20 Jahre "Nightfever": "Ein Werk des Heiligen Geistes"

"Der Weltjugendtag muss doch weitergehen!" Das war der Gedanke, der die Theologiestudierenden Andreas Süß und Katharina Fassler vor 20 Jahren dazu bewegte, "Nightfever" ins Leben zu rufen. Am 29. Oktober 2005 starteten sie den ersten "Nightfever"-Abend in Bonn. Am Konzept hat sich nicht viel geändert: Junge Menschen gestalten eine zentral gelegene Kirche in einer belebten Gegend und laden Passanten ein, eine Kerze anzuzünden und in die Kirche zu kommen. Dort findet eucharistische Anbetung statt, Musik wird gespielt und Priester stehen für seelsorgliche Gespräche, das Sakrament der Versöhnung oder Segnungen zur Verfügung. Im katholisch.de-Interview spricht Andreas Süß – inzwischen leitender Pfarrer in Neuss – über die Anfänge, den Erfolg und eucharistische Anbetung.
Frage: Seit 20 Jahren gibt es das Format "Nightfever" – und das mittlerweile in 27 Ländern. Sind Sie ein bisschen stolz auf diesen Erfolg, Pfarrer Süß?
Süß: Ich bin vor allem dankbar. Vor 20 Jahren wollten Katharina Fassler, Mitglied der Gemeinschaft Emmanuel, und ich, damals Theologiestudent, als Initiatoren vor allem mit Studierenden aller Fakultäten einen Abend in der Kirche St. Remigius in Bonn feiern, um den Geist des Weltjugendtages weiterzutragen – so wie Papst Benedikt XVI. es uns bei der Abschlussmesse des Weltjugendtages aufgetragen hat: Der Weltjugendtag muss weitergehen. Die Anbetung in der Vigil auf dem Marienfeld vor der Abschlussmesse war so bewegend, in dem Moment, wo 1,2 Millionen junge Menschen sich von Jesus Christus in der Monstranz berühren ließen. Wir wollten die Barmherzigkeit Gottes den Menschen, die vielleicht nicht sonntags zu Kirche kommen, berührbar machen. Katharina Fassler hatte bereits Erfahrungen mit dem Barmherzigkeitsabend der Gemeinschaft Emmanuel, den wir dann noch hin auf Studierenden verschiedener Studienrichtungen, Ordensleute und Seminaristen erweitert haben. Von vielen Seiten haben wir dann nach dem ersten Abend die Rückmeldung bekommen, dass wir Nightfever wiederholen sollen. Nightfever hat sich dann in 27 Ländern von Australien, Indien – wo ich als Subregens junge Menschen ausgebildet habe – bis Kanada, USA, Mexiko und Brasilien – geschult von einem internationalen Team – ausgebreitet.
Frage: Hätten Sie vor 20 Jahren mit diesem Erfolg gerechnet?
Süß: Nein, das hätte sich wahrscheinlich keiner vorstellen können. Und es erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, dass auf der ganzen Welt junge Menschen die Freude weitergeben und die Liebe und Barmherzigkeit Gottes berührbar machen wollen, indem sie hinausgehen und Passanten einladen. Es ist für mich wirklich ein Werk des Heiligen Geistes.
Der Ursprung von "Nightfever": Papst Benedikt XVI. bei der Vigil auf dem Marienfeld am 20. August 2005.
Frage: Wie erklären Sie sich denn, dass dieses Format so ein großer Erfolg geworden ist?
Süß: Das hat aus meiner Sicht mehrere Ursachen. Zum einen glaube ich, dass junge Menschen sich ernst genommen fühlen, wenn sie selbst die Gelegenheit bekommen, Verantwortung für die Gestaltung und Organisation eines "Nightfever"-Abends zu übernehmen. Es war mir immer wichtig, dass junge Leute spüren können: Ich kann in der Kirche etwas bewegen, Verantwortung übernehmen und anderen Menschen dabei helfen, ihre Fähigkeiten zu entdecken. Zum anderen erleben die jungen Menschen, dass es relativ einfach ist, mit Gleichaltrigen über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Rund 80 Prozent der Menschen, die auf der Straße angesprochen werden, lassen sich auch in die Kirche einladen – und bleiben oft länger, als sie geplant haben. Das ist auch ein direktes Feedback auf das eigene Engagement.
Frage: Gab es in der Zeit denn auch Konflikte mit Pfarreien, die ihre Kirche nicht zur Verfügung stellen wollten oder das Angebot abgelehnt haben?
Süß: Die Initiative zu einem "Nightfever"-Abend geht ja von den Gemeinden aus. "Nightfever"-Abende finden nur statt, wenn es in der Gemeinde junge Menschen zwischen 15 und 35 Jahren gibt, die sich engagieren wollen und die sich vom internationalen "Nightfever"-Team schulen lassen. Es ist uns wichtig, dass der Abend von Gemeindemitgliedern und Gruppen aus der jeweiligen Stadt mitgestaltet wird. Der große Vorteil bei "Nightfever" ist, dass wir den Abend überall in gleicher Art und Weise anbieten. So weiß jeder Entscheidungsträger worauf er sich einlässt. Zum Beispiel. dass wir die Passanten immer in totaler Freiheit in die Kirche einladen, eine Kerze zu entzünden und vielleicht ein Anliegen vor Gott zu tragen. So wünschen wir auch einen schönen Abend, wenn sich Passanten entscheiden, nicht in die Kirche zu kommen, Nein zu sagen oder die Kerzen mit nach Hause zu nehmen und sie dort anzuzünden.
Frage: Die Spiritualitätsformen, auf denen "Nightfever" basiert – Kerze entzünden, eucharistische Anbetung, Segnungen und Seelsorgegespräche – sind kirchlich betrachtet nicht neu. Warum werden sie in diesem Kontext aber besonders gut von jungen Menschen angenommen?
Süß: Das Besondere ist aus meiner Sicht, dass junge Menschen selbst mitwirken im Gottesdienst, bei der Gestaltung des Abends, bei der Musikauswahl, die sie selbst spielen. Lobpreis ist für viele junge Menschen aber auch für ältere Generationen sehr anziehend. Dadurch, dass junge Menschen selbst hinausgehen und einladen und selbst in der Kirche beten, ist es ein sehr aktivierender Gottesdienst, bei dem jeder kommen und gehen kann, wie es seiner eigenen Gemütslage entspricht. Das kommt einer jungen Generation sehr entgegen, die aktiv auswählen und mitentscheiden will.
War vor 20 Jahren Mitbegründer von "Nightfever": Andreas Süß. Mittlerweile ist er als Leitender Pfarrer in Neuss tätig.
Frage: Die allermeisten Jugendlichen, die zu den "Nightfever"-Abenden in die Kirche eingeladen werden, dürften mit der Transsubstantiationslehre der katholischen Kirche wenig anfangen können. Inwiefern ist das ein Problem für die eucharistische Anbetung?
Süß: Ich glaube, dass die Darstellung in der Kirche – ein abgedunkelter Raum mit erleuchteter Monstranz im Zentrum – schon sehr deutlich zeigt, wer die wichtigste Person im Raum ist: Jesus Christus. Er wird in den Gebeten, in den Liedtexten angesprochen, junge Menschen knien vor dem Allerheiligsten, sodass sehr klar wird, dass ER derjenige ist, der uns einlädt und der uns ins Zentrum führt. Außerdem wird beim Einladen schon darauf hingewiesen und beim Empfang in der Kirche erklärt, dass wir uns um Jesus Christus im verwandelten Leib versammeln.
Frage: Aber verstehen die Menschen den tieferen Sinn der gewandelten Hostie in der Monstranz?
Süß: Man muss nicht unbedingt die Transsubstantiationslehre kennen oder Theologie studiert haben, um zu spüren, dass sich Jesus Christus, der Heiligste überhaupt, in diesem Zeigegefäß befindet. Das ist auch das, was wir den Menschen am Eingang sagen, die zu uns kommen – und ich glaube, das reicht erstmal. Einem Erstkommunionkind erkläre ich ja auch, dass es Jesus Christus, Gottes Sohn, ist, der sich da in seiner Hand befindet. Das reicht in der Vorbereitung.
Frage: Ist diese Form der Anbetung denn ein guter Anknüpfungspunkt für Fernstehende, die normalerweise nicht in die Messe gehen? Das Zweite Vatikanische Konzil betont "Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens" ist die Eucharistiefeier – also Gottesdienst gemeinsam feiern und die Kommunion auch empfangen …
Süß: Die Anbetung erwächst aus der Eucharistiefeier, die wir vor dem "Nightfever"-Abend gemeinsam feiern und die Hostie wird in der Eucharistiefeier gewandelt. Die Anbetung ist damit sozusagen die Verlängerung der Eucharistiefeier. Zudem gilt mit Augustinus gesprochen, dass niemand empfangen soll, der nicht angebetet hat. Ich glaube, dass die Anbetung uns näher vor Augen führt, wen wir da eigentlich empfangen dürfen. Die Anbetung kann aus meiner Sicht sogar ein Schlüssel für die Ökumene sein.
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Frage: Inwiefern?
Süß: Beim Weltjugendtag haben wir in einer evangelischen Kirche in Bonn einen Anbetungsabend gegeben. Seitdem hat auch der evangelische Vikar bei "Nightfever" mitgeholfen und Leute auf der Straße angesprochen und zum Allerheiligste geführt und dort selbst kniend angebetet. Ich könnte mir daher vorstellen, dass es uns auch in der Ökumene Schritte voranbringen könnte, wenn wir gemeinsam Jesus Christus anbeten und IHN, den lebendigen Gott dadurch im verwandelten Leib erkennen – auch wenn wir vielleicht noch nicht das gleiche Verständnis der Eucharistie haben.
Frage: Bei den "Nightfever"-Abenden können die jungen Menschen, die eingeladen werden, vor allem eine spirituelle Erfahrung machen. Wie schafft man es, daran anzuknüpfen?
Süß: Wenn die Menschen die Kirche verlassen, bekommen sie einen Flyer für den nächsten "Nightfever"-Abend. In den meisten Kirchen gibt es Flyer von Angeboten der Pfarreien. Außerdem liegen in der Kirche Bibeln aus, wenn Menschen sich noch weiter in die Heilige Schrift vertiefen wollen. Ganz oft werden aus Besuchern auch Helfer oder sie nehmen an Glaubenswochenenden von "Nightfever" oder der Gemeinde teil. "Nightfever" wird nicht im luftleeren Raum gefeiert. Der Gemeindepfarrer oder Kaplan sind ja als Gesprächspartner mit dabei und können auf ihre Angebote hinweisen und dann auch an Erfahrungen bei "Nightfever" vielfach anknüpfen.
Frage: Glauben Sie, dass es "Nightfever"-Abende auch noch in 20 Jahren geben wird?
Süß: Bei dem, was ich in den vergangenen Jahren erlebt habe, merke ich sehr deutlich, dass sich junge Menschen tatsächlich für das Zentrum des Glaubens, für Jesus Christus interessieren. Ich kann mir das also schon gut vorstellen. Von daher: Wenn es Gottes Wille ist, dann wird es "Nightfever" auch in 20 Jahren noch geben – und es wird weiter wachsen.