Gegen den traditionalistischen Vorwurf von Traditionsbrüchen

Kardinal Kasper sieht 60 Jahre nach dem Konzil neue Aufgaben

Veröffentlicht am 08.12.2025 um 14:48 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ Erneuerung statt Rückzug: Kardinal Walter Kasper deutet 60 Jahre nach dem Zweiten Vatikanum Tradition als lebendigen Prozess. Was das für die Kirche bedeutet – und wann er ein neues Konzil für angebracht hält.

  • Teilen:

60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Vatikanischen Konzis (1962–1965) fordert Kardinal Walter Kasper dazu auf, "die Glut unter der Asche" neu zu entflammen. In einem am Montag veröffentlichten Interview der Zeitschrift "Communio" (online) sagte der einst für Fragen der Ökumene zuständige emeritierte Kurienkardinal, inzwischen sei eine neue Generation herangewachsen, die den begeisterten Aufbruch des Konzils nicht mehr erlebt habe und ihm "weithin indifferent" gegenüberstehe. In der "geistlichen Leere" einer "unübersichtlichen Postmoderne" tue Erneuerung aus dem Evangelium dringend not; "sie ist unsere einzige Hoffnung. Doch die Fragen stellen sich anders und im positiven Sinn des Wortes radikaler; sie gehen an die Wurzeln", so Kasper.

Auch wenn das Zweite Vatikanum keine formellen Dogmen und Lehrverurteilungen verkündet habe, könne man nicht davon sprechen, dass es "bloß ein Pastoralkonzil" gewesen sei. "Es gibt keine Pastoral ohne dogmatische Grundlage und keine Dogmatik, die nicht auch pastorale und spirituelle Konsequenzen hat, erklärt Kasper. So sei die Bezeichnung "Pastoralkonzil" keine Abwertung, "sondern eine klare Aufwertung, weil sie bestätigt, dass dieses Konzil keine theologischen Spekulationen verkündet, sondern den Nagel auf den Kopf getroffen und Wesentliches für das christliche Leben in unserer Zeit gesagt hat", betont der Kardinal.

"Tradition ist ein lebendiger Prozess"

Den von traditionalistischer Seite geäußerten Vorwurf von Traditionsbrüchen kontert Kasper mit der Feststellung, man dürfe Tradition nicht mit Traditionalismus verwechseln. "Die Tradition ist ein lebendiger Prozess, in dem der Heilige Geist uns immer neu in die ganze Wahrheit einführt (Joh 16,13). Tradition ist ein vom Geist geleitetes Wachsen und Reifen im Verständnis der Wahrheit des Evangeliums auf dem Boden der Heiligen Schrift und der lebendigen Tradition." Die Konzilstexte seien durchweg biblisch begründet und in der Lehre der Kirchenväter verankert: "Da ist nichts von 'Neomodernismus' und 'Traditionsbruch', vielmehr vieles von einem Baum mit wachsenden Ringen."

Die Konzilsdokumente hätten "das Gesicht der Kirche, vor allem in der Liturgie, verändert", sagt Kasper. Die Kirche habe sich nach innen und außen geöffnet: "Aus der Kleriker-Kirche sollte eine Kirche des Volkes Gottes mit der aktiven Beteiligung der Laien werden." Auch nach außen habe das Konzil viele Türen geöffnet: "für die Ökumene, den Dialog mit den nichtchristlichen Religionen, besonders für das Volk des Ersten Bundes und für die Mission hinaus in die Welt. Dahinter gibt es kein zurück. Dabei dürfen wir auch nicht stehen bleiben", so Kasper.

Welt im Transformationsprozess

Zwar werde es mit großer Wahrscheinlichkeit "noch vor dem Weltuntergang wieder einmal ein Konzil geben", doch sei die Zeit dazu aktuell nicht reif: "Nicht nur die Kirche, die Welt steckt mitten in einem tiefgreifenden Transformationsprozess." In der Kirche müsse erst klar werden, wie synodale Strukturen konkret aussehen sollten, bevor der Papst ein Konzil einberufen könne.

"Wenn es zu einer neuen Weltordnung, das heißt Einheit und Vielfalt in einer zwar digital vernetzten, aber vermutlich multipolaren Welt kommt, dann stellen sich für eine Weltkirche viele neue Probleme der Einheit in der Vielfalt, die sich in der bipolaren Welt der 1960er Jahre des Zweiten Vatikanums anders gestellt haben. Erneuerung aus dem Evangelium wird dann neu aktuell werden", sagt Kasper. (KNA)