Eine Entscheidung des Gewissens
Alle vier Entwürfe, die im Bundestag zur Abstimmung standen, waren interfraktionell erarbeitet worden. Den Abgeordneten wurde von ihren Fraktionen die Abstimmung vollkommen frei gestellt. Katholisch.de hat vier Abgeordnete - stellvertretend für die vier Entwürfe - gebeten, ihre Entscheidung und die Beweggründe zu erläutern.
Matthias W. Birkwald (Die Linke)
Ursprünglich unterstützter Entwurf: Künast/Gehring/Sitte
Ich habe heute gegen alle vier vorliegenden Gesetzentwürfe gestimmt, also vier Mal mit "nein". Analog zur Ersten Hilfe braucht es für Menschen mit freiem Willen auch die Möglichkeit, selbstbestimmt eine Letzte Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich nehme für mich in Anspruch zu sagen: Mein Ende gehört mir. Dieses Recht steht meiner Meinung nach allen Menschen zu. Alle Gesetzentwürfe, die heute zur Abstimmung standen, schränken die Möglichkeit, selbstbestimmt zu sterben, jedoch ein. Das will ich nicht.
Zudem hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages inzwischen auf die verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Entwürfe von Brand/Griese, Hintze/Lauterbach und auch auf den von mir ursprünglich mitgezeichneten Entwurf von Künast/Sitte hingewiesen. Das nehme ich ernst. Nach den Debatten des vergangenen Jahres und vor allem nach der öffentlichen Sachverständigenanhörung habe ich immer mehr Zweifel bekommen, ob die Androhung strafrechtlicher Sanktionen in diesem höchstpersönlichen Lebensbereich richtig wäre. 80 Prozent der Bevölkerung wünschen sich die Option einer Freitodbegleitung. Die wird es nicht mehr geben, wenn medizinisches Personal und Sterbehelferinnen und Sterbehelfer damit rechnen müssten wegen der geleisteten Suizidbeihilfe kriminalisiert zu werden.
Ich hätte heute für den von Katja Keul (Grüne), Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU), Brigitte Zypries (SPD) und mir vorgelegten Antrag "Keine neuen Straftatbestände bei Sterbehilfe" (DS 18/6546) gestimmt, damit auch lebensmüde Menschen bei uns jemanden finden, die oder der ihnen zuhören darf, ohne dass die Staatsanwaltschaft aktiv werden muss. Neue Straftatbestände im Hinblick auf die Beihilfe zur Selbsttötung sind meines Erachtens nicht erforderlich.
Nach der deutschen Rechtslage ist die Tötung auf Verlangen, anders als z.B. in Belgien oder den Niederlanden, unter Strafe gestellt. Das zu ändern hat im Bundestag niemand beantragt und das halte ich auch für richtig. Menschen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, mit dem Gedanken tragen, ihr Leben selbst zu beenden, sollen aber uneingeschränkt Zugang zu ergebnisoffener Beratung und Unterstützung haben, damit sie in Würde sterben können und sich nicht genötigt sehen müssen, einen harten Weg zu wählen. So können sie möglicherweise auch wieder von ihrem Vorhaben Abstand nehmen, wie ich den Erfahrungen des Berliner Arztes Uwe-Christian Arnold entnehmen konnte. Insofern ist Sterbehilfe auch Lebenshilfe. Ob diese Menschen sich ihren Angehörigen oder dem Arzt oder der Ärztin ihres Vertrauens zuwenden oder aber einem unabhängigen Sterbehilfeverein, sollte ihre Entscheidung bleiben und nicht vom Gesetzgeber vorgeschrieben werden. Müssten die Ärzte oder Vereine im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit Sorgen haben, sich strafbar zu machen, wäre den Betroffenen dieser Weg versperrt. Das will ich nicht.
Matthias Birkwald hat gegen das neue Gesetz gestimmt.
Zur Person
Matthias W. Birkwald ist seit 2009 Abgeordneter für die Partei Die Linke im Deutschen Bundestag. Der Diplom-Sozialwissenschaftler ist über die Landesliste Nordrhein-Westfalen in das Parlament gewählt worden. Birkwald ist rentenpolitischer Sprecher seiner Fraktion.Thomas Dörflinger (CDU)
Ursprünglich unterstützer Entwurf: Sensburg/Dörflinger
Ich habe mich für ein generelles Verbot der Suizidbeihilfe ausgesprochen. Das war keine leichte Entscheidung, da der Gesetzgeber bei der Abwägung von unterschiedlichen Verfassungsgütern besonders sorgfältig vorgehen muss. In diesem Fall stand das Verfassungsgut Leben gegen das Gut der freien Willensäußerung des Einzelnen. Diese beiden Güter resultieren aus Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes. Und da nach unserer Auffassung das Leben die Voraussetzung für die Entwicklung aller übrigen Rechtsgüter darstellt, ist dem Leben ein höherer Schutz einzuräumen als den übrigen Rechten. Das hat meinen Kollegen Patrick Sensburg und mich zu der von uns vorgeschlagenen Lösung geführt.
Als katholischer Christ sage ich zudem, dass der Mensch nicht über sein eigenes Leben verfügen darf. Der Glaube und die Lehre Jesu Christi führen mich zu dieser Auffassung. In der politischen Auseinandersetzung ist diese Einschätzung für mich als Katholik natürlich wichtig. Als Gesetzgeber muss ich dennoch auch andere Maßstäbe anlegen, in diesem Fall das Verfassungsrecht. So haben beide Aspekte – der Glaube und das Recht – beim Zustandekommen des Gesetzesentwurfs für mich eine Rolle gespielt.
Mindestens so wichtig und entscheidend wie die Debatte um die Suizidbeihilfe war übrigens die Debatte um den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Das hat vielen Kolleginnen und Kollegen mit Blick in die eigenen Wahlkreise seit langem unter den Nägeln gebrannt. Denn wir haben noch nicht überall eine adäquate Versorgung jener Menschen, die auf ihrem letzten Weg zu begleiten sind. Der Gesetzgeber hat nun die Voraussetzungen geschaffen, dass in der Palliativmedizin und in der Hospizbewegung wesentlich mehr getan werden kann als bisher. Das war mir im Zusammenklang mit der Entscheidung um die Suizidbeihilfe sehr wichtig.
Unser Vorschlag konnte heute keine Mehrheit erreichen. Auch wenn es Momente in der Diskussion gab, in denen die Grenzen des guten Geschmacks zum Teil weit überschritten wurden kann ich sagen, dass die Debatte über weite Strecken sehr sachlich verlief. Sie war auch gekennzeichnet durch die ein oder andere persönliche Erfahrung mit dem Thema.
Thomas Dörflinger hat für das neue Gesetz gestimmt.
Zur Person
Thomas Dörflinger sitzt seit 1998 für die CDU im Deutschen Bundestag. Der ausgebildete Journalist ist bekennender Katholik. Gemeinsam mit seinem Fraktionskollegen Patrick Sensburg hatte er eine eigene Gesetzesvorlage in die Debatte eingebracht.Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen)
Ursprünglich unterstützter Entwurf: Brand/Griese
Ich habe mich für ein Verbot der geschäftmäßigen Sterbehilfe ausgesprochen, weil sich in Deutschland Sterbehilfeorganisationen und andere Anbieter etabliert haben, die für die organisierte Sterbehilfe werben und damit den Suizid fördern. Ich fürchte, dass es dadurch zu einer Sogwirkung kommt. Ich möchte nicht, dass unsere Gesellschaft an Schwerkranke und Sterbende, an schwer Pflegebedürftige und Schwerbehinderte das fatale Signal sendet, doch freiwillig aus dem Leben zu scheiden, bevor man anderen zur Last fällt. Unerträglich ist mir der Gedanke, dass einige der Sterbehilfeorganisationen gezielt Menschen mit psychischen Leiden ansprechen und ihnen mit dem organisierten Suizid einen Ausweg versprechen. Ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe soll genau diese Aktivitäten treffen. Mir ist wichtig, dass weder der Suizid noch die Suizidhilfe, die im Einzelfall in einer schwierigen Konfliktsituation gewährt wird, unter Strafe gestellt werden.
Ich möchte, dass sich diese Gesellschaft als eine sorgende versteht, die Menschen am Lebensende und in einer Situation, in der sie extreme Schmerzen, Hilfs- und Pflegebedürftigkeit erleben, alle nötige Hilfe und Unterstützung zukommen lässt. Aus Erfahrung und Befragungen wissen wir, dass viele die Möglichkeiten der Palliativmedizin und -betreuung nicht kennen. Das muss genauso geändert werden, wie dass wir endlich flächendeckend diese Versorgung jedem zugänglich machen. Auch die Möglichkeiten für eine niedrigschwellige Krisenhilfe und Suizidprävention für Menschen in einer psychischen Notlage reichen bislang in vielen Regionen nicht aus. Ich meine, alle diese Hilfen müssen wir stärken, nicht aber Angebote, das eigene Leben zu beenden. Als gesamte Gesellschaft sollten wir nicht zulassen, dass sich unsere Vorstellungen von einem würdigen Leben verengen, sondern wir müssen sie im Gegenteil erweitern.
Maria Klein-Schmeinkhat für das neue Gesetz gestimmt.
Zur Person
Maria Klein-Schmeink sitzt seit 2009 für die Partei Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Die Soziologin ist derzeit gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion.Burkhard Lischka (SPD)
Ursprünglich unterstützer Entwurf: Hintze/Reimann/Lauterbach
Ein Leben in Würde, aber auch ein Sterben in Würde: Würde bleibt Würde, bis zum letzten Atemzug. Nur wie sieht eigentlich ein würdiges Sterben aus? Dazu gibt es höchst unterschiedliche und sehr persönliche Antworten: Für die einen besteht ein würdiges Sterben darin, dass der Körper selbst und nicht der Mensch den Todeszeitpunkt vorgibt. Für die anderen gehört zu ihrer Würde, dass sie als Todkranke selbst entscheiden können, ob und wann sie ihr Leben beenden, wenn sie ihr Leid als unerträglich empfinden. Beide Auffassungen müssen einen Platz in unserer Gesellschaft haben.
Wenn wir über "Sterbehilfe" sprechen, geht es vor allem auch darum, wie weit sich der Staat in die intimsten Bereiche individueller Lebenssituationen einmischen kann und soll. Ich finde es eine Anmaßung, wenn der Staat mit strafrechtlichen Verboten in diese sensiblen Bereiche der menschlichen Existenz hineinregiert und Todkranken abspricht, in ureigenen Angelegenheiten gemeinsam mit Ärzten und Familienangehörigen eine verantwortliche Gewissensentscheidung treffen zu können. Wie ein würdiges Lebensende auszusehen hat, das sollten wir den Menschen nicht im Bundesgesetzblatt vorschreiben. Es gilt vielmehr, mitfühlende ärztliche Gewissensentscheidungen zu schützen, wenn Menschen dem Tod ins Auge blicken, wenn sie ihr Leid, nicht mehr ertragen können, wenn Palliativmedizin Schmerzen zwar lindern, aber nicht aus der Welt schaffen kann.
Wir brauchen eine gesetzliche Regelung, die Ärzten und Patienten in extremen Notfall- und Leidenssituationen Rechtssicherheit verschafft. Ein solches Gesetz gewährleistet auch, dass kommerziellen Sterbehilfevereinen die Grundlage entzogen wird. Wenn Rechtssicherheit über den ärztlich assistierten Suizid in extremen Situationen besteht, werden sich todkranke Patienten vertrauensvoll an einen Arzt in ihrer Umgebung wenden, als Geld für einen anonymen Sterbehilfeanbieter auszugeben.
Unser Gesetzentwurf sah daher eine zivilrechtliche Erlaubnis des ärztlich assistierten Suizids unter folgenden Voraussetzungen vor: Es muss sich um eine unumkehrbar zum Tode führende Krankheit handeln, die von mindestens zwei Ärzten festgestellt werden muss. Dies bedeutet gleichzeitig, dass eine Suizidassistenz in Fällen psychischer sowie nicht zum Tode führender Krankheiten den Ärzten nicht erlaubt ist. Der Patient muss die Folgen seiner Entscheidung beurteilen können, d.h. er muss voll einwilligungsfähig sein. Dies ist Grundlage dafür, dass die zu konsultierenden Ärzte ihrem Patienten eingehenden medizinischen Rat geben und mögliche anderweitige, insbesondere palliativmedizinische Alternativen aufzeigen können. Wichtig ist uns aber vor allem, dass Ärzten die völlige Gewissensfreiheit zustehen wird: Sie entscheiden freiwillig, ob sie ärztliche Sterbehilfe anbieten möchten oder nicht.
Dieser Vorschlag ist ein guter Mittelweg, der sich nicht zuletzt an dem christlichen Leitbild der unantastbaren Menschenwürde orientiert. Diese Unantastbarkeit der Menschenwürde beinhaltet auch, dass eine humane Gesellschaft in Situationen, in denen Angst, Atemnot, Schmerzen und Qualen nicht mehr beherrschbar sind, die Kraft aufbringen muss, sterben zu lassen.
Burkhard Lischka hat gegen das neue Gesetz gestimmt.