Paradoxe Wahrnehmung
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Die römische Bischofssynode ist vorbei. Die drei Wochen der Beratung von 270 Synodenvätern waren spektakulärer als ihre 94 Aussagen zu Ehe und Familie. In die Schlagzeilen schafften es ein schwuler Kurienmitarbeiter, Unterzeichner und Unterschriftendementierer eines Papstbriefes ("Vatileaks II") sowie ein frei erfundener medizinischer Befund des Bischofs von Rom. Diese Zwischenfälle werden rasch vergessen sein. Sie taugten ohnehin nur für ein mediales Strohfeuer. Und die Synode selbst?
Am Tag nach der Veröffentlichung des Schlussdokuments hat die Arbeit an den Tagungsbilanzen und Textkommentaren begonnen. Ab heute werden bereits Bilanzen bilanziert und Kommentare kommentiert. Kirchenoffizielle Stellen praktizieren dabei die katholische Variante einer doppelten Buchführung: Man gesteht ein, beim Thema "wiederverheiratete Geschiedene" nicht das mögliche Maximum erreicht zu haben, hält aber angesichts der widrigen Umstände in der Synodenaula das erzielte Minimum für ein Optimum. Man ist im Soll geblieben und verzeichnet dennoch einen Zuwachs auf der Habenseite.
Solche Paradoxien begegnen mehrfach. Was eine Selbstverständlichkeit ist, versteht sich für manchen Kirchenmann immer noch nicht von selbst, sondern muss eigens betont werden: freimütige und offene Diskussionen. Dass verhindert wurde, Fortschritte im Umgang mit Problemfeldern kirchlicher Sexualmoral zu verhindern, gilt als Fortschritt. Progressiv ist nun, wer Fortschrittsverhinderungen verhindert. Und wie definiert man "konservativ"?
Als zukunftsweisend gilt ein Blick in die Vergangenheit. Ein betagtes Zitat aus dem Apostolischen Schreiben "Familiaris consortio" (1981) von Papst Johannes Paul II. soll neue Spielräume in der Geschiedenenpastoral eröffnen. Aber genau dieser Textpassus (These 85) hat bei der Abstimmung die meisten Gegenstimmen erhalten. Ging er den Synodenvätern bereits zu weit?
Manch andere Hoffnung blieb unerfüllt, wie auch manches positive Klischee widerlegt wurde. Für geraume Zeit setzte man große Erwartungen in die "jungen" Kirchen der sogenannten "Dritten Welt". Ihnen traute man jene Aufbrüche im Glauben zu, zu denen eine in ihren Traditionen und Institutionen erstarrte eurozentrische Kirche nicht mehr in der Lage schien. In Rom war davon wenig zu spüren. Im Gegenteil. Der aus Guinea stammende Kurienkardinal Robert Sarah fiel vor und während der Synode durch heftige dogmatische Vollbremsungen auf (und provozierte damit kirchendiplomatische Auffahrunfälle).
Die römische Synode ist vorbei. Aber die Kirche soll nach dem Wunsch von Papst Franziskus verstärkt synodalen Prinzipien folgen. Hoffentlich vermeidet sie dabei jene Paradoxie, die in Rom deutlich wurde: Die Kirche tritt bei vielen Themen heftig auf der Stelle und erweckt damit den Anschein, sie sei beträchtlich in Bewegung.