BND-Chef Bruno Kahl wird deutscher Botschafter beim Heiligen Stuhl
So viel Geheimdienst-Expertise war noch nie an der deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl: Als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Papst folgt der langjährige BND-Chef Bruno Kahl auf den einstigen Geheimdienste-Koordinator im Kanzleramt unter Angela Merkel, Bernhard Kotsch. Auf den ersten Blick scheint der Stabwechsel in der stilvollen Residenz im römischen Stadtteil Parioli vom jüngeren zum älteren Geheimdienst-Mann alte Vorurteile gegen den Vatikan zu bestätigen.
Denn das weltumspannende katholische Informanten-Netz aus Geistlichen und Diplomaten wurde noch in Zeiten des Kalten Krieges sogar von seinen atheistischen Gegnern in Moskau und in Ost-Berlin als einer der angeblich besten Geheimdienste der Welt gefürchtet. Doch dass nun das demokratische und pluralistische Deutschland gleich zweimal hintereinander durch ausgewiesene Geheimdienst-Fachleute beim Heiligen Stuhl vertreten wird, hat weniger aufregende Gründe.
Bei Kotsch und Kahl handelt es sich vielmehr um zwei verdiente Spitzenbeamte, die zufällig beide im Laufe ihrer Karriere – wenn auch unterschiedlich lange – mit der Leitung oder Koordination von Geheimdiensten zu tun hatten. Und für beide ist (oder war) die Berufung zum deutschen Vatikanbotschafter unter anderem eine Belohnung für bislang geleistete Dienste. Für Kotsch (55) war der Vatikan nicht die letzte Station seiner Karriere, er kehrt als Staatssekretär im Auswärtigen Amt zurück nach Berlin. Für Kahl (62) dürfte Rom hingegen der letzte Einsatzort vor der Pensionierung sein.
Manches Problem hat sich von selbst erledigt
In vielerlei Hinsicht wird Kahl es in Rom einfacher haben als sei Vorgänger. Denn manche Probleme, die Kotsch noch das Leben schwer machten, haben sich quasi von selbst erledigt haben. So kommt der neue Botschafter in der Frühzeit eines Pontifikats nach Rom, das in außenpolitischer Hinsicht berechenbarer und weniger empörungsträchtig zu werden verspricht als die späten Jahre unter Papst Franziskus.
Während Leo XIV. ganz auf die bewährte vatikanische Diplomatie und ihre zurückhaltende, aber verbindliche Art des Agierens setzt, sorgte Franziskus vor allem in der Außenpolitik immer wieder für Verwirrung. Und oft auch für Empörung durch unkontrollierte und wenig ausgefeilte Äußerungen, die er mit Vorliebe spontan in Interviews von sich gab.

Der Eingang der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl im römischen Stadtviertel Parioli.
Zwei Felder waren für die deutsche Außenpolitik besonders oft Anlass zu Irritationen und brachten Kotsch immer wieder in Erklärungs-Not. Wie sollte man etwa die Worte des Papstes zum russisch-ukrainischen Krieg verstehen, wenn Franziskus den Ukrainern zum Herausholen der Weißen Fahne riet, oder dem Westen indirekt eine Mitschuld am Krieg gab, indem er ihm vorwarf, "an der Tür des russischen Imperiums gebellt" zu haben?
Noch problematischer waren manche Äußerungen zum Krieg zwischen der Hamas und Israel, in denen der Papst mehr Sympathie mit den Palästinensern als mit Israel durchblicken ließ. Hier war – nicht zuletzt wegen des weltweit einmaligen Verhältnisses Deutschlands zu Israel – ein Kernthema deutscher Außenpolitik berührt, und Kotsch schien es mitunter sichtlich schwerzufallen, angesichts mancher päpstlicher Verbalausrutscher die diplomatische Zurückhaltung zu wahren.
Auch die deutsche Politik hat Einfluss auf die Botschaft
Dieses Problem ist infolge des Pontifikatswechsels in Rom ebenso vom Tisch wie ein anderes, das durch den Regierungswechsel in Berlin beseitigt wurde: In der Ära der Ampel-Regierung und ihrer grünen Außenministerin Annalena Baerbock ging laut Aussagen von Insidern im Auswärtigen Amt das Verständnis für religionspolitische Themen gegen Null. Kotsch, dessen Amtszeit weitgehend deckungsgleich mit der Baerbocks war, musste sich deutlich mehr als seine Vorgänger anstrengen, Vatikan- und Religions-Themen in Berlin überhaupt noch zu Gehör zu bringen.
Sichtbares Zeichen der verringerten Wertschätzung in Zeiten der Ampel waren auch die drastisch ausgedünnten Besuche von deutschen Regierungsvertretern im Vatikan. Unter dem katholischen Bundeskanzler Friedrich Merz und dem evangelischen Außenminister Johann Wadephul dürfte die Reihe der Besucher aus Berlin in Rom wieder länger werden – wozu auch die Neugierde auf den neuen Papst einiges beiträgt.
Ein weiteres Problem, das Kotsch in seinen knapp vier Jahren in Rom oft beschäftigte, waren die Konflikte im und um den Malteser-Orden, in die Papst Franziskus mit aller Macht eingriff. Er setzte die Ordensleitung ab und ließ eine neue wählen, und er setzte eine grundlegende Reform der Statuten durch. Darüber hinaus hatte es Papst Franziskus offenbar auf die erheblichen Geldmittel abgesehen, die bei den deutschen Maltesern in den Bilanzen standen – wobei es sich allerdings nicht um Profite oder um Vermögen handelte, sondern um deutsche Steuergelder, die der Staat dem Malteser-Hilfsdienst zahlte. Ob es ähnliche vatikanische Begehrlichkeiten auch unter Leo XIV. geben wird, bleibt abzuwarten.

2021 traf Bernhard Kotsch, Kahls Vorgänger, Papst Franziskus.
Ganz sicher erbt Kahl aus der Ära seines Vorgängers zwei andere offene Baustellen, eine davon im wörtlichen Sinne. Das religiös-kulturelle deutschsprachige Konglomerat "Campo Santo Teutonico" unmittelbar neben dem Petersdom ist weiterhin ein Sanierungsfall – baulich, aber auch strukturell. Der deutsche Botschafter sitzt wohl mit am Tisch, wenn über die Sanierung der Gebäude und über die künftige wirtschaftliche und inhaltliche Ausrichtung des komplexen Gebildes aus Erzbruderschaft, Priesterkolleg und römischer Görres-Gesellschaft entschieden wird.
Und ohne die 15 Millionen Euro an Zuschüssen, die der Deutsche Bundestag 2021 beschlossen hat, wäre die älteste deutsche Institution in Rom vermutlich nicht zu retten. Aber möglicherweise gehen die Dinge unter einem neuen Papst, einem neuen Bundeskanzler, einem neuen Bundestag, einem neuen Botschafter und einem neuen Rektor des Campo Santo zügiger voran als zuvor.
Wie geht er mit dem Synodalen Weg um?
Einen noch schwerer zu überschauenden Problemberg übernimmt Kahl beim Thema Synodaler Weg und Vatikan. Nach der Wahl des früheren Leiters der vatikanischen Bischofsbehörde zum Papst stellen Vatikanbeobachter aus unterschiedlichsten Ländern die Frage, wie es Leo XIV. gelingen kann, die Einheit der Weltkirche angesichts der radikalen Reformforderungen aus Deutschland zu wahren – und ob er die deutschen Reformer mit Roten Linien konfrontieren wird.
Die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl kann in der sich abzeichnenden neuen Konfliktrunde zwar nicht aktiv vermitteln. Doch hat sie in den vergangenen Jahren peu à peu eine Rolle als Ort von Begegnung und Dialog zwischen Mitgliedern der römischen Kurie und Vertretern des Synodalen Wegs in Deutschland übernommen. So warb etwa im Oktober die deutsche Juristin und aktive Synodale Charlotte Kreuter-Kirchhof in einem Vortrag in der Deutschen Botschaft für den Reformdialog der deutschen Katholiken. Für manche Vertreter der römischen Kurie war das die erste leibhaftige Begegnung mit einer Mitwirkenden des im Vatikan argwöhnisch beäugten Projekts.
Und als im September 2024 die Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken erstmals seit Beginn des Synodalen Wegs zu "Gesprächen auf Arbeitsebene" vatikanische Stellen besuchte, war es wiederum die Deutsche Botschaft, die mit einer Einladung zu einem Abendessen dafür sorgte, dass sich führende deutsche Laien-Katholiken und Kurienvertreter in Ruhe und ohne medialen Erwartungsdruck über kirchenpolitische Fragen austauschen konnten. Spätestens wenn die Deutschen mit einem Satzungsentwurf für ein nationales synodales Beratungsgremium nach Rom kommen, wird es neue Gelegenheiten für solche kirchen-diplomatischen geben.