Marco Politi gibt allzu einfache Antworten

Was läuft schief im Vatikan?

Veröffentlicht am 28.11.2012 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Kultur

Vatikanstadt ‐ Vatileaks" und Regensburger Vortrag, Missbrauchsskandal und Piusbrüder: In der Amtszeit Papst Benedikts XVI. und ihrer öffentlichen Wahrnehmung spielt Krisenmanagement eine gewisse Rolle. Entsprechend lebhaft und kontrovers ist auch der Deutungsstreit vor allem in den italienischen Medien.

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Nach dem bekannten Vatikanisten Andrea Tornielli hat auch sein Kollege Marco Politi ein Buch über den Papst geschrieben und jetzt aktualisiert auf Deutsch vorgelegt: "Benedikt - Krise eines Pontifikats".

Während Tornielli unter dem Titel "Angriff auf Ratzinger" von einem "Kreuzzug der Desinformation" sprach, dem Benedikt XVI. ausgesetzt sei, sieht Politi den Schlüssel für Probleme und Missverständnisse eher beim Papst selbst. "Joseph Ratzinger hätte nicht Papst werden dürfen"; als "Anti-Kandidat" hätte er aufgrund seiner polarisierenden Persönlichkeit eigentlich nicht gewählt werden können.

Überzogene Schlussfolgerungen

Das Buch ist kenntnisreich und interessant geschrieben. Es stellt Vieles zusammen, was Politi bereits früher als Vatikanist in der linksliberalen "Repubblica" veröffentlicht hat. Er zeigt die Schwächen des Pontifikats, dessen Motor immer wieder unrund lief und stockte - kommt dann aber zu überzogenen Schlussfolgerungen, die in der nicht belegten Charakterisierung des Papstes als "tragischer" Figur gipfeln.

Benedikt XVI. sei ein brillanter Theologe, ein anerkannter Intellektueller, als Mensch bescheiden, schreibt Politi. Aber er kümmere sich zu wenig um die Leitung des Vatikan; er könne nicht regieren, bekomme die Kurie nicht in den Griff, habe kaum Zugang zu den Medien und sei theologisch unbeweglich. Die vom Vorgänger erworbene geopolitische Anerkennung für die Kirche gehe wieder verloren.

Papst Benedikt XVI. winkt fröhlich den Gläubigen zu.
Bild: ©KNA

Papst Benedikt XVI. winkt und begrüßt die Gläubigen.

Schwarz-Weiß-Malerei

Politi stellt die Amtszeit von Benedikt XVI. als Abfolge von Eklats und Pannen dar. Sie seien eine "Konstante" seines Pontifikats. Der Papst müsse ständig korrigieren und nachbessern; das schade ihm und dem Ansehen seines Amtes. Auffallend ist die Schwarz-Weiß-Malerei, in der das Buch den Fehlern des Pontifikats eine posthum glorifizierte Amtszeit von Johannes Paul II. (1978-2005) gegenüberstellt. In einer Stunde in Regensburg seien 20 Jahre erfolgreicher Islam-Politik der Ära Wojtyla in die Brüche gegangen, schreibt Politi. Er verkennt, dass es auch unter Johannes Paul II. lange Jahre Stillstand in Richtung Islam gab.

Gleiches gilt für den Kontakt zum Judentum. Auch hier gab es damals herbe Rückschläge, etwa nach der Audienz für Österreichs Bundespräsident Kurt Waldheim, in der Kontroverse um das Karmel-Kloster in Auschwitz oder im Dauerstreit um die Öffnung der Vatikanarchive.

Es hat sich etwas getan

Unverständlich ist auch die These, nach den Pannen rund um Richard Williamson oder den Missbrauchsskandalen habe sich nichts getan. Immerhin wurde die für Traditionalisten zuständige Kommission "Ecclesia Dei" neu aufgestellt; der Sachdialog mit den Piusbrüdern kam endlich zustande. Die Normen für Missbrauchsfälle wurden verschärft und die Bischofskonferenzen weltweit darauf verpflichtet.

Überraschend wirkt auch manche Zuspitzung: Zu Benedikts Äußerungen über Kondome meint Politi, man müsse bis ins 19. Jahrhundert zurückgehen, um eine vergleichbare weltweite Polemik gegen einen Papst zu finden. Die Empörungswelle zur Enzyklika "Humanae vitae" von 1968 scheint er zu vergessen. Und falsch ist die Behauptung, unter Benedikt XVI. seien die fliegenden Pressekonferenzen geändert worden. Schon der damalige Sprecher Joaquin Navarro-Valls schaffte in den 90er Jahren die Direktinterviews ab.

Wenig Raum für positive Seiten des Pontifikats

Wenig Raum widmet das neue Buch den positiven Seiten des Pontifikates, den anspruchsvollen Enzykliken und Jesus-Büchern, dem neuen Gesprächsanlauf von Kirche, Wissenschaft und Kultur, den verbesserten Beziehungen zu Moskau. Auch die erfolgreichen Papstreisen nach Frankreich, Großbritannien, Kuba oder in den Libanon kommen kaum vor. Immerhin zitiert Politi auch aus dem Seewald-Interview, wo Benedikt XVI. selbst sein Pontifikat erklärt: Wenn Gott schon einen deutschen Professor als Papst zuließ, habe er auch das "Moment der Nachdenklichkeit" und das Ringen um die Einheit von Glaube und Vernunft gewollt.

Von Johannes Schidelko

Hinweis: Marco Politi: Benedikt - Krise eines Pontifikats, Verlag Rotbuch, Berlin 2012, 19,99 Euro.