Ohne Briefwechsel kein Papst aus Polen
Frage: Herr Kardinal, wie gut sind die Beziehungen zwischen Polen und Deutschland?
Nycz: Auf Kirchenebene sind sie sehr gut. Das erlebe ich seit einigen Jahren auch als Mitglied der Kontaktgruppe der Polnischen und Deutschen Bischofskonferenz. Die deutsch-polnischen Kirchenbeziehungen sind heute normal und korrekt.
Frage: Was hat ihr Verhältnis zu Deutschland beeinflusst?
Nycz: Als ich in Krakau aufgewachsen bin, sah ich, wie die Beziehung zwischen den polnischen und deutschen Bischöfen begann. Ich sah die Haltung und die guten Kontakte von Kardinal Wojtyla. Danach hatte ich das große Glück, dass ich über drei Jahre einem Brückenbauer zwischen Polen und Deutschland sehr nahe stand. Das war Bischof Ignacy Jez. Er war Häftling in Dachau und litt viel unter den Deutschen. Aber im Namen der Vergebung und der Versöhnung baute er Beziehungen auf, ähnlich wie viele Bischöfe und Priester dieser Generation.
Linktipp: "Eine Initialzündung"
Beim historischen Briefwechsel zwischen polnischen und deutschen Bischöfen vor 50 Jahren war Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg das Ziel der Oberhirten. Im Interview beleuchtet Erzbischof Ludwig Schick die Bedeutung dieser Briefe und den Stand der Versöhnung.Frage: Vor welcher Herausforderung steht die Kirche bei der deutsch-polnischen Zusammenarbeit?
Nycz: Falls es irgendein Problem gibt, dann eventuell die Seelsorge der Polen in Deutschland. Wir sind den deutschen Bischöfen für die Aufnahme der Polen und die Gründung von 120 polnischen Pfarreien dankbar, die vor allem für die Polen notwendig sind, die nach Deutschland gekommen sind, ohne die Sprache zu können.
Frage: Wie bewerten Sie die Botschaft "Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung" der polnischen Bischöfe an die deutschen Bischöfe vor genau 50 Jahren?
Nycz: Ich habe den Brief damals bewusst wahrgenommen. Ich ging zu dieser Zeit ins Gymnasium. Wenn ich mich recht erinnere, erwartete niemand, dass der Brief so viel Bewegung bringen würde: 1970 den Besuch von Bundeskanzler Brandt in Polen, 1972 den Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR und die Konsequenzen im Jahr 1990. Die Autoren des Briefes, vor allem sein Hauptautor, Erzbischof Boleslaw Kominek, waren geradezu Visionäre. Jemand hat mal richtig gesagt, Erzbischof Kominek ist der vierte Vater des vereinten Europas.
Frage: Es gibt die These, dass es ohne den Briefwechsel von 1965 keinen Papst aus Polen gegeben hätte. Sind Sie auch dieser Meinung?
Nycz: Dem stimme ich zu. Ich kenne ein paar Hintergründe aus dem Umfeld des Konklaves nach dem Tod von Johannes Paul I. Kardinal Wojtyla war schon im vorangegangenen Konklave in Erscheinung getreten. Bei seiner Wahl sollen der Wiener Kardinal Franz König und die deutschsprachigen Bischöfe eine immense Rolle gespielt haben. Ich habe auch eine weitere These: Dank des polnischen Papstes war sein Nachfolger ein Deutscher.
Frage: Wie aktuell ist der deutsch-polnische Versöhnungs-Briefwechsel heute, wenn wir uns die heutigen blutigen Konflikte in der Welt ansehen?
Nycz: Die Aussage des Briefwechsels ist universell. Sie half damals beim Aufbau des deutsch-polnischen Verhältnisses und führte zu einem erheblichen Wandel. Sie bleibt nützlich, wenn es um heute und morgen geht - nicht nur in Bezug auf Konflikte, die wir erleben. Wir sollten auf unsere deutsch-polnischen Beziehungen zum Wohlergehen von Europa und der Welt blicken. Schließen wir nicht die Tore, bewahren wir Offenheit und Solidarität, so dass wir gemeinsam in der Lage sind, Herausforderungen zu meistern. Das ist sicher das Lösungsmodell, das wir brauchen. Zum Beispiel in unseren Beziehungen zu der Ukraine und Russland.