Schwester Birgit Stollhoff über das Sonntagsevangelium

Vor Gericht und auf hoher See – vom Retten und Richten

Veröffentlicht am 13.09.2025 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 
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Hannover ‐ Was ist der Unterschied zwischen Richten und Retten? Schwester Birgit Stollhoff geht der Frage nach und stößt auf das Kreuz Jesu: Ausgerechnet ein Todesurteil als Rettungsring in den Schiffbrüchen unseres Lebens? Was für ein Wagnis Gottes mit uns Menschen, staunt sie.

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Was ist der Unterschied zwischen Retten und Richten? Die richtige katholische Antwort wäre: das Kreuz. Klingt das jetzt alles eher verwirrend? Eine Rettung ist doch ganz eindeutig etwas anderes als ein Gerichtsurteil! Und beim Kreuz – da geht es doch um Jesu Tod?

"Vor Gericht und auf hoher See ist man im Gottes Hand" – der Volksmund kennt den Zusammenhang. Beide, die lebensbedrohliche Not und die Situation vor Gericht, sind gekennzeichnet durch ein großes Hierarchiegefälle: Der mächtige Richter, der die bürgerliche Existenz vernichten kann. Die brutale Naturkatastrophe oder Flut, die das Leben zerstört. Vor den Richterstühlen der/die kleine schuldige oder unschuldige Angeklagte, über dessen/deren Taten und Leben genau und öffentlich Buch geführt wird. Der kleine Mensch auf dem unendlichen Ozean vor haushohen Wellen. Die Lage ist aussichtslos, da hilft nur die einzige noch höhere Macht, so scheint es.

Und trotzdem gibt es Unterschiede: Vor Gericht werden Menschen-Maßstäbe angewandt. Im Gericht wird mit Wertung und Deutung gearbeitet und von da ausgehend Existenz konstruiert. Das legt Kübra Gümüşay in ihrem Buch "Sprache und Sein" deutlich dar. Derjenige, der Bezeichnungen verteilt, das Urteil spricht, ist der/die Mächtige und scheinbar neutral und immun gegen eigene Kritik. Gleichzeitig ist vor Gericht der/die Angeklagte meist nicht unschuldig – irgendeinen Anlass gab es. Richter:innen bemühen sich um Gerechtigkeit, um Ausgleich, und müssen deswegen vergleichen – Taten, Schäden, Verdienste. Und so stehen wir Menschen immer wieder vor Gericht: Die Gesellschaft vergleicht uns und fällt ein Urteil über uns, die Lehrerinnen, die Arbeitgeber, die Versicherungen und schließlich wird auch Gott seine Meinung zu unserem Tun haben. So vermuten wir.

Anders ist es mit der Rettung: Der Retter, die Retterin sieht die Not, hört den Hilfeschrei – und handelt. Rettung fragt nicht nach Schuld oder Verursachung – Rettung sieht das Leben und die um ihr Leben ringende Person. Menschen, die als Retter und Retterinnen arbeiten – als Notfallsanitäter, bei der Bergwacht etc., sehen das Geflecht des Lebens oft differenzierter. Sie wissen, wie viele Faktoren zusammenkommen müssen, bis so eine Not entsteht – mit und ohne Schuld der Person in Not. Und sie rechnen nicht, sondern setzen ihr eigenes Leben und die ihrer Kollegen für das eine Leben der einen in Not geratenen Person ein. Rettung ist selbstlos, Rettung ist mutig.

Retter strecken die Hand aus, Richterinnen heben den Zeigefinger. Das Kreuz ist Gottes ausgestreckte Hand an uns: Mit dem Kreuz und Jesu Tod sagt Gott, dass es ihm wichtiger ist, dass wir frei und unbeschwert leben können, anstatt wie gelähmt vor unserem Sündenkatalog zu sitzen. Das Kreuz sagt, dass Gott alle Schulden unterschiedslos für uns beglichen hat, alle Urteilsfolgen auf sich genommen hat. Ein echter Rettungsring also in all den Schiffbrüchen unseres Lebens.

Evangelium nach Johannes (Joh 3,13–17)

In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodémus:

Niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn. Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat.

Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.

Die Autorin

Sr. Birgit Stollhoff CJ gehört dem Orden Congregatio Jesu (auch bekannt als Mary-Ward-Schwestern) an, ist Leiterin des Jugendpastoralen Zentrums "Tabor" in Hannover und macht derzeit daneben die Ausbildung zur Pastoralreferentin im Bistum Hildesheim.

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