Eine "Abwägungssache"
Kontrovers diskutiert wird noch immer die Frage, wie die Veröffentlichung des Fotos in diversen Medien zu bewerten ist - auch katholisch.de zeigte eine Version, auf der ein Polizist das tote Kind vom Strand wegträgt.
Medienexperten aus dem Bereich der katholischen Kirche kommen zu unterschiedlichen Urteilen. Das Foto fasse in bisher einmaliger Weise die humanitäre Katastrophe zusammen und rücke sie ins Bild, meint etwa der Medienethiker Alexander Filipovic von der Hochschule für Philosophie in München. Er hat daher Verständnis, das Zeitungen, Fernsehen und Internetredaktionen es zeigen und bezeichnet die Entscheidung als "Abwägungssache". Gleichzeitig gibt Filipovic zu bedenken, dass die Weltöffentlichkeit schon viele solcher Bilder gesehen habe - passiert sei aber in der Regel nichts. "Das wissen wir und das führt dazu, dass wir gelähmt sind und nichts tun angesichts dieser Katastrophe", sagte er am Freitag gegenüber der ZDF-Sendung "heute+" und fügte hinzu: "Ich hoffe, dass es in diesem Bild anders ist".
Neudeck: Das Foto rüttelt auf
Optimistischer ist da der Gründer der Hilfsorganisation "Grünhelme", Rupert Neudeck. Er zeigt sich davon überzeugt, dass die Veröffentlichung des Fotos die Menschen "aufrüttelt". Der emotionale Umgang mit Krisen könne zwar gefährlich werden, doch in diesem Fall bewirke das Bild "aktives Handeln", sagte der gläubige Katholik am Freitag im Deutschlandfunk.
In eine ganz andere Richtung argumentiert dagegen der Kapuziner-Pater Paulus Terwitte, der selbst eine Sendung auf dem Privatsender Sat.1 moderiert und im Umgang mit Medien sehr erfahren ist. "Ich glaube, dass wir diese Bilder nicht brauchen und nicht zeigen dürfen", sagte er dem Kölner Bistumssender "domradio". Medien müssten sehr "vorsichtig" sein, den toten Körper eines Menschen überhaupt zu zeigen - schließlich gehe es um dessen Privatsphäre. "Mir tut es um diesen Jungen wirklich leid, der jetzt sozusagen hervorgezerrt wird in die Öffentlichkeit und zum Instrument gemacht wird, für eine große Hysterie, die niemandem hilft", so Terwitte. Es gebe andere Möglichkeiten, die Tragödie begreifbar zu machen.
Marx: Flüchtlinge und Asylsuchende menschenwürdig aufnehmen
Derweil schalten sich auch die Spitzen von katholischer und evangelischer Kirche in Deutschland erneut in die allgemeine Debatte um den Umgang mit den Flüchtlingen hierzulande ein. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx sagte dem Bayerischen Rundfunk am Freitag, die Zahl der Flüchtlinge werde nicht zurückgehen, so lange Gewalt, Krieg, Terror, Naturkatastrophen und Hunger nicht zurückgingen. Gefragt sei eine Mitverantwortung für soziale und politische Gerechtigkeit, so der Erzbischof von München und Freising. Die drängendste Aufgabe sei es nun, Flüchtlinge und Asylsuchende menschenwürdig aufzunehmen.
Auf die Kritik des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán, das Flüchtlingsproblem sei nicht europäisch, sondern deutsch, ging der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ein. "Politische Schuldzuweisungen helfen den Menschen in Not nicht. Ich bin dankbar dafür, dass die Humanität in Deutschland an erster Stelle steht", sagte Heinrich Bedford-Strohm am Freitag in einem Zeitungsinterview. Aus Humanität einen Vorwurf zu machen, sei "absurd". Bedford-Strohm rief dazu auf, dass die Staaten Europas gemeinsam handeln müssten. "Sonst drohen in Regionen Europas humanitäre Notsituationen, die wir im 21. Jahrhundert so nicht für möglich gehalten hätten." Dann könnte das Foto des mit nur drei Jahren ertrunkenen Aylan nur ein Vorgeschmack dessen gewesen sein, was noch kommt. (mit Material von KNA)