Wie steht es um die Zukunft der Kirche?
In der am Dienstag erschienenen 450-Seiten starken Shell-Studie selbst wird eine Unterscheidung angemahnt: So müsse zwischen der Wichtigkeit des Gottesglaubens innerhalb der persönlichen Werteskala und dem Glauben selbst unterschieden werden, heißt es in einer Fußnote. Wolfgang Ehrenlechner, Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) ergänzt: "Die Shell-Studie zeigt: Gott, Glaube und Werte, die von der Kirche vermittelt werden, spielen bei Jugendlichen eine wichtige Rolle, aber die Institution Kirche genießt relativ wenig Vertrauen". Ähnlich wie Banken, Parteien und große Unternehmen landete sie unten in der Tabelle der Gruppierungen, denen die Jugend vertraut.
"Studie fängt nicht die ganze Wirklichkeit ein"
Es geht aber nicht nur um die Unterscheidung von Gottglauben und der Institution Kirche, sondern auch um die Art der Fragestellung bei der Studie. "Mit der Frageweise der Shell-Studie wird nicht die ganze Wirklichkeit eingefangen", sagt Hans Hobelsberger, der an der Katholischen Hochschule in Paderborn Professor für Praktische Theologie ist.
Beim Thema Religion nähmen die Autoren der Studie dogmatische Aussagen zugrunde und fragten nach denen ab. Hobelsberger nennt als Beispiel die Frage, ob man an einen persönlichen Gott glaubt (29 Prozent), eine unpersönliche göttliche Macht (17 Prozent), an keines von beiden (26 Prozent) oder nicht weiß, was man glauben soll (23 Prozent).
Laut Studienergebnissen glaubten an Gott als Person zwar 67 Prozent der Muslime, aber nur 27 Prozent der evangelischen Jugendlichen. Aber so abgefragt, sagt Hobelsberger, würden sogar Priesteramtskandidaten ähnliche Antworten geben. Er habe diese Shell-Frageweise selbst einmal mit Seminaristen ausprobiert. Zudem würde jeder Theologe, der an den persönlichen Gott glaubt, auch dem Satz "Gott ist eine höhere Macht" zustimmen, merkt Hobelsberger an.
Was glaubt unsere Jugend?
Nach fünf Jahren ist am Dienstag wieder eine große Shell-Jugendstudie erschienen. Katholisch.de hat das 450-seitige Werk auf die Religiosität von jungen Menschen, ihre Meinung zur Institution Kirche und ihre Vorstellungen von Familie untersucht.Einig sind sich Ehrenlechner und Hobelsberger, dass die neue Shell-Studie keine bahnbrechend neuen Erkenntnisse über die Jugend gebracht hat, sondern viele andere Untersuchungen bestätigt. Auch auf Veränderungen zu den Vorjahren hin untersucht, bliebe beispielsweise auch die Aussage "Ich rechne in meinem Leben mit Gott" relativ stabil, sagt der Theologe Hobelsberger.
Gottglaube stabil – Engagement ändert sich
Zum Leben in der Kirche gehören zusätzlich zum Glauben auch oft die Werke. Die katholischen Jugendverbände nehmen wahr, dass sich die Formen des Engagements bei den jungen Menschen ändern: Weniger dauerhaft verpflichtendes Einbringen in Gremien, mehr kurzfristiges Engagement wie bei der 72-Stunden-Sozialaktion mit 170.000 Teilnehmern oder Boykotte von menschenunwürdig und umweltzerstörend produzierenden Unternehmen. Dass viele Jugendliche nur noch punktuell dabei seien, verändere die Struktur in den Verbänden und sorge dafür, dass sie sich weiterentwickelten, sagt Ehrenlechner. Nennenswerte Mitgliederverluste verzeichne der BDKJ aber nicht.
Hobelsberger betont, dass die sinkende Bereitschaft (Ehren-)Ämter anzunehmen kein Jugendphänomen sei. Auch ein weiteres Ergebnis der Jugendstudie – dass ein ideologisches Verhältnis zur und eine strikte Ablehnung der Kirche weniger werde – gelte quer durch alle Generationen hinweg. Dahinter stecke ein Pragmatismus, der schon seit Jahren in der Gesellschaft erkennbar sei. Die Praktische Theologie spreche schon länger von der "Kasualienfrömmigkeit" der Menschen: "Zu bestimmten Zeiten wie einer Hochzeit oder der Beerdigung von den Eltern wird die Mitgliedschaft in der Kirche stärker aktiviert und danach geht es wieder in die rudimentäre Verbundenheit zurück," so Hobelsberger.
Soll man darüber nun Jammern oder die Chancen sehen? Hobelsberger zieht eindeutig die Chancen vor: Wenn die Menschen nach Deutung suchten, begegneten sich ihre Existenz und das Evangelium. Seelsorger sollten sich über die Aufgabe freuen, dass sie Menschen in entscheidenden Phasen ihres Lebens begleiten können. Bedeutet das aber, dass es in Zukunft keine Versammlungen der Gemeinde beim Sonntagsgottesdienst geben wird? Nein, meint Hobelsberger. Weiterhin gebe es zehn bis 15 Prozent der Katholiken, die Kirche als Gemeinde leben und das werde so bleiben. Es gehe nicht um eine Ablösung des einen Modells durch das andere, sondern darum, dass es auch beim Glauben eine Pluralisierung gebe.
Kirchenerfahrung bei Taize-Gebeten und bei der Flüchtlingshilfe
Die Kirche sei das "allumfassende Sakrament des Heiles", welches das Geheimnis der Liebe Gottes zu den Menschen zugleich offenbart und verwirklicht, zitiert er aus "Gaudium et spes", der Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils. Die Form dazu – Gemeinde, Taize-Gebet oder Beerdigung – sei zwar nicht egal, aber sekundär. "Wovon man sich aber verabschieden muss, ist die Vorstellung, dass aus so einem punktuellen Andocken der Menschen ein dauerhaftes Engagement oder eine regelmäßige Beteiligung entsteht", so der Theologe.
Was es für die Zukunft der Kirche braucht, sind Familien. Laut Shell-Studie nimmt der Kinderwunsch bei der Jugend jedoch ab. Hier kritisiert der BDKJ, dass junge Menschen derzeit zum Start ins Berufsleben zunächst hauptsächlich befristete Arbeitsverträge angeboten bekommen. "Prekäre Arbeitsverhältnisse sind keine Voraussetzung, um eine Familie zu gründen", sagt Ehrenlechner und fordert die Politik auf, mehr für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu tun.
Zum Schluss freut sich de 34-Jährige aber darüber, dass sich einer der positiven Trends, den die Shell-Studie an der heutigen Jugend feststellt, auch in den katholischen Jugendverbänden zeigt und gelebt wird: Demnach stehen Jugendliche der Zuwanderung positiv gegenüber. Bei den jungen Menschen bestehe derzeit ein großes Interesse, Flüchtlingen zu helfen, stellt Ehrenlechner fest. In den BDKJ-Verbänden und in den Kirchengemeinden leisteten die Jugendlichen aus ihrem christlichen Glauben heraus auf diesem Gebiet sehr viel für die Gesellschaft.