Wirklichkeitstest Weihnachten
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Beim Flüchtlings-Thema hat es in den Köpfen führender Kirchenvertreter schnell "klick" gemacht. Sie haben gespürt, dass Solidarität hier und jetzt "ihr Ding" ist. "Unser Ding", um genau zu sein. Denn Kirche ist jeder, der "rk" oder "ev" in seinen Papieren stehen hat.
Je mehr Menschen bei uns Schutz suchen, desto stärker muss die Lobby sein, die sie beschützt: gegen eine Stimmungslage, die mit "Flüchtling" kein Gesicht mehr verbindet, sondern ein bedrängendes, bedrohliches Kollektiv. Hier kann die Kirche ein moralisches Gewicht geltend machen, von dem in der jüngeren Vergangenheit oft genug nur zu sagen war: "Gewogen und für zu leicht befunden."
Entscheidend dafür ist, dass Bischöfe und Pfarrer beherzt anpacken, was sie in diesen Tagen predigen. "Ich war fremd - und ihr habt mich aufgenommen". Es kommt ja nicht von ungefähr, dass Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch die Stelle aus dem Matthäus-Evangelium mit reichlich Tremolo im Bundestag zitierte. Dieses Wort lässt keinerlei Interpretationsspielraum. Es bindet alle Christen, Priester und Laien, Bischöfe und Parteichefs.
Um den ersten bundesweiten "Flüchtlingsgipfel" am Dienstag in Würzburg hat die Bischofskonferenz publizistisch viel Tamtam gemacht. Zu Recht. Was die Kirche an konzeptioneller und konkreter Hilfe für Flüchtlinge leistet, kann und darf sich sehen lassen. Darauf hebt auch ein Papier der Bischöfe ab, das als "Leitbild der kirchlichen Flüchtlingshilfe" veröffentlicht werden soll.
Aber warum denn - nach bisheriger Planung - erst 2016? Orientierung und Positionierung sind jetzt gefordert. Schnellstmöglich. Auch damit die Kanzlerin weiß, auf wen sie zählen kann, wenn sich die Seehofers, Söders und andere C-Parteifunktionäre wieder als Abkanzler aufführen. Klare politische Botschaften, die auch die schuldhafte Verstrickung unserer Gesellschaft in die Ursachen des Massen-Exodus aus dem Nahen Osten und aus Afrika benennen, stünden einem solchen Text gut an. Strahlkraft gewinnt ein Leitbild in Verbindung mit dem Vorbild.
So fordert der neue Oberbürgermeister der Stadt Solingen, Tim Kurzbach, noch deutlich mehr konkretes Engagement der Kirche. Der SPD-Politiker steht im Ehrenamt an der Spitze der Laienvertretung im Erzbistum Köln. Einem wie Kurzbach ist nicht danach, Bischöfe und Pastoren zu triezen. Er muss Probleme lösen, Tausende Flüchtlinge unterbringen. Das beherzte Angebot kirchlicher Räume oder Grundstücke für den Bau von Behelfsunterkünften - das wäre für Kurzbach und seine Kollegen in den Kommunen eine echte Hilfe. "Ich will mir nicht vorstellen, dass Katholiken festlich erbaut aus der Christmette kommen, am leeren, beheizten Pfarrheim vorbeigehen und wissen, dass ein paar Hundert Meter weiter die Flüchtlingsfamilien in Zelten hausen“, sagt Kurzbach. Der Wirklichkeitstest findet in exakt vier Wochen statt.