Mögliche Weichenstellung im Streit ums kirchliche Arbeitsrecht

EuGH-Generalanwältin sieht Kirchenaustritt nicht als Kündigungsgrund

Veröffentlicht am 10.07.2025 um 13:40 Uhr – Lesedauer: 

Luxemburg ‐ Darf man aus der Kirche austreten, wenn man bei der Kirche arbeitet? Oder ist dann die Kündigung fällig? Die Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs sagt: Austritt ist nicht zwangsläufig ein Loyalitätsverstoß.

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Kündigt eine katholische Organisation einem Arbeitnehmer wegen seines Kirchenaustritts, kann das nach Auffassung einer Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine Diskriminierung wegen der Religion sein. Dies sei der Fall, wenn die Organisation die fragliche Berufstätigkeit nicht von der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche abhängig gemacht habe und der Arbeitnehmer nicht offen in einer Weise handele, die dem Ethos dieser Kirche zuwiderlaufe, heißt es in den am Donnerstag in Luxemburg veröffentlichten Schlussanträgen von Generalanwältin Laila Medina.

Im verhandelten Fall hatte eine katholische Stelle für Schwangerschaftsberatung einer Mitarbeiterin nach deren Austritt aus der katholischen Kirche gekündigt. Zwar sei die Mitgliedschaft in der Kirche keine Bedingung. Der Austritt wurde jedoch als schwerer Loyalitätsverstoß gewertet. Die Beraterin hatte die Kündigung mit Erfolg vor deutschen Arbeitsgerichten angefochten. Daraufhin wandte sich die Schwangerschaftsberatung an das Bundesarbeitsgericht, das den EuGH in einem Vorabentscheidungsverfahren angerufen hat.

Mitgliedschaft nicht immer erforderlich

Generalanwältin Medina ist der Auffassung, dass sich die Kündigung nicht anhand der vorliegenden Richtlinienbestimmung rechtfertigen lasse, die bei beruflichen Tätigkeiten in Kirchen und religiösen Organisationen unter bestimmten Voraussetzungen Ungleichbehandlungen wegen der Religion zulasse. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung seien nicht erfüllt, wenn die Ausübung der beruflichen Tätigkeiten es nicht erfordere, Mitglied der fraglichen Kirche zu sein.

Auch lasse ein Austritt noch nicht die Annahme zu, dass der Arbeitnehmer nicht beabsichtige, weiterhin die Grundprinzipien und Werte der betreffenden Kirche zu befolgen, so Medina. Das Gericht muss den Schlussanträgen der Generalanwältin nicht folgen. Häufig zeichnet sich durch die Schlussanträge aber eine spätere Entscheidung des EuGH ab.

Entscheidung für katholische und evangelische Kirche relevant

In dem verhandelten Fall galt zum Zeitpunkt der Kündigung die Grundordnung des kirchlichen Dienstes in der Fassung von 2015, in der bei katholischen Beschäftigten der Kirchenaustritt als schwerwiegender Verstoß gegen die Loyalitätsobliegenheiten und damit als Kündigungsgrund angegeben wird. Auch mit der 2022 erfolgten Reform der Grundordnung bleibt der Kirchenaustritt bei katholischen Mitarbeitenden in der Regel ein Kündigungsgrund. Von einer Kündigung kann der neuen Grundordnung zufolge nur ausnahmsweise abgesehen werden, "wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalles diese als unangemessen erscheinen lassen."

Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes wurde 2022 reformiert
Bild: ©katholisch.de/fxn (Symbolbild)

Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes wurde 2022 reformiert. Kündigungen drohen nun nicht mehr, wenn die persönlichen Lebensumstände nicht mit den Vorstellungen der Kirche konform gehen – sehr wohl aber bei einem Austritt aus der Kirche.

Eine Entscheidung, ob derartige Regelungen zulässig sind, hätte nicht nur für die katholische Kirche Auswirkungen. Die evangelische Kirche sieht gemäß ihrer "Richtlinie des Rates über kirchliche Anforderungen der beruflichen Mitarbeit in der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie" den Austritt aus einer Kirche ohne den Eintritt in eine andere Kirche als Kündigungsgrund an.

Voriges Verfahren endete ohne Entscheidung

Bisher fehlt noch eine Entscheidung des EuGH zur Kündigung bei Kirchenaustritt. Zuletzt endete der Rechtsstreit um die Kündigung einer Hebamme durch ein katholisches Krankenhaus ohne eine solche Klärung, da das beklagte Krankenhaus die Ansprüche der Klägerin anerkannt hatte. Damit wurde das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ohne Klärung der Sachfrage durch ein Anerkenntnisurteil entschieden.

Das kirchliche Arbeitsrecht in Deutschland wird auch als Dritter Weg bezeichnet. Es räumt den Kirchen das Recht ein, ein eigenes System des Arbeits- und Tarifrechts zu schaffen. So sind Streiks und Aussperrungen bei evangelischer und katholischer Kirche sowie ihren Sozialverbänden Caritas und Diakonie verboten. Tarifverhandlungen finden in eigenen, auf Konsens ausgerichteten Gremien statt. (fxn/KNA)