Die Pfarrei neuen Typs
Aus den ehemals rund 340 Pfarreien sollen in Limburg einmal 45 neue Seelsorgeeinheiten werden. Für 2019 war der Abschluss des "Pfarreiwerdungsprozesses" ursprünglich geplant. Bischof Tebartz-van Elst hatte sich aber nicht – wie es eigentlich in der Bistumsordnung vorgesehen ist – kurial und synodal beraten lassen. Dann folgte sein unrühmlicher Abgang. Was blieb, war die Frage, ob die eingeleiteten Reformen fortgesetzt werden. Grothe, der Apostolische Administrator des Bistums, holte die Beratungen mit dem Diözesansynodalrat und Mitgliedern des ehemaligen Priesterrats nach. Am Ende stand die Entscheidung: Ja, es geht weiter. "Die neuen Pastoralen Räume aus mehreren Pfarreien sind auf jeden Fall zu bilden. In diesen werden einzelne weitere Schritte und auch die Geschwindigkeit auf die Pfarrei neuen Typs hin festgelegt", heißt es in dem gemeinsam getroffenen Beschluss.
Kitas, Pflegeheime oder Exerzitienhäuser waren nicht im Bewusstsein
"Pfarreien neuen Typs" – so lautet der Name der neuen Seelsorgeeinheiten. 23 von ihnen existieren mittlerweile. "Die Namenswahl ist zum einen zur rein technischen Unterscheidung zu den noch bestehenden alten Pfarreien getroffen worden", sagt Bistumssprecher Stephan Schnelle. Darüber hinaus gehe es aber um mehr, um eine inhaltliche Neuausrichtung. Denn auch wenn die zahlreichen Kindertagesstätten, Pflegeheime, Kranken- oder Exerzitienhäuser de facto bereits vorher zu den Pfarreien gehört haben, sei das "häufig nicht so sehr im Bewusstsein der Menschen verankert gewesen". Es gehe um den Netzwerkgedanken und darum, dass es außerhalb der Kirchengebäude noch weitere Orte kirchlichen Lebens gibt, so Schnelle.
Doch das Umdenken ist nicht leicht. Das weiß man auch im Bistum Limburg. Für viele Gläubige war es zunächst ein Einschnitt und eine schmerzhafte Erfahrung. Seit 2012 wurden Pfarreien aufgelöst und Kirchen profaniert, verkauft oder abgerissen. Doch mittlerweile findet vielerorts ein Umdenken statt. Man merke, dass die meisten Menschen diesen Weg mitgehen wollen. Auch, weil er eigentlich alternativlos ist, sagt Schnelle. "Die Gläubigen nehmen wahr, dass die materiellen, finanziellen und personellen Ressourcen sinken." Das gleiche treffe auf die Zahl der Katholiken selbst zu.
In den 1980er Jahren gingen die Verantwortlichen der Diözesen davon aus, dass man Pfarreistrukturen für knapp eine Million Gläubige schaffen musste. Aktuell sind es noch rund 640.000. Tendenz sinkend. "Der Schuh ist vielerorts einfach zu groß geworden", bilanziert Schnelle. Darüber hinaus bieten die neuen Pfarreien aber auch viele Vorteile. "Für das religiöse und spirituelle Leben des Einzelnen ist jetzt mehr Platz." Angebote, die eine kleine Gemeinde nicht mehr hätte machen können, ließen sich erhalten, manche sogar ausbauen: zum Beispiel in der Familienpastoral oder der Jugendarbeit. Und noch etwas geschieht. "Die Gläubigen merken: Wir sind noch immer viele", sagt der Bistumssprecher. Deutlich werde das etwa bei der Firmvorbereitung. Statt 15 kämen jetzt auf einmal 80 junge Menschen zur Katechese.
Koordination als große Herausforderung
Aber eine große Pfarrei, die viele Angebote macht, die viele Gläubige, Einrichtungen und Immobilien hat, steht zwangsläufig auch vor neuen Herausforderungen. Koordiniert wird die Arbeit aus dem zentralen Pfarrbüro. Die Mitarbeiter, die hier sitzen, sollen Freiräume für das seelsorgliche Handeln vor Ort schaffen. Sie sind mit den Gemeindebüros, sogenannten Kontaktstellen, und weiteren pastoralen Knotenpunkten vernetzt und für die Verwaltung der Pfarrei zuständig. Doch zeigten die bisherigen Rückmeldungen, "dass es Situationen gibt, in denen wir Haupt- und Ehrenamtliche bei Verwaltungsaufgaben noch stärker unterstützen und entlasten müssen", erklärt der Finanzdezernent des Bistums, Gordon Sobbeck.
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Früher hat man gesagt, dass der Pfarrer jedes seiner Schäfchen kennt. Bei Markus Pottbäcker ist das nicht so. Denn der Propst der Pfarrei St. Urbanus in Gelsenkirchen muss sich um 38.000 Katholiken kümmern. Katholisch.de hat ihn in Deutschlands größter Pfarrei besucht.Das ist nicht verwunderlich. Denn einige der neuen Pfarreien haben die Größe und Finanzkraft eines mittelständischen Unternehmens. "Die Steuerung von Baumaßnahmen oder die Klärung von haushaltsrechtlichen Fragen gewinnen dadurch immer höhere Bedeutung und erfordern mehr fachübergreifendes Wissen", so Sobbeck. Seit 2012 wurden den Pfarrern und ehrenamtlichen Verwaltungsräten sogenannte Verwaltungsnavigatoren zur Seite gestellt. Die waren im Finanzdezernat der Diözese angesiedelt und haben sich zeitgleich um vier bis fünf Pfarreien neuen Typs gekümmert.
Das soll sich nun ändern. In einem Pilotprojekt möchte das Bistum Limburg erstmals spezielle Verwaltungsleiter einsetzen, deren Kompetenzen und Aufgaben über die der bisherigen Navigatoren hinausgehen sollen. Sie könnten künftig "bestimmte Aufgaben vor Ort wie etwa Personalverantwortung und die Immobilienbetreuung abdecken und bei bestimmten Fragestellungen eigenständig entscheiden", erklärt Sobbeck. Organisation und Betriebswirtschaft sollen also weiter professionalisiert werden. Doch dafür braucht es zunächst Pilot-Pfarreien und auch Pilot-Verwaltungsleiter. Die Ausschreibungen dafür laufen. Von April bis September 2016 ist die Praxis-Phase des Projektes geplant.
Ob der Verwaltungsleiter in Zeiten rückläufiger Priesterzahlen künftig sogar eine gesamte Pfarrei führen könnte, ist noch nicht geklärt. Das allgemeine Kirchenrecht sieht das nicht vor (can. 515 §1 CIC). Doch in der deutschlandweit einzigartigen Synodalordnung des Bistums aus den späten 1960er Jahren heißt es, dass in Limburg der Pfarrer "die Pfarrei im Zusammenwirken mit dem Pfarrgemeinderat" leitet. Bistumssprecher Schnelle geht aber trotzdem davon aus, dass "der Pfarrer am Ende die Letztverantwortung haben wird".