Vor 200 Jahren erschien die erste Ausgabe des "Rheinischen Merkurs"

Von Napoleon bis "Christ & Welt"

Veröffentlicht am 23.01.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bild: © KNA
Geschichte

Bonn ‐ Napoleon Bonaparte soll sie die "fünfte feindliche Großmacht" genannt haben. Die anderen vier waren das Vereinigte Königreich, Russland, Preußen und Österreich. Doch sprach der französische Kaiser nicht etwa von den Spaniern oder Portugiesen. Vielmehr war die von Joseph Görres herausgegebene Zeitung "Rheinischer Merkur" gemeint. Deren erste Ausgabe erschien heute vor 200 Jahren, am 23. Januar 1814 – und war dem französischen Kaiser ein Dorn im Auge.

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Es war eine stürmische Zeit, eine Zeit der Umbrüche. Die Französische Revolution lag erst wenige Jahre zurück und war noch fest in den Köpfen der Menschen verankert, genau wie der Wunsch nach Freiheit und Demokratie. Einer dieser Köpfe gehörte dem katholischen Publizisten Joseph Görres. Er war begeistert von der demokratischen Bewegung, die die Revolution im Nachbarland ausgelöst hatte. Der Aufstieg Napoleons war für Görres daher der negative Höhepunkt einer katastrophalen Fehlentwicklung.

Nachdem eine europäische Allianz das linke Rheinufer von den Franzosen zurückerobert hatte, sah Joseph Görres seine Chance gekommen. Er übernahm die Redaktion der zweisprachigen französischen Zeitung "Mercure de Rhin" in Koblenz. Von Staatskanzler Karl August von Hardenberg bekam er die – zu dieser Zeit nicht selbstverständliche – Pressefreiheit zugesichert. Spätestens während der "Herrschaft der Hundert Tage", als Napoleon noch einmal die Macht in Frankreich übernahm, wurde der "Rheinische Merkur" zu einem politischen Sprachrohr Europas.

Görres und der Rheinische Merkur regten zu kontroversen Diskussionen an

Mit der Schlacht bei Waterloo im Juni 1815 endete der Krieg in Europa. Joseph Görres und sein "Rheinischer Merkur" wandten sich ab von ihrer preußisch-patriotischen Rolle. In der Folgezeit kritisierten sie die Politik der deutschen Könige und Fürsten. Die Restauration – also die Wiederherstellung vorrevolutionärer Verhältnisse – konnten Görres und seine Mitarbeiter nicht akzeptieren. Sie regten zu kontroversen Diskussionen an und wollten ein Mitbestimmungsrecht des Volkes.

Die Forderung von Einheit, Selbstbestimmung und Demokratisierung Deutschlands auf der einen Seite, aber auch die Rückbesinnung auf die Traditionen des Christentums andererseits provozierten. Zunächst die Fürsten, schließlich auch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. Ehemalige Fürsprecher der Zeitung wandten sich ab. Schließlich verbot die Zensurbehörde den "Rheinischen Merkur" aufgrund der harschen Kritik an der politischen Führung.

Bild: ©F. Diez

Joseph Görres war katholischer Publizist und Herausgeber des Rheinischen Merkurs (1814-1816).

"Es gibt keinen größeren Namen, zu dem wir greifen könnten. Mit der Ursprünglichkeit seines Denkens, mit der Kraft seiner Sprache, mit der ganzen hinreißenden Leidenschaftlichkeit seines Geistes hat Görres dem Rheinischen Merkur den höchsten Rang gesichert." Mit diesen Worten knüpfte der Journalist Franz Albert Kramer 130 Jahre später in seinem ersten Leitartikel an die Arbeit von Görres an – und übernahm auch den Namen "Rheinischer Merkur".

Kramer, der bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs im Schweizer Exil lebte, wollte nach der nationalsozialistischen Gleichschaltung einen glaubwürdigen Journalismus. Die erste Ausgabe des neuen "Rheinischen Merkur" erschien am 15. März 1946 mit einer Lizenz der französischen Besatzungsmacht. Zunächst erschien das Blatt zweimal wöchentlich und wurde noch im Jahr der Erstausgabe auf einmal wöchentlich umgestellt.

Denkt man an den neuen "Rheinischen Merkur", dann denkt man aber in gewisser Weise auch an Konrad Adenauer. So schrieb der Historiker und Politikwissenschaftler Hans-Peter Schwarz, dass "der gut katholische, zugleich mit allen Wassern der Weltklugheit gewaschene Rheinländer gewissermaßen der geborene Kanzlerkandidat des 'Rheinischen Merkur'" war. Klingt das auch etwas übertreiben, so lassen sich dennoch Gemeinsamkeiten wie Westbindung, christliches Erbe, Öffnung zu Frankreich, Einigung Europas, Föderalismus oder Anti-Kommunismus nicht von der Hand weisen, wie auch der ehemalige Chefredakteur Thomas Kielinger in einem Artikel der "Welt" bestätigte.

Deutsche Bischofskonferenz und acht einzelne Bistümer werden Gesellschafter

Der "Rheinische Merkur" war – wenn auch eher im katholischen Milieu gelesen – in erster Linie eine christliche Zeitung, die sich früh für die Zusammenarbeit der Kirchen einsetzte. Das sollte vor allem in den 70er-Jahren deutlich werden. Nachdem die Deutsche Bischofskonferenz und acht einzelne Bistümer – allen voran das Erzbistum Köln – Gesellschafter wurden, ging 1978 auch die evangelische Wochenzeitung "Christ __amp__ Welt" im "Rheinischen Merkur" auf.

In den 80er- und 90er-Jahren gab es den Versuch, den "Rheinischen Merkur" inhaltlich und optisch zu modernisieren. 2002 wurden zudem die Abonnenten der Hamburger Wochenzeitung "Die Woche" übernommen. Dennoch konnte der sich abzeichnende Trend sinkender Auflagen und Anzeigenerlöse, der immer mehr Printmedien betrifft, nicht aufgehalten werden.

Im September 2010 beschloss die Deutsche Bischofskonferenz als Mitgesellschafter auszusteigen. Die letzte eigenständige Ausgabe des "Rheinischen Merkurs" erschien am 25. November desselben Jahres. Totzukriegen sind sie dennoch nicht: die Themen Glaube, Geist und Gesellschaft. Unter dem Titel "Christ __amp__ Welt" ergänzt eine sechsseitige Beilage die Wochenzeitung "Zeit". Gemacht wird sie von fünf Journalisten, die auch schon für den "Rheinischen Merkur" gearbeitet haben. In den 200 Jahren ist der Journalismus immer christlich geblieben – und dadurch vielleicht kontroverser als je zuvor.

Von Björn Odendahl

Christ __amp__ Welt

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