"Mehr als nur Hörsaal und Hausarbeiten"
Das, wovon viele Kirchengemeinden nur noch träumen können, ist in der Katholischen Hochschulgemeinde in Würzburg Alltag. Nicht nur, wenn das Semester mit dem ökumenischen Gottesdienst eröffnet wird, ist die Thomas-Morus-Kapelle in der Hofstallstraße so gut besucht. "Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir es nicht mit abnehmenden, sondern sogar mit zunehmenden Zuspruch zu tun haben und beinahe regelmäßig an die Grenzen unserer räumlichen Kapazitäten geraten", sagt Hose. Der 48-jährige katholische Priester ist seit 2008 für die Katholische Hochschulgemeinde (KHG) in Würzburg zuständig.
Während des Semesters sind es an die 1.000 Studierende, die wöchentlich in das Gemeindezentrum kommen, um Gottesdienste zu feiern, Vorträge zu besuchen, an Arbeitskreisen teilzunehmen, sich in Fragen des Lebens und des Glaubens beraten zu lassen oder kreativ zu sein. "Wir zielen nicht darauf ab, Menschen missionieren oder ihnen den Glauben überstülpen zu wollen", sagt Hose. Für ihn das Erfolgsrezept, entgegen dem sonst vorherrschenden Trend, junge Menschen für die Kirche begeistern zu können. "Kirche ist für uns ein Raum, in dem Menschen sich auf unterschiedlichste Art und Weise einbringen und ihre Persönlichkeit frei entfalten können."
Egal ob spirituell, kreativ oder in der Begegnung mit anderen. Es sind insbesondere zwei Säulen, die die Arbeit der Katholischen Hochschulgemeinde in der unterfränkischen Universitätsstadt bereits über viele Jahre hinweg tragen: In rund 40 selbstorganisierten Arbeitskreisen engagieren sich die Studierenden für Flüchtlinge, verbringen ihre Freizeit mit Strafgefangenen oder Menschen mit Behinderung, musizieren gemeinsam, spielen Theater, kochen oder tanzen. Daneben gibt es ein breites Beratungsangebot.
Die Relevanz des Evangeliums in der heutigen Zeit
Gerade dieses gewinnt zunehmend an Bedeutung. "Wir merken sehr deutlich, dass die Studierenden im Zuge des Bologna-Prozesses (Europäische Studienreform, Anm. d. Redaktion) vermehrt überlastet sind", sagt Hose. Neben geistlicher Begleitung von Studierenden, die im Unialltag ihren Glauben im Blick behalten möchten, sind er und seine Kollegen insbesondere bei Schwierigkeiten im Studium, Stress im WG-Leben oder bei Beziehungsproblemen gefragt. Sie alle finden hier genauso Halt, wie Studierende, die einen geliebten Menschen verloren haben.
"Unser Verständnis ist es, als Kirche den Studierenden die Dienste anzubieten, die in ihrer Situation gefragt sind", sagt Hose. Ungebrochenen Zuspruch erfahren nach wie vor auch die spirituellen Angebote. Der meditative Gottesdienst zur Wochenmitte ist genauso gut besucht, wie das Taizé-Gebet, Meditations- und Qigongkurse oder Schweigetage im Kloster für Studierende im Prüfungsstress. "Für mich als sehr biblisch geprägten Menschen, ist die entscheidende Frage immer die, welche Relevanz das Evangelium in der heutigen Zeit hat", sagt Hose. "In meiner Arbeit möchte ich genau diese Frage aufgreifen."
Kirchenleute mit einem mutig anderen pastoralen Konzept faszinieren den Geistlichen, der selbst in Würzburg und Luzern Katholische Theologie studierte, seit jeher. Sein Vorbild: Jacques Gaillot, Autor des Buchs "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts". Das Evangelium - für ihn hochpolitisch. Es diene nicht dazu, ewige Wahrheiten zu transportieren: "Es ist immer im Kontext der Zeit zu verstehen und reagiert stets auf das, was gesellschaftlich gerade aktuell ist." Dass sich der Pfarrer bereits seit 1986 mit asylpolitischen Themen beschäftigt, sich im Bündnis für Zivilcourage Würzburg und im Ombudsrat gegen gesellschaftliche Diskriminierung und für Zivilcourage der Stadt engagiert, verwundert da nicht.
Eine Heimat nicht nur für Studierende
Im vergangenen Jahr wurde er dafür mit dem Friedenspreis der Stadt ausgezeichnet. "Es ist wichtig, dass wir als Kirche noch mehr dorthin gehen, wo die Menschen sind und nicht darauf warten, dass sie zu uns kommen", sagt er. "In meinem Engagement für Flüchtlinge und gegen Rassismus und Ausgrenzung begegne ich Menschen aus den unterschiedlichsten Kontexten, die sich aber alle für eine gemeinsame Sache einsetzen. Diesen Gedanken müssen auch wir verinnerlichen. Als Kirche sollten wir unsere Bastion verlassen und bestehende Barrieren überwinden."
Die konfessionellen Grenzen haben Hose und seine evangelische Kollegin, Studentenpfarrerin Susanne Hötzel, längst überwunden. Auch ganz praktisch. Nicht nur den Eröffnungsgottesdienst begehen sie gemeinsam. Die Zeitung teilen sie sich genauso wie die Waschmaschine. "Eine konfessionalistische Hochschulseelsorge wäre heute überhaupt nicht mehr denkbar", sagt Hose.
Diese Einstellung hat auch Carolin, die im siebten Semester Sonderpädagogik studiert, von Beginn an fasziniert. Gemeinschaft. Freiraum. Respekt. Begegnung. Wertschätzung. Energie. Mehr als diese sechs Worte benötigt sie nicht, um auszudrücken, warum sie in der Katholischen Hochschulgemeinde eine neue kirchliche Heimat gefunden hat. In ihrer Gemeinde zu Hause habe sie genau jene offene Einstellung und jene gelebte Aufrichtigkeit vermisst. "Hier muss sich niemand verbiegen, um akzeptiert zu werden. Jeder kann sich so einbringen, wie er ist", sagt sie.
Sich einbringen können, aber nichts müssen – jene Devise ist für Pfarrer Hose wichtiger Bestandteil seiner Arbeit. "Wir wollen versuchen, den Studierenden aufzuzeigen, dass das Studium mehr als nur Hörsaal und Hausarbeiten bedeutet und ihnen die Möglichkeit bieten, diese wichtige Lebenszeit sinnvoll für sich auszufüllen." Die Katholische Hochschulgemeinde, sie ist eine leistungsfreie Zone, in der es nicht um ECTS-Punkte oder Leistungsnachweise geht. "Ich finde es schön, junge Menschen in dieser prägenden Phase ihres Lebens als Theologe begleiten zu dürfen", sagt Hose.
Dabei sind es nicht nur junge Studierende, die ihre kirchliche Heimat in der KHG finden oder wiederfinden. Im Gottesdienst sitzen Mütter mit ihren Kindern genauso wie Mittdreißiger, die an der Universität lehren, forschen und arbeiten. Mit Angeboten wie dem Familienbrunch oder einem eigenen Begegnungsforum, der "DENK-Bar", bietet die Akademikerseelsorge all jenen Anknüpfungspunkte, die als Wissenschaftler oftmals nur für einen befristeten Zeitraum in der Stadt zu Hause sind. "Gerade für diese Menschen ist es oftmals sehr schwierig, an traditionellen Gemeinden anzudocken", sagt Hose. Eine kirchliche Heimat zu finden, ist ihnen deshalb meist nicht vergönnt.
Eine lebendige Gemeinde ohne verkrustete Strukturen
Die Katholische Hochschulgemeinde in Würzburg kann für all jene Aufgaben auf ein vergleichsweise großes Team zurückgreifen. Sieben Mitarbeitende im Pastoralteam - darunter Theologen, Pädagogen und eine Sozialarbeiterin - begleiten die Studierenden. Daneben kümmern sich drei Mitarbeiterinnen um Verwaltung und Finanzen, ein Bundesfreiwilligendienstler und zahlreiche Studierende im Ehrenamt und Nebenjob unterstützen die Arbeit der KHG darüber hinaus. "Der Umstand, dass die Diözese Würzburg uns durch ihr finanzielles Engagement diese Möglichkeiten überhaupt erst eröffnet, ist ein wesentlicher Bestandteil, warum wir einen solchen Zuspruch erfahren", sagt Hose.
Statt wie anderswo nur als Einzelkämpfer, ausgestattet mit einer Halbtagstelle, könne man auf diese Weise im Team ein Konzept entwickeln, das trage. Die Universität selbst ist letztlich Nutznießer dieses Engagements, wenngleich diese für den Hochschulseelsorger zugleich die größten Herausforderungen für seine Arbeit darstellt. "In den Begegnungen mit den Hochschulen merke ich, dass diese zunehmend ein Ort werden, die über die zu erbringende Studienleistung hinaus, wenig Freiraum bieten wollen."
Das Bewusstsein dafür zu fördern, dass man die jungen Menschen nicht nur nach ökonomischen Gesichtspunkten betrachten dürfe und diese mehr bräuchten, als einen Beamer in jedem Seminarraum, sei nicht immer einfach. "Dieses gesellschaftliche Gesamtproblem, dass verkannt wird, dass auch Wertevermittlung und Freiraum für Entwicklung eine wesentliche Komponente des Menschseins sind, erlebt man zunehmend auch an den Universitäten."
Auch mal etwas ausprobieren
Im kommenden Semester auch mal etwas auszuprobieren, Lust darauf zu haben, etwas abseits des fokussierten Weges zu entdecken - dazu laden Hose und seine evangelische Kollegin an diesem Sonntagabend ein. Es gelte, etwas für sein eigenes Leben mitzunehmen. Vielleicht sogar die Liebe fürs Leben. Manches Pärchen habe sich schon beim Eröffnungsgottesdienst kennen und wenig später auch lieben gelernt, sagt Hose.
Diesen einen Standardspruch, den der Geistliche zu jedem neuen Semester zum Besten gibt, kann Thomas verschmerzen. Ansonsten schätzt der 23-jährige Student der Luft- und Raumfahrttechnik, dass in der Katholischen Hochschulgemeinde gerade nicht das Motto gelte "Das haben wir immer schon so gemacht" und sich stets alles nach starren Vorgaben wiederhole. "Es gibt keine verkrusteten Strukturen, die Gemeinde ist quirlig und lebendig", sagt er. Vom ersten Tag an habe er sich eingeladen gefühlt. Nicht nur er, wie der Gottesdienst zu Beginn des neuen Semesters zeigt.