Immer weniger Kardinäle aus Mittel- und Osteuropa

Ära Johannes Pauls II. verblasst – Der rechte Lungenflügel pfeift

Veröffentlicht am 03.10.2025 um 00:01 Uhr – Von Alexander Brüggemann (KNA) – Lesedauer: 

Bonn ‐ Der Tod des rumänischen Großerzbischofs Muresan wirft ein neues Schlaglicht darauf: Die Ära Johannes Pauls II. verblasst mit dem Verschwinden ihrer prägenden Gestalten. Mittel- und Osteuropa treten in den Hintergrund.

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Es war die Botschaft eines neu gewachsenen Selbstbewusstseins: Auf "beiden Lungenflügeln" müsse das christliche Europa atmen, so das berühmte Wort des Papstes aus Polen damals, Johannes Pauls II. Auf beiden Lungenflügeln: dem römisch-lateinischen und dem slawisch-byzantinischen. Eine geistesgeschichtlich bedeutende Geste, revidierte sie doch die weit verbreitete These von den drei Säulen, auf denen Europa stehe: Antike, Christentum und Germanentum.

Der Sturz des Kommunismus 1989/90, ein ideologischer Triumph für Johannes Paul II., war zugleich eine "Stunde Null" für die Ortskirchen in Mittel- und Osteuropa. Vielerorts begann ein aufopferungsvoller Wiederaufbau: geistig, personell wie materiell.

Kardinäle über Kardinäle

Und Johannes Paul II. (1978–2005) kurbelte an dieser Welle: Er ernannte die Slawenapostel Kyrill und Method (siehe Foto oben) aus dem 9. Jahrhundert zu "Mitpatronen Europas". Sie hatten die christliche Botschaft für slawische Ohren verständlich gemacht, das Christentum mit ihrer "Schule von Ohrid" und dem "kyrillischen Alphabet" über Rumänien bis ins Gebiet der Kiewer Rus und über Moskau bis tief ins heutige Russland getragen. Dass sie das Slawische als Liturgiesprache einführten, begründete nicht zuletzt die spätere Rom-Bindung von Nationen wie Böhmen, Mähren oder der Slowakei mit.

In vielen postkommunistischen Ländern stellte Karol Wojtyla, der Papst aus Polen, die kirchlichen Strukturen wieder her, errichtete Bistümer – und ehrte viele, die der Kirche in der Verfolgung treu geblieben waren: Heilige über Heilige proklamierte er, Kardinäle über Kardinäle ernannte er aus Ländern, die nie zuvor im Senat des Papstes vertreten waren. Im Kardinalskollegium atmete Europa "auf beiden Lungenflügeln".

Papst Johannes Paul II. in Polen
Bild: ©KNA-Bild/KNA (Archivbild)

Auf "beiden Lungenflügeln" müsse das christliche Europa atmen – auf dem römisch-lateinischen und dem slawisch-byzantinischen, sagte Johannes Paul II. anlässlich der Erhebung von Kyrill und Method zu Mitpatronen Europas.

Doch gut 30 Jahre später pfeift der rechte Flügel – der linke sowieso. Der Tod des einzigen rumänischen Kardinals, Großerzbischof Lucian Muresan aus Siebenbürgen, mit 94 Jahren wirft ein neuerliches Schlaglicht darauf: Die Ära Johannes Pauls II. verblasst mit dem Verschwinden ihrer prägenden Gestalten. Mittel- und Osteuropa treten wieder in den Hintergrund.

Gehen wir die Länder durch: Rumänien, die Ukraine, die Slowakei, Belarus: kein Kardinal mehr. In Lettland, Slowenien, Albanien, Tschechien, Bosnien-Herzegowina, ja sogar an der traditionellen Ost-West-Drehscheibe Österreich hat der jeweils einzige Kardinal die Altersgrenze zur Papstwahl von 80 Jahren bereits überschritten.

Der einzige lettische Kardinal ist fast 95, der albanische – ein von Papst Franziskus ernannter Priester und Zwangsarbeiter – fast 97 Jahre alt. Zwei der drei Litauer sind näher an den 90 denn an 80 Jahren. Bleiben derzeit noch 17 Kardinäle, davon 7 Papstwähler: aus Polen (3), aus Ungarn, Kroatien, Serbien und Litauen.

Drei Konklave auf dem Buckel

Zuletzt schieden im Juli der Krakauer Stanislaw Rylko sowie Anfang September der Bosnier Vinko Puljic aus dem Kreis der Papstwähler aus. Beide waren Vertraute Johannes Pauls II. und hatten bereits zwei beziehungsweise drei Konklave auf dem Buckel. Mitten im Bosnienkrieg wurde der damals 49-jährige Puljic Ende 1994 als erster bosnischer Bischof der Geschichte ins Kardinalskollegium aufgenommen, damals als jüngster Kardinal der Weltkirche.

Dass die junge alte Kirche in Mittel- und Osteuropa weiter der Zuwendung und Solidarität bedarf, das war auch und ist auch den Nachfolgern des Papstes aus Polen bewusst: Benedikt (2005–2013), Franziskus (2013–2025) und nun Leo XIV. In der Ukraine herrscht Krieg, angegriffen von Russland und dem Handlanger Belarus. Viele Länder der Region kämpfen mit Nationalismus, Populismus, ungebremstem Materialismus und russischer Einflussnahme.

Bischöfe unierter Ostkirchen bei der Eröffnungsmesse zur Familiensynode im Petersdom.
Bild: ©KNA (Symbolbild)

Die Kirchen in Osteuropa und ihre Bischöfe haben es mit schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen zu tun.

Längst steht der frühere "Ostblock" nicht mehr fest Richtung Europa und den Westen ausgerichtet, sondern zerrissen zwischen der EU und Wladimir Putins Russland mit seiner Kriegstreiberei, zwischen Demokratie und Rechtspopulismus à la Viktor Orban, Robert Fico oder Karol Nawrocki.

Auch ins Getriebe des kirchlichen Wiederaufbruchs nach den Jahrzehnten kommunistischer Unterdrückung scheint einiger Sand gekommen zu sein. Die anfängliche Begeisterung kommt ins Stocken angesichts riesiger Herausforderungen. Der Budapester Kardinal Peter Erdö spricht schnörkellos über die Gesellschaft seiner ungarischen Heimat: Der Kommunismus habe den "bürgerlichen Anstand ausgelöscht".

"Auf Wasser schreiben"

Ähnlich wie die Slawenapostel Kyrill und Method – die beklagten, man könne nicht auf Wasser schreiben, und erst eine eigene slawische Schrift entwickeln mussten – müssen die Missionare von heute versuchen, auf Wasser zu schreiben und eine eigene Sprache entwickeln; sprich die Menschen ohne vorhandene religiöse Fundamente zu erreichen. Ein schwer wiegendes Problem, das längst übrigens auch den linken Lungenflügel lahmzulegen droht.

Viele, auch viele menschlich Geschädigte des Sozialismus, sind nicht mehr bereit, die neue Freiheit durch eine gefühlte Unterwerfung unter eine christliche Werteordnung wieder einzubüßen. Manches christliche Aufblühen, etwa die spektakuläre Expansion der mit Rom verbundenen ("unierten") Kirche im Osten der Slowakei, könnte sich auf mittlere Sicht als eine trockene Blüte erweisen. Johannes Paul II., der Visionär aus Wadowice, kann nun nicht mehr kurbeln.

Von Alexander Brüggemann (KNA)