Franziskus unter "älteren Brüdern"
Und schließlich trennt die Große Synagoge Roms und den Petersdom nicht viel mehr als der Tiber. Im Vatikan wurde jedoch vor dem Besuch versichert, dass dies rein terminliche Gründe habe. Auch Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni berichtete, dass der Besuch seit längerem geplant war.
Die letzten Zweifel dürften durch den herzlichen Empfang von Franziskus und die informelle Atmosphäre zerstreut worden sein, die am Sonntag in der Großen Synagoge am Tiberufer herrschten. Franziskus nahm sich ausgiebig Zeit, um Hände zu schütteln, Worte zu wechseln, hörte zu, lachte, es wirkte beinahe wie ein Pfarreibesuch.
"Opfer der unmenschlichsten Barbarei"
Doch ein Besuch des Papstes in der Großen Synagoge ist stets mehr als eine Begegnung des Bischofs von Rom mit der lokalen jüdischen Gemeinde. Er ist immer auch eine Reverenz des Oberhaupts der katholischen Kirche an das Judentum. Unverzichtbarer Bestandteil hierbei ist das Gedenken an die Schoah - 1.024 römische Juden wurden am 16. Oktober 1943 nach Auschwitz deportiert. Hier folgte Franziskus dem Vorbild seiner Vorgänger Johannes Paul II., der 1986 als erster Papst der Neuzeit die römische Synagoge aufsuchte, und Benedikt XVI., der 2010 in das jüdische Gebetshaus am Tiberufer kam.
Linktipp: Von der Sensation zur Tradition
Der erste Synagogenbesuch eines Papstes vor 30 Jahren war eine Sensation. Auch der Gang von Franziskus am Sonntag zur Großen Synagoge Roms ist nicht ganz selbstverständlich. Wir werfen einen Blick zurück und einen nach vorne.Sechs Millionen Menschen seien "Opfer der unmenschlichsten Barbarei geworden, die im Namen einer Ideologie verübt wurde, die Gott durch den Menschen ersetzen wollte", sagte Franziskus. Benedikt XVI. hatte es seinerzeit unterlassen, die Zahl von sechs Millionen Ermordeten ausdrücklich zu nennen, und wurde dafür von jüdischer Seite kritisiert.
Das Wort "Kontinuität" war vor dem Besuch oft zu hören, vom Vatikan, aber auch von der jüdischen Gemeinde. Franziskus stelle sich damit in die Tradition seiner Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI., hieß es allenthalben. Doch bei aller Kontinuität zeigte die Rede des Papstes auch, dass sich der katholisch-jüdische Dialog weiterentwickelt. Franziskus setzte durchaus neue Akzente.
"Nostra aetate" hat nicht alle theologischen Fragen gelöst
Anders als seine Vorgänger beließ er es nicht bei einer Würdigung der epochalen Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis zum Judentum. Er wies auch auf Grenzen des betreffenden 50 Jahre alten Dokuments "Nostra aetate" hin, das den Grundstein für den jüdisch-katholischen Dialog legte. Natürlich habe es nicht alle theologischen Fragen lösen können, aber es sei ein ermutigender Impuls gewesen, so Franziskus.
Diese Äußerung dürfte Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni gefreut haben. Denn der hatte sich im September beim Besuch einer Delegation der Deutschen Bischofskonferenz in der Synagoge im gleichen Sinne über dieses Dokument geäußert. Damals bemängelte er, dass zwar jede Form von Antijudaismus verurteilt werde, eine positive theologische Bestimmung des Verhältnisses zwischen Judentum und Christentum jedoch fehle.
Ein Satz in der Rede des Papstes dürfte Di Segni daher mit besondere Genugtuung registriert haben: "Die Kirche erkennt die Unwiderruflichkeit des Alten Bundes und der fortwährenden und treuen Liebe Gottes zum Volk Israel an, auch wenn sie das Heil durch den Glauben an Christus bekennt", sagte der Papst. Das Publikum unterbrach ihn mit einem kräftigen Applaus. "Ältere Brüder" nannte Franziskus die Juden und griff damit eine Bezeichnung auf, die Johannes Paul II. geprägt hatte. Benedikt XVI. hatte stets von den "Vätern im Glauben" gesprochen.
Beim dritten Mal begründet man eine Tradition besagt ein jüdisches Sprichwort. Künftig dürfte kein Papst mehr um einen Besuch in der Großen Synagoge von Rom herumkommen, heißt es im Vatikan.