Ein Kopf, ein Herz und zwei Hände
Frage: Pater Blattert, können Sie erklären, was Berufung ist?
Blattert: Berufung – da steckt das Wort "Ruf" drin. Wir Christen sind davon überzeugt, dass Gott jeden Menschen persönlich meint und einen persönlichen Ruf an ihn hat. Es kann ein Ruf ins Leben sein, ein Ruf in eine Aufgabe, in einen Sinn in diesem Leben.
Frage: Man verbindet mit religiösen Berufungen ja die Vorstellung von Paulus, der vom Blitz getroffen vom Pferd fällt, von Feuerzungen oder Engelsstimmen. Wie war das bei Ihnen?
Blattert: So spektakulär war es bei mir nicht. Berufung ist ja selten ein einzelnes Erlebnis oder Gespräch, ich würde daher von einem Berufungspuzzle sprechen. Was für mich aber ein sehr prägendes Erlebnis war, war eine Nacht: hundert junge Leute, musikalisch interessiert, zogen über eine Insel und feierten an drei Stationen Gottesdienste. Es wurden Texte von Alfred Delp, einem Jesuiten, vorgelesen, und ich erinnere mich, dass sie mich sehr beeindruckten. Ein Freund von mir war dabei, der mir kurz vorher gesagt hatte, dass er Priester werden wolle und im Priesterseminar anfangen werde. In dieser Nacht dachte ich mir dann: Könnte das auch etwas für Dich sein?
Frage: Was genau ist Ihre Aufgabe als der Beauftragte der Jesuiten für Berufungspastoral?
Blattert: Als erstes bin ich Ansprechpartner für alle, die sich dafür interessieren, Jesuit zu werden. Meine zweite Aufgabe ist es, jungen Menschen zu helfen, die auf der Suche nach dem "Mehr" im Leben sind: sie zu begleiten, entsprechende Angebote zu machen, damit sie dem auf die Spur kommen, was sie eigentlich suchen. Im Grunde geht es darum, Räume zu eröffnen für ihre Suche, für ihre Fragen. Räume, in denen sie Gott begegnen können, um diesen Ruf zu hören: Was sagt er zu mir, wo ist mein Platz? Ich möchte für junge Menschen eine geistliche Zukunftswerkstatt anbieten.
Frage: Was sind das für Menschen, die zu Ihnen kommen und sich für ein Ordensleben interessieren?
Blattert: Zunächst einmal sind das Leute, die auf unseren Orden aufmerksam geworden sind und von der Arbeit des Ordens überzeugt sind. Die vielleicht auch in sich spüren: Da ist ein Talent, das ich mitbringe, im Bildungsbereich vielleicht oder in der Seelsorge, eine Leidenschaft, die ein Ziel sucht, und die sich sagen: Vielleicht kann ich das bei den Jesuiten besser als anderswo leben und meine Talente zum Nutzen anderer einbringen.
Frage: Wie gelingt es Ihnen, Werbung für einen Orden zu machen, der Enthaltsamkeit, Gehorsam und Armut gelobt? Das passt doch gar nicht in unsere Zeit?
Blattert: Vielleicht gerade deshalb? Auf den ersten Blick könnte man denken: das Leben als Jesuit sei eine reine Reduzierung und habe nichts mit einem Glücksversprechen oder mit einem erfüllten Leben zu tun. Tatsächlich schafft die Reduzierung auf das Wesentliche ungeheuren Freiraum, wenn man sich darauf einlässt. Das wichtigste ist aber, dass man Jesuiten kennen lernt. Das ist die leichteste Überzeugung, ob dieses Leben überzeugt. Für mich war zum Beispiel der Beweis, dass man den Zölibat leben kann, ein älterer Priester, der mit 80 Jahren noch so ein Feuer in den Augen hatte. Ja, es ist möglich, in dieser Lebensform glücklich zu werden und lebendig zu bleiben.
Das zweite ist, dass die Interessenten selbst Erfahrungen machen, zum Beispiel in den Exerzitien die Erfahrung mit Gott. Dass sie spüren: ja, diese Beziehung kann etwas so Erfüllendes haben, dass ich mein ganzes Leben darauf bauen will. Darüber hinaus versuche ich Erfahrungen zu vermitteln, wie es sich anfühlt und welchen Reichtum man erfährt, wenn man eine bestimmte Arbeit tut: zum Beispiel mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, ihnen hilft, in die Selbstständigkeit zu kommen. Darin sehe ich vor allem meine Aufgabe: einen Ort anzubieten, an dem man diese Erfahrungen machen und reflektieren kann, ob das etwas ist, das mich erfüllt.
Frage: Welchen Platz hat ein solcher Ort in einer Zeit, die einerseits geprägt ist durch wachsende Kirchenferne, andererseits aber durchaus Raum für Sinnsuche bietet?
Blattert: Jede Zeit hat ihre Herausforderung in der Glaubensverkündigung, und wir Jesuiten haben gerade dieses Anliegen, die Botschaft des Evangeliums immer wieder neu in das Heute zu übersetzen. Natürlich auf dem Erfahrungshintergrund der Tradition, aber immer für den heutigen Menschen verstehbar, erfahrbar. Genau das sehe ich für meine Arbeit als die Herausforderung, die mich begeistert, denn ich bin in diese Zeit gestellt und möchte in dieser Zeit arbeiten. Die Frage nach dem Sinn im Leben wiederum wird es geben, so lang es Menschen gibt. Ob die Menschen ihren Sinn dann gleich in oder mit der Kirche finden, sei noch einmal dahin gestellt. Unsere Aufgabe als Jesuiten ist es, zu schauen, wie können wir den Menschen helfen, ihre ganz persönliche Sinn-Frage zu stellen, wo können wir ihr Raum geben.
Frage: Wie würden Sie das Evangelium für moderne Menschen formulieren, was ist sein Markenkern?
Blattert: Mensch, frag dich, wo du wirklich frei bist, wo du eine tiefe Erfüllung für dich selber findest, und wenn du unruhig wirst, dann bleib auf dieser Suche, zu der dich diese Unruhe antreibt und gib dich nicht zu schnell zufrieden. Ich glaube, dass es ein Anliegen des Evangeliums ist, Menschen unruhig zu machen. Ein zweites ist es, dass dieses Evangelium in eine Begegnung mit einer anderen Person führen will. Wenn man Menschen fragt, wann sie am glücklichsten sind, antworten sie meistens: wenn sie mit Freunden zusammen sind, wenn sie eine gelingende Beziehung haben, wenn sie sich in der Familie aufgehoben fühlen. Dann haben viele äußere Dinge gar keine Relevanz mehr. Die Botschaft des Evangeliums ist, dass da jemand ist, der eine Beziehung, eine Freundschaft, etwas noch Tieferes als Familie für mich sein möchte. Jesus, Gott, kann man kennen lernen und aus dieser Beziehung heraus ein sehr erfüllendes Leben spüren. Dass, würde ich sagen, ist die freimachende und erfüllende Botschaft dieses Evangeliums.
Frage: Würden Sie sagen, dass die fehlenden äußeren Formen des Jesuitenordens – kein Habit, kein Stundengebet, keine barocken Klöster – Ihre Arbeit eher erleichtern oder erschweren?
Blattert: Es gibt unterschiedliche Orden, weil es unterschiedliche Menschen und unterschiedliche Stile der Nachfolge Jesu gibt. Für die einen ist ein Habit unglaublich hilfreich, ist das Leben in einem Kloster mit den sehr geregelten Tagesabläufen genau das Richtige, um in diese Botschaft hineinzuwachsen. Wir Jesuiten möchten mitten in der Welt leben und dieser Welt sehr ähnlich sein. Stärker vielleicht als andere am Puls der Zeit, um genau dort unsere Botschaft zu leben.
Manchmal erlebe ich es, dass Menschen enttäuscht sind, wenn sie erfahren, dass ich Ordensmann bin, aber keinen Habit trage. Es gibt diese Attraktivität der äußeren Form und Sichtbarkeit. Für mich ist das dann aber die Chance, ins Gespräch zu kommen: Was mein Ordensleben eigentlich ausmacht. Und dann spreche ich über das Eigentliche, nämlich meine Beziehung zu Gott.
Frage: Wie würden Sie das spezifisch Jesuitische beschreiben?
Blattert: Für den Benediktiner ist das Kloster das Spezifische, für den Franziskaner der Habit, für uns Jesuiten ist das Verbindende und Prägende sicher das Erfahren der Exerzitien. Das ist nicht einfach zu erklären, das muss man erleben, was da wirkt, wenn man über eine Woche oder bei den großen Exerzitien über 30 Tage beieinander ist im Schweigen, in der Auseinandersetzung mit dem Wort Gottes, in der Konzentration auf Jesus Christus. Aus dieser tiefen Erfahrung trifft man eine Lebensentscheidung für sich, die ebenso bindet wie frei macht, und die einen in die Welt hinauslässt mit einem Auftrag, der ganz verschiedene Facetten annehmen kann.
„Für mich war zum Beispiel der Beweis, dass man den Zölibat leben kann, ein älterer Priester, der mit 80 Jahren noch so ein Feuer in den Augen hatte.“
Frage: Wenn Sie sich einen Jesuiten schnitzen könnten, wie sieht der Idealtyp aus?
Blattert: Er sollte einen Kopf, ein Herz und zwei Hände mitbringen. Einen Kopf, der bereit ist zu reflektieren, vor allem seine Erfahrungen, die er gemacht hat. Ein Herz, das Gefühle zulässt und bereit ist, auch Leidenschaft zu wagen. Es soll jemand sein, der neugierig ist, offen, der eine Freude mitbringt an der Welt, aber gleichzeitig auch ein Interesse, Gott näher kennen zu lernen. Einer, der sich öffnen kann und dann wieder einkehren. Jemand, der auch eine gewisse Liebe zur Einsamkeit hat, denn wir leben zwar in Gemeinschaft, und doch ist es ein Leben, das jeder selber gehen muss. Und nicht zuletzt sollte er mit seinen Händen anpacken wollen: diese Welt mitgestalten, zum Besseren. Es sollte jemand sein, der Lust hat, sich auf neue Dinge einzulassen und auch neue Dinge mit sich selber auszuprobieren.
Frage: Was sind ihre Ideen für die Berufungspastoral?
Blattert: Ich möchte gerne eine geistliche Zukunftswerkstatt aufbauen, wo junge Erwachsene, die auf der Suche nach dem "Mehr" in ihrem Leben sind, hinkommen können. Wo sie Freiraum und Werkzeuge finden. Wir wollen den jungen Leuten helfen, den Mut in sich zu finden. Wir wollen ihnen nicht sagen, wie ihre Zukunft aussehen soll, sondern sie befähigen, selbst herauszufinden, welchen Weg sie gehen wollen. Diese Zukunftswerkstatt, die "Freiraum" heißen wird, soll ein Haus sein, wo man hinkommen und in einer geistlichen Gemeinschaft unkompliziert mitleben kann. Freiraum soll aber auch persönliche Begleitung sein, ebenso wie Stille. Sie zu suchen und auszuhalten, wollen wir junge Leute befähigen. Die Werkzeuge, die wir bereitstellen sind vor allem Gebetsweisen aus unserer Spiritualität: Exerzitien, Tagesrückblick, Schriftbetrachtung, Unterscheidung der Geister.
Ich möchte aber über dieses feste Haus hinaus direkt mit Menschen in Kontakt kommen: in Schulen, Studentengemeinden oder anderen Orten, wo junge Erwachsene zusammenkommen. Ich möchte ihnen von der Suche nach dem "Mehr" erzählen, von der Aufregung einer solchen Suche, von der Verheißung einer solchen Suche, damit sie aufbrechen, dieses Größere, den Größeren zu suchen beginnen. Ich will also junge Leute unruhig machen, sie zum Träumen anregen, in der Hoffnung, dass sie dann auch zu uns kommen und unsere Angebote für diese, ihre eigene Suche nutzen.