Nach der Rückkehr in den Vatikan muss Papst Leo XIV. viel entscheiden
Im römischen Hochsommer ist die vatikanische Kurie personell ausgedünnt. Auch deshalb dürften größere Entscheidungen des neuen Papstes noch eine Weile dauern. Vorher stehen zudem noch das Weltjugendtreffen am ersten Augustwochenende und ein erneuter Kurzaufenthalt in Castel Gandolfo rund um Mariä Himmelfahrt auf dem Plan. Dennoch zeichnet sich schon jetzt ein "Herbst der Entscheidungen" ab.
Personalien
Die Leiter aller wichtigen Kurien-Behörden hat Leo XIV. nach seiner Wahl nur "bis auf Weiteres" bestätigt. Es wird erwartet, dass er in absehbarer Zeit einige Umbesetzungen vornehmen wird. Am häufigsten wird dabei der Name des "theologischen Vordenkers" unter Papst Franziskus, Kardinal Victor Fernandez (63), genannt. Selbst Beobachter, die auf eine Fortsetzung der Öffnungen und Reformen aus der Ära Franziskus hoffen, sind skeptisch, ob Fernandez noch lange Chef des Glaubensdikasteriums bleibt.
Der neue Papst hat mehrfach betont, dass er die Wiedergewinnung der inneren Einheit der Kirche als vordringlichste Aufgabe sieht. Und genau dafür steht der Name Fernandez nicht. Seit er mit seinem Vorpreschen in Sachen Homosexuellen-Segnung die afrikanischen Bischöfe zur Revolte gegen die Linie des Papstes provozierte, gilt Fernandez als angezählt. Auch bei der Weltsynode sorgte er mit einer ungeschickten Kommunikation zum Thema Frauenweihe für erhitzte Gemüter.
Dennoch könnte Leo den Argentinier noch eine Weile im Amt belassen – ganz ähnlich, wie es seinerzeit Franziskus mit Kardinal Gerhard Ludwig Müller tat. Erst nach vier Jahren trennte sich der damalige Papst von dem konservativen Glaubenshüter – mit dem Hinweis, dass dessen fünfjährige Amtszeit abgelaufen sei. Egal wann sich Leo XIV. von Fernandez trennt: Niemand erwartet, dass er den Fehler seines Vorgängers wiederholt, der darin bestand, den Glaubens-Präfekten aufs Abstellgleis zu schieben – von wo aus der sich dann mit eigenen Wortmeldungen unkontrolliert in kirchliche Debatten einbringen konnte.
Wie lange Kardinal Víctor Manuel Fernández noch Präfekt ist, bleibt fraglich.
Anders liegen die Dinge bei zwei Kardinälen, die bereits das 75. Lebensjahr vollendet haben. Bei ihnen wäre eine altersbedingte Versetzung in den Ruhestand ohne viel Aufsehens möglich. Der eine von ihnen, der Engländer Arthur Roche, ist als Leiter des Liturgie-Dikasteriums für manche Konservative ein ähnlich Rotes Tuch wie Fernandez. Roche gilt in ihren Augen als geistiger Vater des Erlasses "Traditionis custodes", mit dem Papst Franziskus 2021 die Möglichkeiten zur Feier der alten lateinischen Messe drastisch einschränkte. Zwar ist die Minderheit, die dagegen Sturm läuft, relativ klein. Aber einheitsstiftend hat das Vorgehen des Liturgie-Präfekten nicht gewirkt, daher dürfte er bald ersetzt werden.
Anders ist es beim 75-jährigen Kardinal Kurt Koch. Der Schweizer ist der letzte Deutschsprachige an der Spitze einer Vatikanbehörde. Seit 15 Jahren ist der Nachfolger von Kardinal Walter Kasper für den Dialog mit den anderen Kirchen sowie mit dem Judentum zuständig – und war in dieser Rolle stets ein tadelloser Brückenbauer. Beobachter gehen davon aus, dass Koch wegen wichtiger symbolischer Termine noch mindestens bis Ende des Jahres im Amt bleibt: Ende Oktober begeht der Vatikan mit jüdischen Partnern den 60. Jahrestag der wichtigen Konzilserklärung "Nostra aetate". Ende November stehen die 1.700-Jahr-Feierlichkeiten des ökumenischen Konzils von Nizäa an. Und dann folgt noch das Gedenken an die Tilgung der wechselseitigen Exkommunikation von Katholiken und Orthodoxen vom 7. Dezember 1965.
Wenig Zeit hat Papst Leo XIV. hingegen bei der Behörde, die er selbst bis zu seiner Papstwahl leitete: Er muss demnächst die Spitze des wichtigen Bischofsdikasteriums neu besetzen, das – mit Ausnahme von Afrika und Asien – weltweit die kirchliche Personalpolitik steuert. Es gilt als wahrscheinlich, dass er jemanden von seinen früheren Mitarbeitern in der Behörde nach oben befördert.
Sitzt fest im Sattel: Kardinal Pietro Parolin.
Leiser geworden sind die Spekulationen um einen möglichen neuen Kardinalstaatssekretär. Pietro Parolin (70) scheint fest im Sattel zu sitzen – nachdem er beim Konklave Anfang Mai zunächst als Favorit galt und dann dem heutigen Papst den Vortritt ließ. Möglicherweise belohnt Leo XIV. nun den einstigen Favoriten, weil der zu seinen Gunsten zur Seite trat. Jedenfalls harmonieren die Nummer eins und die Nummer zwei im Vatikan derzeit so gut, wie es im vorigen Pontifikat nur selten der Fall war.
Damals gab Papst Franziskus mit oft undiplomatischen Interviews Ton und Tempo vor. Außenpolitisch zerschlug er dabei Porzellan, das der Staatssekretär wieder kitten musste. Anders Leo und Parolin: In der jüngsten Gaza-Krise nach dem Beschuss der dortigen katholischen Pfarrei durch israelisches Militär spielten die beiden einander (im Verbund mit Kardinal Pizzaballa vor Ort) mit Telefonaten, Appellen und Interviews die Bälle zu und setzten am Ende Israel moralisch unter Druck. Das Ganze funktionierte reibungslos, obwohl beide gerade im Urlaub waren – der Papst in Castel Gandolfo und Parolin im Trentino. Auch im russisch-ukrainischen Konflikt arbeiten Parolin und sein Chef offenbar reibungslos zusammen. Mit einer abgestimmten diplomatischen Charme-Offensive brachten sie den Vatikan glaubhaft als möglichen Ort für Friedensverhandlungen ins Spiel.
Auslandsreisen
Bisher gilt erst eine Auslandsreise des neuen Papstes als sicher: Der Einladung von Patriarch Bartholomaios und Präsident Erdogan folgend wird er vermutlich Ende November in die Türkei reisen. Als Stationen werden der Ort des 1.700 Jahre zurückliegenden Konzils von Nizäa, der Sitz des Patriarchen in Istanbul, der Marien-Ort Ephesus und die Hauptstadt Ankara genannt.
Daneben zeichnet sich ein zweites muslimisch geprägtes Land als Reiseziel ab. Wie er selbst angedeutet hat, will der aus dem Augustinerorden stammende Papst die Gegend in Nordafrika besuchen, wo vor rund 1.600 Jahren der Heilige Augustinus als Bischof wirkte. Ferner wird erwartet, dass Leo XIV. nach Peru reisen wird, wo er mehrere Jahre erst als Missionar und später als Bischof wirkte. Er könnte, so eine oft geäußerte Spekulation, diese Reise mit Abstechern nach Argentinien und Uruguay verbinden. Beide Länder hatte bereits der aus Argentinien stammende Papst Franziskus besuchen wollen, hatte aber mit Rücksicht auf mögliche innenpolitische Verwerfungen in seiner Heimat darauf verzichtet.
Auch über anstehende Papstreisen wird spekuliert.
Ungewiss ist noch, ob Leo XIV. seine Rolle als Einheitsstifter in der von Konfliktlinien durchzogenen katholischen Kirche so versteht, dass er in genau jene Länder reist, wo solche Konflikte besonders virulent sind. In diesem Fall würde er nicht mehr wie sein Vorgänger Franziskus bevorzugt "an die Ränder" der katholischen Weltkirche reisen, sondern ganz bewusst Länder wie Frankreich, Deutschland oder seine Heimat USA besuchen.
Gerichtsverfahren
Vom Vorgänger hat Leo XIV. einige schwebende kirchenrechtliche Verfahren geerbt. Zu den bekanntesten zählt der Berufungsprozess um Kardinal Angelo Becciu (77). Er und einige mutmaßliche Mittäter wurden im Dezember 2023 nach einer verlustreichen Immobilienspekulation in London vom Vatikangericht zu teilweise schweren Haftstrafen verurteilt. Becciu hat Berufung eingelegt.
Ob der Kardinal beim Konklave Anfang Mai wahlberechtigt gewesen wäre, wurde nie restlos geklärt; am Ende verzichtete er auf die Teilnahme – nachdem ihm eine umfassende Prüfung seines Falls zugesagt worden war. Noch ist offen, ob Papst Leo XIV. die Sache durch eine Begnadigung aus der Welt schaffen oder die nächste gerichtliche Runde abwarten wird.
Nicht minder heikel ist das kirchenrechtliche Verfahren um den slowenischen Künstler und früheren Jesuitenpater Marko Rupnik, dem mehrere Ordensfrauen geistlichen und sexuellen Missbrauch vorwerfen. Da die meisten Vorwürfe, die Rupnik zur Last gelegt werden, kirchenrechtlich nicht strafbar sind, könnte das Ganze ohne Anklage im Sande verlaufen. Leo XIV. könnte in diesem Fall aber auch außergerichtliche Sanktionen gegen Rupnik verhängen. Fakt ist, dass die Werke des Künstlers schon kurz nach dem Pontifikatswechsel von den Seiten der vatikanischen Medien entfernt wurden.
