Was tun gegen den Fachkräftemangel an der Orgel?
Fachpersonal fehlt in der Kirche nicht nur hinter dem Altar – sondern auch auf der Empore. Das Bistum Trier spricht von einem "akuten Mangel an Organistinnen und Organisten" – so akut, dass es jüngst im Amtsblatt eine Handreichung zur Begleitung des Gemeindegesangs veröffentlichen musste. Die flächendeckende Versorgung sei inzwischen oft nicht mehr leistbar. "Aus dieser Not heraus werden inzwischen bereits alternative Lösungen wie CDs, Orgamat oder andere Ersatzsysteme eingesetzt. Wir können uns dieser Realität nicht mehr verschließen", heißt es in dem Trierer Papier.
"Wir beobachten, dass es generell einen Rückgang bei Kirchenmusikern gibt, sowohl Hauptamtliche wie nebenberuflich", bestätigt auch der Generalsekretär des Cäcilienverbandes, Raphael Baader. Der Allgemeine Cäcilienverband für Deutschland ist der Dachverband für Kirchenmusik. Regional sei die Lage sehr unterschiedlich. Vor allem gebe es ein Stadt-Land-Gefälle: "Junge Menschen ziehen häufig vom Land in die Stadt, und die fehlen dann in ihren Gemeinden auf dem Land", erläutert Baader.
Strategien für den demographischen Wandel
Wie viele Kirchenmusiker es in Deutschland gibt, erhebt der Deutsche Musikrat regelmäßig mit seinem Musikinformationszentrum (MIZ). 2024 gab es demnach 1.330 hauptamtliche und 13.758 nebenamtliche Kirchenmusiker in der katholischen Kirche in ganz Deutschland. Wie viele Ehrenamtliche ohne Vertrag an der Orgel spielen, ist nicht genau zu ermitteln. Die Zahlen sinken zwar seit Jahren leicht, aber nicht so stark wie die Zahl der Kirchenmitglieder.
Das könnte sich aber bald ändern: Viele Ehrenamtliche, die fehlende Hauptamtliche kompensieren können, sind älter, teils bereits in Rente. Und wie überall in der Arbeitswelt steht bei den hauptamtlichen Kirchenmusikern ein Generationenwechsel an, wenn die geburtenstarken Jahrgänge der Babyboomer nach und nach in Rente gehen. Ob die so freiwerdenden Stellen in Zeiten zurückgehender Kirchenfinanzen dann neu oder in gleichem Umfang besetzt werden, ist nicht sicher – und selbst dann ist es schwierig, die Stellen zu besetzen. Wieder treffe es hier das Land schwerer als attraktivere Arbeitsorte in Städten. Schon jetzt gebe es mehr offene Stellen als Bewerber, sagt Baader: "Dabei ist der Beruf des Kirchenmusikers sehr attraktiv, weil er vielfältig und deutlich besser bezahlt ist als die meisten anderen Stellen im Bereich der Musik, etwa bei Musikschulen."
Die Orgel ist ein komplexes Instrument. In der Kirchenmusik nimmt sie einen herausragenden Platz ein.
Die Not ist also groß in den Gemeinden. In Trier ist man daher auf der Suche nach guten Lösungen. "Vorrang hat immer jene Begleitung des Gesangs, die von Musikerinnen oder Musikern an der Orgel oder anderen Instrumenten im Gottesdienst gespielt wird", heißt es in der Handreichung. An oberster Stelle soll weiterhin die Begleitung von Gottesdiensten mit der Orgel stehen. Die "Königin der Instrumente" hat einen besonderen Platz in der Kirchenmusik. "Die Pfeifenorgel soll in der lateinischen Kirche als traditionelles Musikinstrument in hohen Ehren gehalten werden; denn ihr Klang vermag den Glanz der kirchlichen Zeremonien wunderbar zu steigern und die Herzen mächtig zu Gott und zum Himmel emporzuheben", heißt es zu dem Instrument in der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965).
Erst wenn feststeht, dass niemand die Kirchenorgel spielen kann, sollen daher in Trier Alternativen geprüft werden. Insgesamt fünf gangbare Wege nennt die Handreichung: An oberster Stelle steht die Begleitung des Gemeindegesangs durch andere geeignete Instrumente. Bei sangesstarken Gemeinden könne man danach überlegen, ob der Gesang auch ohne Begleitung eine Option ist, oder ob Vorsänger und Kantoren die Gemeinde unterstützen und anleiten können. Erst wenn das alles geprüft ist, sollen technische Alternativen in Erwägung gezogen werden: Entweder Orgelselbstspielsysteme oder – ausdrücklich als "letzte Möglichkeit" und für Sondersituationen wie Gottesdienste in Altenpflegeeinrichtungen benannt – Begleitung durch aufgezeichnete Musik. Ausdrücklich ausgeschlossen wird, den Gemeindegesang ganz durch aufgezeichnete Musik zu ersetzen.
Der "Orgamat" ist nur eine Notlösung
Beim Cäcilienverband teilt man die Trierer Einschätzung: Selbstspielende Orgeln sieht auch Baader lediglich als eine Notlösung, die immerhin besser als Musik von der CD ist. "Apparate können nicht reagieren", erklärt er den Grund dafür. "Eigentlich sollte eine Gottesdienstbegleitung wie ein 'Ping-Pong-Spiel' zwischen dem Leiter des Gottesdienstes und dem Organisten sein, man spielt sich gegenseitig die Bälle zu, reagiert aufeinander, nimmt Stimmungen auf." Das oberste Ziel müsse daher sein, dass Menschen die musikalische Begleitung gestalten.
Tausende wollten die Orgel-Influencerin Anna Lapwood im Kölner Dom hören – das ist eine Chance, Nachwuchs für das Instrument zu gewinnen.
Dazu braucht es vor allem Menschen, die Gottesdienste als Musiker begleiten können und wollen. Autodidakten und Quereinsteiger sind dabei prinzipiell willkommen, betont Baader: "Für die Begleitung von Gottesdiensten braucht es keine formale Ausbildung mit Examen. Wenn jemand einen Gottesdienst begleiten kann, dann darf er das auch, wenn der Leiter des Gottesdienstes das erlaubt." In den Diözesen gebe es schon jetzt viele Ideen und Initiativen, um Nachwuchs an der Orgel zu finden. Durch bessere Öffentlichkeitsarbeit zum Beispiel, etwa über Social Media. "Orgel-Influencer" wie der YouTuber "Lingualpfeife" oder die TikTok-Organistin Anna Lapwood können dabei helfen. Über zehntausend Menschen wollten Mitte Juli ein kostenloses Konzert der Britin im Kölner Dom besuchen; nicht ausgeschlossen, dass einige von ihnen dadurch inspiriert werden, selbst an die Kirchenorgel zu wollen.
Neben dem Weg über neuere Medien ist laut Baader aber vor allem der klassische Weg für die Nachwuchsrekrutierung wichtig. "Kinder müssen mit dem Instrument in Berührung kommen, um auf die Idee zu kommen, sich als Organist zu engagieren", sagt er. Der erste Kontakt mit dem Instrument komme in den meisten Fällen über Eltern und die Gemeinde zustande: "Wenn Priester oder Kirchenmusiker etwa unter ihren Ministranten oder Chorsängern Jugendliche ansprechen, die sich für Kirchenmusik interessieren, kann man so Nachwuchs gewinnen. Aber wenn die Hauptamtlichen zurückgehen oder durch größere Gemeinden seltener vor Ort sind, geht natürlich auch das Personal für die Ausbildung zurück."
Ausbildung flexibler und zugänglicher gestalten
Bei der Ausbildung gibt es viele Ideen, wie man sie zugänglicher gestaltet. In den meisten Bistümern existiert mittlerweile unterhalb des Niveaus der anspruchsvollen C-Ausbildung eine D-Ausbildung als Grundausbildung. Dazu kommt eine Ausdifferenzierung der Ausbildungswege. Angebote mit dem Schwerpunkt in der Popularmusik sollen eine größere Zielgruppe erreichen. Viele Diözesen bezuschussen die Kosten für die Ausbildung. Abstriche bei der Qualität soll das aber nicht bedeuten, betont Baader: "Bei den Eignungsprüfungen muss man sich an den Markt anpassen, aber das ist ein Spagat: Einerseits will man so viele Menschen wie möglich mit ins Boot nehmen, andererseits muss aber auch ein gewisses Niveau gehalten werden."
Das führe dann auch dazu, dass die Anforderungen an die Kirchenzugehörigkeit längst nicht mehr so streng sind wie früher. Grundsätzlich sei die Mitgliedschaft in der katholischen Kirche zwar auch weiterhin für Kirchenmusiker wichtig. Mittlerweile werde das aber zumindest für Christen anderer Konfessionen teilweise gelockert. Dabei komme es aber immer auf den Einzelfall an. Und vor allem, betont Baader: Einfach nur musikalisch sein genüge für die Gottesdienstbegleitung nicht. Ohne ein Mindestmaß an Liturgieverständnis und einem Zugang zum Glauben gehe es nicht: "Wer Gottesdienste musikalisch gut begleiten will, sollte auch religiös musikalisch sein."
