Standpunkt

Unvernünftige Hoffnung gegen den Zynismus

Veröffentlicht am 23.12.2025 um 00:01 Uhr – Von Peter Otten – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Nachrichten machen dieser Tage wenig zuversichtlich für die Zukunft. Doch Peter Otten lässt sich vom Propheten Jesaja inspirieren und setzt dem eine unvernünftige wie notwendige Hoffnung entgegen: "Die Steppe wird blühen."

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Manchmal denke ich, die biblischen Propheten würden heute als vollkommen Verrückte weggesperrt. Jesaja zum Beispiel. "Die Steppe wird blühen", sagt er einem völlig desillusionierten Volk. Identität weg, Heimat weg, Zuversicht weg – ein kollektiver Burn-out, ohne Aussicht auf Reha. Aber Jesaja stellt sich hin und verkündet eine blühende Zukunft, die damals so wahrscheinlich klang wie heutzutage ein höflicher Kommentar unter einem Facebook-Post.

Heute haben wir unsere eigenen Steppenlandschaften: digitale Blasen, so hermetisch, dass Menschen eher durch ein Nadelöhr gehen als in einen Diskurs mit Menschen anderer Auffassung. Vertrauen in Kompromisse? Verschwunden. Und da haben wir noch nicht über das Klima gesprochen oder die Zeitung aufgeschlagen.

Und doch wird alle Jahre wieder in diese Düsternis hinein dieses völlig verrückte Wort gesprochen: "Die Steppe wird blühen." Das scheint angesichts von Kriegen und Katastrophen genauso unsinnig wie die Weihnachtsgeschichte: der Schöpfer des Universums, geboren in aller Armseligkeit. Beide Bilder aber sind erstaunlich unvernünftig wie notwendig. Denn sie halten die Idee wach, dass es auch anders geht. Nicht Konflikt und Krawall, Gezeter und Geschrei, Hass und Herzlosigkeit, Düsternis und Durcheinander müssen dominieren. Es geht auch anders. Mit anderen Worten: es gibt Hoffnung.

Und es stimmt ja: Ein Mensch zeigt unerwartete Güte. Ein anderer widerspricht dem Zynismus. Irgendwo wird ein Streit beigelegt, bevor er zu einem kleinen Bürgerkrieg heranwächst. Ein junger Mensch kandidiert für den Stadtrat. Kleine schüchterne Blüten.

Das nächste Jahr wird wieder anstrengend, da müssen wir uns nichts vormachen: schrumpfende Geduld, wachsende Erregung, Wahlkämpfe, die womöglich aussehen werden wie Trash-TV. Aber Weihnachten sagt: Lass die Hoffnung nicht fahren. Es gibt keinen Grund.

Denn Weihnachten kann zu einem Schulterschluss all derer werden, die guten Willens und offenen Herzens sind. Ob nun religiös oder anders verdrahtet. Hoffnung bedeutet ja nicht Naivität, sondern eine gewisse trotzig-realistische Freundlichkeit dem Leben gegenüber. Hoffnungsvolle Menschen gehen los. Mit dem, was eben gerade da ist. Denn sie wissen: dass, was da ist, ist in jedem Fall mehr als nichts.

Von Peter Otten

Der Autor

Peter Otten ist Pastoralreferent in der Pfarrgemeinde St. Agnes in Köln. Seit einigen Jahren bloggt er unter www.theosalon.de.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.