Benediktinerpater Anselm Grün über die Beliebtheit von Engeln

"Näher als Gott"

Veröffentlicht am 20.12.2015 um 12:01 Uhr – Von Karin Vorländer (KNA) – Lesedauer: 
Theologie

Bonn ‐ Ein Engel verkündet den Hirten die Geburt des Gottessohnes, Engel stimmen das Gloria an. Sie gehören zu Weihnachten dazu. Im Interview erläutert Pater Anselm Grün, warum sich Engel einer anhaltenden Beliebtheit erfreuen.

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Frage: Pater Anselm, Engel haben Hochsaison - nicht nur zu Weihnachten. Auch Menschen, die kirchlich gar nicht oder kaum noch gebunden sind, glauben an Engel. Wie erklären Sie sich das?

Grün: Die Offenheit für das Geheimnis, die Transzendenz ist nach wie vor da. Manche Menschen haben Schwierigkeiten mit Gott, weil sie negative Gottesbilder vermittelt bekommen haben. Engel sind unbelastet von negativen Bildern. Engel sind dem Menschen näher als Gott - sie sind erfahrbar.

Frage: Wie können wir die Existenz von Engeln denn spüren?

Grün: Ich denke, Schutzengel hat jeder schon erfahren, wenn er etwa in einem Unfall bewahrt worden ist. Auch reale Erfahrungen und Visionen sind möglich, aber da bin ich ein bisschen vorsichtig. Es besteht die Gefahr, dass man damit angibt oder sich als etwas Besonderes fühlt. Ein Engel - das kann ein innerer Impuls sein, das kann ein Traum sein, wo der Engel mich anspricht. Es kann auch ein Mensch sein, der mir im richtigen Augenblick begegnet oder eine Eingebung. Das alles können Engel sein. Engel sind Boten Gottes. Sie stehen zudem jedem Menschen schützend zur Seite - daher auch das beliebte Bild vom Schutzengel.

Engel: Himmlische Boten

Engel boomen: Bücher, Figuren und Kartensets füllen ganze Regale im Buchhandel. Die geflügelten Geistwesen gehören zu den faszinierendsten Figuren der Heiligen Schrift. Was wird über sie berichtet? Welche Aufgaben erfüllen sie? Das Dossier gibt Antwort auf diese und andere Fragen.

Frage: Sie erklären Engel mit Umschreibungen. Können Sie auch eine konkrete Definition geben?

Grün: Nein, denn Engel sind Bilder für die Wirklichkeit, über die man nur in Bildern sprechen kann. Ich bin Dogmatiker. Dogmatik ist die Kunst, das Geheimnis offen zu halten. Wenn man zu genau wissen will, was Engel sind, dann fliegen sie weg. Nicht umsonst haben die Künstler den Engeln Flügeln gegeben.

Frage: Spricht für ihre hohe Akzeptanz und Beliebtheit auch die Tatsache, dass sie nicht nur im Christentum bekannt sind?

Grün: Auf jeden Fall. Auch außerhalb der Bibel ist immer wieder von Engeln die Rede, sie sind ein interreligiöses Phänomen. Auch andere Religionen kennen eine Verbindung zwischen Gott und Menschen - und das sind eben die Engel.

Frage: Auf Ihrer Homepage schreiben Sie: "Ich wünsche Ihnen den Engel der Zuversicht", in einem Ihrer Bücher stellen sie sogar "33 Engel für Irrungen und Wirrungen des Lebens" vor. Was steht hinter diesen Wünschen?

Grün: Wenn ich Menschen den Engel der Zuversicht wünsche, dann ist das ein Ausdruck dafür, dass ich ihnen Zuversicht wünsche. Sie müssen diese Zuversicht aber nicht selber "machen". Ich sage nicht moralisierend "Seien Sie zuversichtlich". Die Zuversicht ist in jedem Menschen; und der Engel bringt den Menschen in Berührung mit der Zuversicht, die in seiner Seele liegt. Das ist nicht nur ein psychologischer Wunsch; es ist mehr ein Ausdruck von Gnade, dass Gott sie befähigt, diese Zuversicht zu spüren.

Galerie: 13 Bilder

Frage: Viele Menschen glauben eher an Engel als an Gott. Geht das überhaupt?

Grün: Letztlich kann man nicht über Engel sprechen, ohne über Gott zu reden. Sie stehen nicht für sich, sondern verweisen auf Gott. Er sollte letztendlich mein Gegenüber sein, auch wenn er mich herausfordert und infrage stellt - etwa mit der Frage, ob mein Leben stimmt. Diesen fordernden Aspekt versuchen die Menschen heute eher zu verdrängen. So wirkt Gott auch fern. Die Suche nach ihm, die Frage "Wer ist Gott?", ist aber da. Viele Menschen wenden sich von alten Bildern ab und haben noch keine neuen. Hier können die Engel eine Brücke bauen.

Frage: Engel sind beliebte Werbeträger. Da macht eine Versicherung Reklame mit Engelflügeln, und bei einer sehr berühmten Dessous-Show tragen alle Modells Flügel. Was halten Sie davon?

Grün: Das ist eine Vermarktung religiöser Symbole. Das ist Kitsch und ist viel zu materialistisch gesehen. Hier wird der Engel verfälscht. Und vor allem werden Engel vereinnahmt. Das ist auch der größte Fehler der Esoterik: Verfügen können, verfügen wollen über etwas, was unverfügbar ist.

Von Karin Vorländer (KNA)

Zur Person

Anselm Grün OSB (*1945) trat nach dem Abitur in die Benediktinerabtei Münsterschwarzach bei Würzburg ein, wo er von 1977 bis 2013 als Cellerar für die wirtschaftlichen Belange des Klosters sowie rund 300 Mitarbeiter in mehr als 20 Betrieben verantwortlich war. Anselm Grün hat rund 300 Bücher geschrieben, die bisher in einer Gesamtauflage von mehr als 14 Millionen Büchern weltweit verkauft wurden. Damit ist er einer der meistgelesenen deutschen Autoren der Gegenwart.