Standpunkt

Es wird zu viel über, statt mit Menschen gesprochen

Veröffentlicht am 10.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Burkhard Hose – Lesedauer: 

Bonn ‐ Bei einem Workshop hat Burkhard Hose die Erfahrung gemacht, was echte persönliche Begegnung bewirken kann. Er fordert mehr Formate mit Eins-zu-eins-Begegnungen, um Stereotype und Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen.

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Am Samstag war ich zu Gast beim Jahrestreffen von "Meet a Jew", einem Projekt des Zentralrats der Juden in Deutschland. Die Ehrenamtlichen, überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene, besuchen in Tandems Schulen, Vereine und andere Gruppen, um im persönlichen Gespräch aus ihrem jüdischen Leben zu erzählen. In einem Workshop mit etwa 30 Teilnehmenden sollte ich über meine Erfahrungen aus dem christlich-jüdischen Dialog berichten. Die Diskussionsfreude in der Runde war so groß, dass ich meine vorbereiteten Materialien schnell beiseite legte und überwiegend zuhörte. Ich erlebte eine diverse Gruppe aus traditionell und liberal geprägten jungen Leute, mehr oder weniger religiös, die sich in der ganzen Bandbreite jüdischen Lebens in Deutschland ein gemeinsames Ziel gesetzt haben: Sie wollen echte Begegnungen ermöglichen, jüdische Perspektiven sichtbar machen und dadurch Vorurteile abbauen. Denn sie sind davon überzeugt: Eine einzige persönliche Begegnung bewirkt, was tausend Bücher, Vorträge oder abgehobene jüdisch-christlichen Dialoge nicht leisten können.

Eigentlich bräuchte es dieses Format auch in anderen Kontexten, in denen derzeit in unserer Gesellschaft Stereotype und gegenseitige Urteile das Klima bestimmen. Zu viel wird über Juden und Muslime, über queere oder von Rassismus betroffene Menschen, über Arme gesprochen, statt mit Menschen zu reden. Kirchengemeinden und kirchliche Verbände könnten verstärkt für solche Eins-zu-eins-Begegnungen sorgen und hierfür einen verlässlichen und respektvollen Rahmen bieten. Viele tun dies auch bereits in ähnlichen Formaten wie zum Beispiel der "Living Library" (Lebendige Bibliothek).

Ich habe am Samstag wieder erlebt, wie viel positive Energie im direkten Kontakt steckt und dass es am Ende sogar Spaß machen kann, Vorurteile zu identifizieren und auszuräumen. Für diese Erfahrung, die ich ausgerechnet einen Tag vor dem Gedenken an die Ereignisse der Reichspogromnacht 1938 machen durfte, bin ich dankbar. Sie bestärkt mich im Eintreten für eine Gesellschaft, in der Vorurteile nie wieder die Oberhand gewinnen dürfen.

Von Burkhard Hose

Der Autor

Burkhard Hose ist Hochschulpfarrer in Würzburg.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.