Angst vor unangenehmen Fragen
Markus H. und Martina T., beide sind verheiratet, beide haben Kinder, beide sind berufstätig. Beide leisten viel. Und: Beide sind HIV-positiv. Zwei Menschen. Zwei Geschichten. Eine Erkrankung. Mit der Immunschwächekrankheit hat sich Martina T. vor 15 Jahren infiziert. Sie war drogenabhängig. Nach erfolgreicher Entgiftung beginnt sie ein neues Leben. 2005 kommt ihr gesunder Sohn zur Welt, heute managt sie nicht nur ihre Familie, sondern steht zudem mit beiden Beinen fest im Berufsleben. Trotz ihrer Infektion.
Markus H. ist bereits mit seiner Frau verheiratet und Vater von zwei gesunden Kindern, als er von seiner Infektion erfährt. Jahre zuvor hatte er sich bei einem homosexuellen Kontakt angesteckt. Auch Markus H. wird im Krankenhaus behandelt und medikamentös eingestellt. Heute ist er nicht nur glücklicher Familienvater und aktiv eingebunden ins örtliche Vereinsleben, sondern managt zudem seinen landwirtschaftlichen Betrieb. Auch er steht mit beiden Beinen fest im Berufsleben. Trotz seiner Infektion.
HIV und Arbeit. Ein Thema, viele Fragen
HIV und Arbeit. Ein Thema, viele Fragen. Muss ich meinem Arbeitgeber von der Infektion erzählen? Bin ich überhaupt noch arbeitsfähig? Kann ich meine Ausbildung zur Altenpflegerin fortführen? Bekomme ich ein Gesundheitszeugnis für eine Tätigkeit in der Gastronomie? Bei diesen Fragen ist Nathalie Deufel oft erste Anlaufstelle. Sie ist Sozialpädagogin beim "SkF-Treff" des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) in Freiburg, einer Beratungsstelle für HIV-positive Frauen und deren Angehörige.
Gemäß dem SkF-Leitbild, dem Glauben an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen, der Offenheit für die Not des Nächsten, erfahren dort Frauen auf Grundlage des christlichen Menschenbildes Unterstützung in besonderen Lebenslagen und -krisen. In der Beratungsarbeit steht immer mehr das Thema "Arbeit" im Mittelpunkt. Durch neue Therapien geht es vielen Betroffenen zunehmend besser.
Verbände: Sozialdienst katholischer Frauen
Gegründet wurde dieser Sozialverband von der engagierten Zentrumspolitikerin Agnes Neuhaus. Heute ist der SkF ein Fachverband der Kinder- und Jugendhilfe Katholisch.de stellt den Verband "Sozialdienst katholischer Frauen" vor.Sowohl bei Martina T. als auch bei Markus H. liegt die Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze. Heute leben nahezu doppelt so viele Menschen mit HIV beziehungsweise Aids in Deutschland, als noch vor 15 Jahren. Die Mehrzahl der Menschen mit HIV in Deutschland arbeitet. Nicht zuletzt deshalb haben sich auch die Aufgaben der Beratungsstellen geändert. Standen einst die Themen Sterben, Tod und Trauer im Fokus, sind es nun Fragen nach der Zukunftsgestaltung.
In den Köpfen vieler Menschen sind dagegen auch heute noch die Bilder von Erkrankten aus den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren präsent, als es noch keine vergleichbaren Therapiemöglichkeiten gab. Diese Erfahrung macht Nathalie Deufel im Beratungsalltag immer wieder. "Heute wird die Thematik in der breiten Öffentlichkeit ja leider außer rund um den Welt-Aids-Tag kaum noch wahrgenommen", sagt sie. "Daher sind bei vielen Menschen aus Unwissenheit noch immer viele Vorurteile in den Köpfen manifestiert."
Angst vor Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung
Unwissenheit darüber, wie eine Ansteckung möglich ist und vor allem wie nicht; Unwissenheit darüber, wie man trotz einer Infektion und dank einer medikamentösen Behandlung am normalen Arbeitsleben teilhaben kann. Beides führt zu Vorurteilen, Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung. Und veranlasst viele Erkrankte dazu, nichts von ihrer Infektion zu erzählen. Die Spannbreite reicht von abfälligen Äußerungen bis hin zu übler Nachrede, grundlosen Verboten von bestimmten Tätigkeiten, ungerechtfertigten Versetzungen und sogar rechtswidrigen Kündigungen.
Erfahrungen wie diese haben auch Martina T. und Markus H. dazu bewogen, ihre Erkrankung am Arbeitsplatz zu verschweigen. "Ich habe meine Arbeitsleistung immer voll gebracht und nur danach möchte ich auch beurteilt werden", sagt Markus H. "Ich will nicht, dass gefragt wird, ob ich mit der Erkrankung überhaupt belastbar bin und meine Arbeit zuverlässig erfüllen kann." Auch Martina T. hat Angst vor den klischeebehafteten Bildern in den Köpfen der Menschen. Auch sie hat Angst vor Diskriminierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung.
"Ich behalte meine Erkrankung derzeit für mich, spiele aber mit dem Gedanken, sie zur Sprache zu bringen", sagt sie. Inzwischen habe sie eine sehr gute Menschenkenntnis und könne einschätzen, wer damit umgehen könne und wer nicht. Die Atmosphäre an ihrem Arbeitsplatz schätzt sie als so familiär und offen ein, dass sie keine Nachteile fürchtet. Auch diese Beispiele gibt es.
"Eine solche Offenheit würde ich mir für alle Betroffenen wünschen", sagt Nathalie Deufel. Denn das Versteckspiel ist belastend. "Man erzählt ja generell nicht gerne von einer schweren Erkrankung, bei HIV kommen der Stress und die Angst dazu, stigmatisiert zu werden, wenn es herauskommt." Noch immer ist die Erkrankung ein weit verbreitetes gesellschaftliches Tabu.
Studie: Infizierte Arbeitnehmer sind leistungsfähig
Diese Erfahrung macht auch Ralph Mackmull regelmäßig. Der Religionspädagoge betreut in der Aids-Hilfe Freiburg als Systemischer Berater HIV-positive Menschen, darunter Markus H. "Die Betroffenen möchten sich keinen ständigen unangenehmen Fragen aussetzen müssen und zudem nicht ihre Leistungsfähigkeit infrage gestellt bekommen." Diese Rückmeldung bekommt er von seinen Klienten immer wieder.
Denn noch immer setzen viele Personalverantwortliche gleich: Eine HIV-Infektion bedeutet eine höhere Ausfallquote und verminderte Leistungsfähigkeit. Eine Annahme, die längst widerlegt ist. Eine englische Studie zeigt, dass infizierte Arbeitnehmer bei einer erfolgreichen HIV-Therapie genauso leistungsfähig sind, wie ihre Kollegen. Eine Aussage, der auch Ralph Mackmull und Nathalie Deufel mit ihrer Beratungserfahrung zustimmen.
Linktipp: Manifest gegen Diskriminierung
Mit einer klaren Absage an Diskriminierung und Gewalt gegen HIV-Infizierte ist in Australien die 20. Welt-Aids-Konferenz zu Ende gegangen. "Niemanden zurücklassen" heißt die Melbourner Erklärung gegen Diskriminierung, die bis Freitag mehr als 3800 Menschen und zahlreiche Organisationen unterzeichneten. Die Deutsche Aids-Hilfe zog positive Bilanz. Wissenschaft und Menschenrechte zusammenzuführen sei eine der wichtigsten Bedingungen für erfolgreiche Maßnahmen gegen HIV und Aids."Letztlich ist es ein Selbstschutz, sich nicht zu outen", sagt Ralph Mackmull. Gegenüber dem Arbeitgeber, um seine Anstellung nicht zu gefährden. Gegenüber den Kollegen, um nicht im Ansehen bei diesen abzurutschen. Ein Schutz, der wiederum neue Probleme mit sich bringt. Wie erklärt man die regelmäßigen Arzttermine zur Blutentnahme und zu Kontrollgesprächen, wie bekommt man es hin, die Medikamente über den Tag verteilt unauffällig einzunehmen?
Zu diesen Belastungen kommen die der Nebenwirkungen. Denn noch gibt es keine aussagekräftigen Langzeitstudien, die aufzeigen, inwiefern die medikamentöse Behandlung, die antiretrovirale Therapie, den Körper auf lange Sicht nicht doch in erheblichem Maße belastet. Das wird erst in rund 15 Jahren der Fall sein. Noch sind die Therapierten schlichtweg zu jung. "Natürlich bin ich im Moment leistungsfähig, aber was in etlichen Jahren ist, weiß ich schlichtweg nicht", sagt Markus H.
"Wir sind ganz normale Menschen, die ein ganz normales Leben führen"
Doch das ist nicht der Hauptgrund, warum sich der Landwirt Gedanken über seine berufliche Zukunft macht. "Die Verbraucher möchten möglichst günstige Nahrungsmittel auf dem Teller haben, wir möchten wenigstens unsere Kosten decken können." Zukunftsängste eines normalen Berufslebens. Trotz der Infektion. "Wir würden uns wünschen, dass unsere Krankheit wieder verstärkt ein Gesicht bekommt und nicht abstrakt bleibt", sagen beide.
"Wir sind ganz normale Menschen, die ein ganz normales Leben führen." Als Koch, der im Lieblingsrestaurant Tag für Tag Exquisites auf den Tisch zaubert. Als Arzt, der Tag für Tag am OP-Tisch das Leben anderer rettet. Als Pilot, der einen sicher von A nach B bringt.