"Begegnungen auf Augenhöhe"
Frage: Herr Kardinal, der Papst hat die deutschen Bischöfe zum Abschluss des Ad-limina-Besuch in einer gemeinsamen Audienz empfangen und sich mit einer Ansprache an sie gewandt. Wie ist der Text bei Ihnen und der Bischofskonferenz angekommen?
Marx: Wir schauen zurück auf das Gesamtprogramm des Ad-limina-Besuches. Eine ganze Woche haben wir hier in Rom verbracht und viele und sehr vielschichtige Begegnungen gehabt. Insgesamt waren es Begegnungen auf Augenhöhe, vor allem das Treffen mit dem Papst haben wir so empfunden. Es war für viele Mitbrüder etwas Außergewöhnliches, mit ihm in einer Runde zu sitzen und offen über alles sprechen zu können. Nach wenigen Minuten war die Atmosphäre so gelöst, dass sich viele zu Wort gemeldet haben.
Frage: Waren aber nicht die Einzelaudienzen, die der Papst früher jedem Bischof gewährte, sinnvoller?
Marx: Ich war zunächst auch etwas skeptisch. Aber ich empfand es dann als eine sehr schöne Art, in einer größeren Runde zu sitzen. Es bestand ein großes Vertrauen: Wir konnten Fragen diskutieren, die damit für alle offen waren, und die man nun auch gemeinsam weiter vertiefen kann. Beim Privatgespräch des Papstes mit einem einzelnen Bischof wäre das so nicht möglich.
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Frage: Die abschließende Rede enthielt aber dann einige kritische Akzente. Franziskus sprach von einer Erosion des Glaubens in Deutschland, von einer fortschreitenden Institutionalisierung, von einer lähmenden Resignation...
Marx: Da sind Punkte dabei, die die gesamte Kirche im Westen betreffen, ich würde sogar sagen weltweit. Der Papst spricht damit nichts Neues an, mit diesen Fragen beschäftigen wir uns als Bischofskonferenz seit Jahren intensiv. Aber Franziskus greift sie ausdrücklich auf, mahnt uns, sie nicht zu vergessen, auch wenn die Antwort keinesfalls einfach ist. Es geht darum: Wie können wir in einer säkularen Welt, in einer sich ständig weiterentwickelnden offenen Gesellschaft das Evangelium verkünden - ohne die traditionellen Stützen für die Kirche, die über Jahrhunderte in vielen Ländern und auch in Deutschland bestanden und selbstverständlich waren? Wie können wir in dieser völlig veränderten Situation missionarisch wirken, wie kann das Zeugnis des Glaubens heute aussehen? Wie können wir eine ehrliche, vom Evangelium her geprägte Zeitgenossenschaft leben?
Die Ansprache des Papstes war natürlich vorher vorbereitet worden, vor unserem Besuch. Ich empfinde es als Aufgabe des Papstes, auf grundsätzliche, auch kritische Punkte hinzuweisen. Warum sollten wir zusammenkommen, wenn wir uns nur gegenseitig loben und friedlich zusammensitzen, und nicht auch kritische Punkte aus der Sicht des einen wie des anderen nennen?
Frage: Welche Resonanz hat diese Rede gefunden?
Marx: Wir haben uns in der Bischofskonferenz noch nicht darüber ausgetauscht, zumal der Papst die Rede ja nicht gehalten sondern uns nur ausgeteilt hat. Wir müssen diesen Text aber auch die Begegnungen mit dem Papst und die vielen Gespräche in den Kurienbehörden, die teilweise parallel verliefen, jetzt zusammentragen, auswerten und schauen, welche Impulse sie für unsere Arbeit bringen.
Fünf Tage, 67 Bischöfe, ein Papst
Fünf Tage weilten die deutschen Bischöfe zum Ad-Limina-Besuch in Rom. Die Kurie kennen viele jetzt besser. Am Schluss legte Papst Franziskus den Finger in die Wunde und wurde deutlich. Ein Blick zurück.Frage: Der Papst sprach größtenteils allgemeine Themen an. Ganz konkret wurde er dagegen, als er die gesamte Konferenz zur Unterstützung der Universität von Eichstätt aufrief. Hatten Sie darüber vorher in den Kurienbehörden gesprochen, oder war das nur beim Papst ein Thema?
Marx: Wir haben auch kurz in der Bildungskongregation darüber gesprochen. In der Papstrede war es inhaltlich im Wesentlichen eine Wiederholung dessen, was uns bereits Papst Benedikt XVI. vor neun Jahren sagte.
Als Vorsitzender der Bayerischen Bischofskonferenz und als Großkanzler der Universität Eichstätt kann ich seine Ausführung natürlich nur begrüßen. Allerdings müssen wir als Bischofskonferenz das Thema in eine breitere Diskussion über die Präsenz der Kirche in der Wissenschaft in Deutschland einbetten. Darin bildet die Katholische Universität Eichstätt ein überzeugendes Element, das weiterentwickelt werden sollte. Aber sie kann natürlich nicht ganz Deutschland abdecken, dazu ist sie zu klein. Zudem haben wir eine reichhaltige Tradition an theologischen Fakultäten. Und an dieser Präsenz der Theologie an staatlichen Universitäten wollen wir festhalten.
Frage: Welches Standing hat die deutsche Kirche bei den vatikanischen Behörden? Was hat sich dazu bei Ihrem Ad-limina-Besuch gezeigt?
Marx: Das müssten sie eigentlich die Vatikanbehörden fragen. Ich glaube schon, dass man in Rom aufmerksam verfolgt, was in Deutschland geschieht. Die katholische Kirche Deutschlands zählt weltkirchlich nicht zu den kleinen Kirchen, auch zahlenmäßig nicht. Sie hat eine lange Tradition und verfügt über große Einrichtungen, die sich insbesondere weltkirchlich stark engagieren. Aber wie auch andere Ortskirchen stehen wir vor vielen Problemen und Herausforderungen.
Und natürlich können und müssen wir vieles besser machen. Das alles wissen wir, und das weiß man in Rom, wie ich in diesen Tagen mit Interesse wahrgenommen habe. Und auch der Papst hat eine große Aufmerksamkeit für die katholische Kirche in Deutschland.
Frage: Welche der Ad-limina-Gespräche waren besonders wichtig?
Marx: Darüber habe ich noch keinen Überblick. Für uns alle waren die Begegnungen mit dem Papst das absolute Highlight. Nicht nur, weil er der Papst ist, sondern auch wegen der Form und der wohlwollenden und brüderlichen Atmosphäre. Und wegen des Freimuts, in dem sie stattfanden. Viele Bischöfe haben ihn zum ersten Mal so erlebt. Und sie waren alle positiv beeindruckt, fühlten sich gestärkt und ermutigt, erlebten durch die Treffen und Gespräche neuen Schwung und neue Freude für ihren Dienst.
Natürlich gab es auch Dikasterien, wo wir durchaus kontrovers diskutiert haben. Es gibt Einzelthemen, die nicht immer einfach zu lösen sind. Sehr interessant und beeindruckend war für uns das Gespräch im Staatssekretariat über die aktuelle Weltlage, auch mit Blick auf den Terrorismus oder die prekäre Situation im Nahen Osten.
Es hat uns gezeigt, mit welcher Intensität beim Heiligen Stuhl an diesen Themen gearbeitet wird. Es machte uns deutlich, welche Chance wir als katholische Kirche haben, die eine weltweite Stimme hat, die auch politisch Einfluss nehmen kann.
Frage: Ist der Vatikan heute wieder stärker zu einem "Global Player" geworden?
Marx: Ich möchte nicht mit früher vergleichen, ich kann nur die letzten Jahre anschauen, in denen ich mich häufiger in Rom aufhalte.
In der Tat ist der Vatikan ein starker Player. Das erlebe ich auch immer wieder bei Fragen und Reaktionen aus der deutschen und internationalen Politik. Man hat hohes Interesse am Papst und seinem weltpolitischen Engagement, an den Besuchern, die er empfängt. Es ist sicherlich auch die ganz persönliche, auch überraschende Art, die nicht unbedingt diplomatisch abgezirkelt ist, die aber doch sehr klar und authentisch vermittelt wird, und gerade im Bereich der Politik eine große Wirksamkeit entfaltet.