Ein heiliger Barbar
Am 28. Januar vor 1.200 Jahren starb Karl in Aachen. Im Gedankjahr erinnern viele Ausstellungen und Veranstaltungen an die herausragende Herrschergestalt - unter anderem in Zürich und alleine drei Präsentationen in Aachen, der Lieblingsresidenz. Zwei umfangreiche Biografien sind erschienen.
Dabei, so der Frankfurter Mittelalter-Historiker Johannes Fried, kann die Lebensgeschichte des Karolingers im Grunde gar nicht geschrieben werden. Privates ist kaum überliefert. Kein einziger Ausspruch sei mit letzter Gewissheit auf Karl zurückzuführen, schreibt er in seiner im Herbst erschienenen Biografie "Karl der Große. Gewalt und Glaube". Nicht mal das Geburtsjahr - 747 oder 748 - und der Geburtsort sind genau bekannt.
Fried beklagt zugleich, dass die Bedeutung des Karolingers heute weithin vergessen sei. Dass man Karl, dem erst um das Jahr 1.000 der Beiname "der Große" zugesprochen wurde, nach dem Zweiten Weltkrieg zum Gründervater Europas erkoren habe, sei unhistorisch. Karl war Franke - und nicht Franzose, Deutscher oder Europäer. Er verbrachte ein Leben im Sattel und ritt dabei mehr als einmal um den Globus.
"Karolingische Renaissance" nach Jahrhunderten des kulturellen Niedergangs
Karls Taten wirken bis ins Heute: Mönche wurden dazu verpflichtet, Handschriften zu sammeln und Bücher zu kopieren. Antike, überwiegend weltliche Handschriften blieben so der Nachwelt erhalten. Die Wiederentdeckung des Lateinischen, die heutige Form des Kalenders und der Schrift sind vom Aachener Hof und den dort versammelten Gelehrten ausgegangen. Karl habe mit seiner Bildungsreform und seiner Wertschätzung der Wissenschaft - etwa die Wiederentdeckung der Logik und Dialektik des Aristoteles - Grundlagen für das heutige Denken gelegt. Eine "Karolingische Renaissance" nach Jahrhunderten des Niedergangs der antiken Kultur.
Karl regierte über vier Jahrzehnte, und fast ununterbrochen führte er Kriege. Im Süden kämpfte er mit dem Papst gegen die Langobarden und verleibte sich deren Königstitel ein. An der Westgrenze schlug Karl nach Feldzügen über die Pyrenäen die dort ansässigen Mauren. Am längsten boten die Sachsen, die sich vehement der Christianisierung widersetzten, dem Frankenkönig die Stirn.
Erst nach einem letzten Aufstand im Jahr 804 war der Widerstand vollends gebrochen. Karl sah sich selbst als legitimer Nachfolger der römischen Kaiser. An Weihnachten im Jahr 800 empfing er vom Papst die kaiserliche Salbung - was in Byzanz, das sich ebenfalls als Nachfolgerin des untergegangenen Römischen Reiches sah, auf wenig Gegenliebe stieß.
"In sexuellen Dingen überraschend freizügig"
Fried beschreibt den Karolinger als einen Genussmenschen, der gerne mit seinen Getreuen in den warmen Wassern von Aachen badete. "Eine erfrischende Sinnlichkeit durchzog sein Dasein." In sexuellen Dingen sei er überraschend freizügig gewesen. Andererseits attestieren die Biografen dem Frankenherrscher auch heimtückische und gewalttätige Züge. "Gier, Machtkämpfe, Gewalt und Eidbruch regierten die Welt, in der Karl erzogen wurde", schreibt Fried. Und Stefan Weinfurter überschreibt seine Biografie mit dem Titel "Der heilige Barbar".
Aus heutiger Sicht ist kaum nachvollziehbar, wie der Franke Frömmigkeit und Brutalität vereinbaren konnte - etwa bei der Ausschaltung von Rivalen oder bei der drakonischen Christianisierung der Sachsen. Als einen Schlüssel seines Handelns sieht der Mittelalter-Experte die damalige Herrschaftsauffassung. Karl lebte in der Angst vor dem Ende der Welt. Und im Jüngsten Gericht würde er nicht nur für seine eigenen Sünden, sondern für alle Missstände in seinem Reich zur Rechenschaft gezogen. Deshalb die strikte Christianisierung und die Förderung von Kirchen, Klöstern und Gottesdiensten. Seiner Verurteilung im Letzten Gericht suchte der Kaiser, der 1165 aus politischem Kalkül heiliggesprochen wurde, mit aller Kraft zu begegnen.
Von Christoph Arens (KNA)