegen. Sie sollen nicht nur als stumme Zuschauer in den Bänken sitzen, sondern wirklich aktiv tätig an der Liturgie teilnehmen. Eine gelungene Liturgie ist für mich genau das, wenn Christen gemeinsam und aktiv tätig den Kern ihres Glaubens feiern.

Von Julia-Maria Lauer