Standpunkt

Es braucht den Dialog – so drängend wie selten

Veröffentlicht am 28.10.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Strack – Lesedauer: 

Bonn ‐ 60 Jahre nach "Nosta aetate": Das einleitende "In unserer Zeit" klingt sehr nach "heutzutage", meint Christoph Strack. Er kommentiert: Dialog braucht es dränglicher denn je – in einer Zeit, in der Religionen oft wieder auf Nationalismen setzen.

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Seit Monaten stand dieser spannende Termin fest: Am kommenden Montag (3. November) sollte in Baku, der Hauptstadt Aserbeidschans, das alle drei Jahre stattfindende wichtigste Treffen der Europäischen Rabbinerkonferenz starten. An die 600 Teilnehmende aus dutzenden Ländern und der Mut, vier Tage in einem Land mit einer schiitisch-muslimischen Mehrheit zu tagen. An diesem Montag kam die Absage, wohl aus Sicherheitsgründen.

Gleichfalls am gestrigen Montag: An der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom läuft ein Kongress zum interreligiösen Dialog. Der Theologe Mario Imperatori (67) spricht laut KNA von einer Ähnlichkeit zwischen dem Vorgehen Israels im jüngsten Gaza-Krieg und dem Genozid an den Juden im Dritten Reich. Empörung bei jüdischen Zuhörern im Saal. (Hat sich denn keiner der Christen empört?)

Zwei Nachrichten binnen Stunden, die zeigen, wie es um den interreligiösen Dialog steht. Und dann steht an diesem Dienstag, dem 28. Oktober, der 60. Jahrestag von "Nostra Aetate" an. Dieses große Dokument widmete das Zweite Vatikanische Konzil (1962–65) dem Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen.

Der Text ist, wie bei römischen Texten üblich, nach seinen lateinischen Anfangsworten benannt: "Nostra Aetate", "In unserer Zeit". Der erste Satz als ganzes lautet: "In unserer Zeit, da sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger zusammenschließt und die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich mehren, erwägt die Kirche mit um so größerer Aufmerksamkeit, in welchem Verhältnis sie zu den nichtchristlichen Religionen steht."

Daraus spricht ein Optimismus der 1960er Jahre, die Hoffnung auf Miteinander und Respekt, auf ein Ende von Hass. Ein Optimismus, den heute kaum mehr jemand formulieren würde. Es lohnt sich, den Wortlaut von "Nostra Aetate", der kürzesten aller Konzilserklärungen, nachzulesen. Einige Wochen später folgte dann übrigens die Beschwörung der Religionsfreiheit. Auch das lernte die katholische Kirche letztlich erst vor 60 Jahren.

Die Kirche, die immer nur herabschaute, die über den Antijudaismus den Antisemitismus grundierte. Dann kam "Nostra Aetate" als Aufruf zum Dialog aller Religionen. Auch als Eingeständnis. Und 2025? Das einleitende "In unserer Zeit" klingt nun sehr nach "heutzutage". In einer Zeit, in der Religionen zu oft wieder auf religiöse Nationalismen setzen, in der Politiker fast apokalyptisch agieren. Es braucht den Dialog, so drängend wie selten.

Von Christoph Strack

Der Autor

Christoph Strack ist Fachredakteur der Deutschen Welle für Religion und Religionspolitik.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.