Pränataldiagnostik: Ethische Debatte um die Folgen eines neuen Bluttests

"Lebensgefahr für ungeborene Kinder"

Veröffentlicht am 26.01.2016 um 00:01 Uhr – Von Burkhard Schäfers – Lesedauer: 
Ethik

München ‐ Eine relativ neue Methode der Medizin macht es möglich, schon in der frühen Phase der Schwangerschaft zu erkennen, ob ein ungeborenes Kind einen Chromosonenfehler hat. Das Verfahren könnte bald zur Regel werden - ist aber hoch umstritten.

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Der so genannte Praenatest gilt unter Medizinern als Zäsur in der vorgeburtlichen Diagnostik. Bereits am Ende der neunten Schwangerschaftswoche kann der neue Test zum Einsatz kommen. Im Blut der Mutter findet sich die DNA des Kindes, die Genetiker durchsuchen diese nach möglichen Mutationen. Am weitesten verbreitet ist die Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt. Darüber hinaus lassen sich seltenere Gen-Defekte und auch das Geschlecht feststellen.

"Was die Sicherheit angeht beim Testergebnis, vor allem mit Blick auf das Down-Syndrom, ist das sicherlich ein Durchbruch", sagt Gabriele Gillessen-Kaesbach, Direktorin des Lübecker Instituts für Humangenetik am Uniklinikum Schleswig-Holstein. Bislang versuchen Mediziner vor allem durch Ultraschalluntersuchungen, mögliche Chromosomenfehler auszuschließen. Falls ihnen dabei etwas auffällig erscheint, lässt sich zudem das Fruchtwasser untersuchen. "Die zieht allerdings ein Infektions- und Fehlgeburtsrisiko nach sich", erklärt Humangenetikerin Gillessen-Kaesbach. "Der Bluttest hingegen kann für Mutter und Kind zunächst mal ohne Risiko durchgeführt werden."

Praenatest künftig als Regelleistung?

Sicher und unbeschwert durch die Schwangerschaft, so suggerieren es manche Befürworter des Praenatests, insbesondere die Hersteller, für die das ein lukratives Geschäft ist. Denn der Test kostet mehrere hundert Euro. Noch müssen das in den meisten Fällen die Eltern bezahlen. Das könnte sich aber künftig ändern. Denn der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA), ein Verwaltungsgremium, verhandelt darüber, ob der Praenatest in den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Versicherungen aufgenommen wird. So könnte das neue Verfahren künftig Alltag in der Schwangerenvorsorge werden.

Bild: ©Direk Takmatcha/Fotolia.com

Befürworter betonen, der neue Test gebe werdenden Eltern mehr Entscheidungsfreiheit.

Kaum jemand stelle noch die Frage, ob die Untersuchungen eigentlich nötig und gewollt sind, meint die Schwangerenberaterin Anna Elisabeth Thieser vom Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) in Würzburg. "Das wird immer selbstverständlicher, auch hinsichtlich eines eventuellen Schwangerschaftsabbruchs", so ihre Erfahrung aus dem Beratungsalltag. Genau hier liegen die Befürchtungen der Kritiker: Dass sich durch den Praenatest die Zahl der Abtreibungen erhöhen könnte und irgendwann kaum noch Menschen mit angeborener Behinderung auf die Welt kämen.

"Durch den immer früheren Zeitpunkt der Pränataldiagnostik verändert sich die Situation, weil schon zu Zeiten, wo noch wenig Bindung zum Embryo besteht, Untersuchungsergebnisse vorliegen", sagt Beraterin Thieser. Sie ist Mitglied einer Gruppe von Fachleuten, die an der Tutzinger Akademie für Politische Bildung im so genannten "Tutzinger Diskurs" Chancen und Risiken der PND diskutieren.

Druck auf werdende Eltern könnte wachsen

Die Frage nach den ethischen Folgen des Bluttests werde bislang zu wenig debattiert, meinen mehrere Bundestagsabgeordnete. In einer fraktionsübergreifenden Anfrage an die Bundesregierung argumentieren die Parlamentarier, eine Kostenübernahme der Krankenkassen sei ein "relevanter Schritt auf dem Weg zu einem Routine-Check auf Down-Syndrom". Damit erhöhe sich möglicherweise der Druck und die individuelle Verantwortung, ein "perfektes" Kind zu gebären. "Eltern, die sich wissentlich für ein behindertes Kind entscheiden, könnten künftig immer mehr in Erklärungsnöte geraten", prognostizieren die Abgeordneten, unter ihnen Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) sowie die Bundestagsvizepräsidenten Johannes Singhammer (CSU) und Claudia Roth (Grüne).

Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger, der auch Mitglied im Deutschen Ethikrat ist, ist gegen die Kassenzulassung des Praenatests. Dadurch erhöhe sich die "Lebensgefahr für ungeborene Kinder" mit genetischen Defekten. Ähnlich argumentiert der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, ebenfalls Ethikratsmitglied: Der Test stehe im Widerspruch zur Verpflichtung, die Rechte von Menschen mit Behinderungen zu schützen.

Anton Losinger, Weihbischof von Augsburg.
Bild: ©KNA

Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger ist gegen die Kassenzulassung des Praenatests.

Befürworter der neuen Methode hingegen meinen, mehr Informationen - die zudem einfacher zu kriegen sind - würden den werdenden Eltern eine größere Entscheidungsfreiheit geben, ob sie ein behindertes Kind bekommen wollen oder nicht. Die Lübecker Humangenetikerin Gabriele Gillessen-Kaesbach spricht sich dafür aus, dass die Krankenversicherung die Kosten generell übernehmen: "Diese Untersuchung gibt es - der eine kann sie sich leisten und der andere nicht. Ich empfinde die Situation wirklich als völlig ungerecht."

Warnung vor falschen Versprechungen

Auch Anna Elisabeth Thieser vom SkF ist klar, dass sich das Rad des medizinischen Fortschritts nicht zurückdrehen lässt. Allerdings warnt sie vor falschen Versprechungen. Jede neue Vorhersage-Möglichkeit verstärke die Illusion, die Medizin werde es schon richten. Doch weder der Bluttest noch die Pränataldiagnostik insgesamt können werdenden Eltern garantieren, dass ihr Baby gesund zur Welt kommt. "Ich glaube, dass es unverantwortlich ist, in diesem Zusammenhang mit einem Sicherheitsbegriff zu argumentieren, weil mit einer Schwangerschaft generell Ängste und Unsicherheiten einher gehen", so die Fachberaterin.

Einmal mehr also steht der medizinische Fortschritt im Spannungsverhältnis zu seinen Folgen. SkF-Beraterin Thieser sagt: "Ich finde es eine spannende Frage, mit wie viel Wissen können Menschen überhaupt leben und auch ein gutes Leben führen."

Von Burkhard Schäfers