Braucht es einen Friedhof?

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Neulich saßen wir am Frühstückstisch, und meine Tochter stellte wieder diese Frage, die sie in letzter Zeit immer häufiger beschäftigt. Denn der Geburtstag ihres Opas steht bevor. "Mama, warum gehen wir eigentlich nie zu Opas Grab?"
Mein Vater ist vor einigen Jahren gestorben. Es war kein plötzlicher Abschied, sondern ein Abschied in Etappen. Wir wussten, dass uns nicht mehr viel Zeit bleibt. Er hatte oft gesagt, dass er kein Grab haben möchte. Kein Ort, der gepflegt werden muss. Kein Grabstein, keine Blumenschale, keine Last. "Dann habt ihr die nächsten Jahrzehnte mehr Zeit für andere Dinge als immer mit meiner Grabpflege zu tun", sagte er und grinste dabei ein bisschen verschmitzt – so, wie er immer grinste, wenn er einen Entschluss längst gefasst hatte.
"Und wo denkst du dann an Opa?"
Für ihn war das eine klare Entscheidung: Er wollte uns keine Pflicht hinterlassen. Keinen Ort, an dem man müssen muss. Nicht alle Familienmitglieder konnten diese Entscheidung mittragen. Deshalb trafen wir an seinem Sterbebett einen Kompromiss: Es gibt einen Ort auf dem Friedhof, den manche in der Familie aufsuchen, um sich ihm verbunden zu fühlen. Ich gehe nicht hin.
Ich mag Friedhöfe nicht. Für mich sind sie kein Ort der Nähe. Eher ein Muss als ein Ort des Gedenkens. Mein Vater und ich – wir begegnen uns woanders. "Und wo denkst du dann an Opa?", fragt meine Tochter neugierig. "Überall" sage ich. Wenn sie Unsinn macht und dabei genau diesen schelmischen Blick hat wie er. Beim Radfahren. In der Eisdiele. Bei einer Tasse Kaffee. Und wenn ich ein Kreuzworträtsel löse. Dort ist er für mich. Nicht zwischen Hecken und Grabsteinen.
Stele mit Namen von Verstorbenen auf einem Urnen-Gräberfeld auf dem Roggendorfer Friedhof in Mechernich.
Für einen Teil meiner Angehörigen ist das anders. Sie brauchen diesen Ort. Er gibt ihnen Halt, Struktur, ein Ritual, ein Ort der Begegnung. Und ich? Ich trauere unterwegs, im Alltag, im Lachen meiner Tochter.
Trauer sieht bei jedem Menschen anders aus. Für manche ist es der Friedhof. Für andere eine Bank im Park oder der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee. Auch gesellschaftlich wird diese Frage gerade neu gestellt: Die ersten Bundesländer lockern die Friedhofspflicht. Manche sehen darin Freiheit, andere einen Verlust an Gemeinschaft und Tradition.
Zeigen, dass Erinnern nicht nur auf Friedhöfen passiert
Für meinen Vater war die Entscheidung klar. Für mich auch. Aber vielleicht lohnt es sich, die Frage neu zu stellen: Braucht es wirklich den Friedhof – oder braucht es vor allem Orte, an denen Erinnerung lebendig bleibt?
Ich weiß nicht, ob es den richtigen Weg gibt. Und es ist eigenartig, dem eigenen Kind den Tod zu erklären. Noch eigenartiger, die eigene Art zu trauern. Ich möchte ihr nichts aufzwingen, keinen Ort, keine Regeln. Aber ich möchte ihr auch zeigen, dass Erinnern nicht nur auf Friedhöfen passiert. Später an diesem Tag, wir arbeiten im Garten, schaut meine Tochter zu mir hoch: "Hier ist Opa auch, oder?" Ich nicke.