Service unter Verdacht
Bei einer meiner letzten Stellen hatte es sich der Pfarrer zum Prinzip gemacht, jedem Menschen mit einem wichtigen seelsorgerischen Anliegen innerhalb von 24 Stunden einen Termin für ein persönliches Gespräch zu ermöglichen. Dies galt nicht nur, aber besonders in Sterbefällen, aber auch in Fragen seelischer oder sozialer Not. Seine Begründung lautete stets: "Der wichtigste Aspekt guter Seelsorge ist guter Service." Die klassischen Dinge: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Empathie, inhaltliche und formale Professionalität. Uns sagte er beispielsweise: "Erwische ich euch einmal, wie ihr mit dem Taxi zum Friedhof fahrt, dann gibt‘s Ärger. Taxikosten auf der Bestatterrechnung – da fragen sich die Leute zu Recht, ob wir noch alle Latten am Zaun haben."
Wenn ich heute mit ihm spreche, erzählt er immer noch oft von den Beerdigungen. Nicht selten sind es fünf, sechs oder sieben in der Woche. Zwei große Krankenhäuser und eine Vielzahl von Altenheimen sorgen dafür. Eine seiner wichtigsten Vokabeln ist "abarbeiten". Das ist gar nicht so kalt gemeint wie es klingt: "Die Menschen haben das Recht auf guten Service, und mein Job ist es, mich so zu organisieren, dass das geht."
Der Tod hält sich nicht an Öffnungszeiten
Wer heute mit Menschen spricht, die den Service der Kirche in Trauerfällen abrufen möchten, bekommt aber auch oft eine andere Sicht der Dinge berichtet: Angehörige, die sich durch unübersichtliche Internetseiten von Pfarreien wühlen. Die an nicht besetzten Pfarrbüros oder abgeschalteten Notfallhandys stranden. Die vertröstet werden – nicht man selber, sondern der Nachbarpfarrer sei "zuständig". Der Tod hält sich aber nicht an Öffnungszeiten oder Zuständigkeiten. Menschen in diesen Drucksituationen sollen sich in ihrer Not bisweilen ins Generalvikariat durchtelefonieren. Was läge hier auf der Hand?
Linktipp: Pfarreien wie Berghütten?
Das Konzept, Pfarreien zu größeren Seelsorgeeinheiten zusammenzufassen, hält der Paderborner Pastoraltheologe Herbert Haslinger für gescheitert. In einem Buch entwirft er nun einen Gegenvorschlag zu diesem Vorgehen vieler deutscher Diözesen.Für jede Angelegenheit gibt es in Deutschland einen Service: Ob es die im Internet bestellte Jeans ist, die doch nicht passt; ob es das Konto ist, das gesperrt werden muss oder der Notdienst in der Apotheke. Warum gibt es das im Rahmen der Kirche eigentlich nicht für Tod, Trauer und Beerdigung? Wie einfach wäre ein zentrales Callcenter zu organisieren, wo ein trauernder, verzweifelter Mensch sicher sein kann, dass ihm in jedem Fall jemand weiterhilft. Wenn wir schon ein Jahr der Barmherzigkeit wie eine Monstranz vor uns her tragen – wäre das nicht ein konkreter Service: Tote begraben? Wo liegt das Problem, dies zum Beispiel in einer Großstadt wie Köln zu organisieren? Es wäre hochprofessionelle, hochmoderne, serviceorientierte Seelsorge.
Doch Begriffe wie "Service" oder "Dienstleistung" scheinen in der Kirche unter Verdacht zu stehen. Menschen, die lediglich eine ordentliche Taufe für ihre Kinder wünschen, eine festliche Hochzeit oder Beistand in Krankheit, Trauer oder Tod, scheinen zunehmend einer Art Musterung unterzogen zu werden: Ich kenne die nicht, die wollen doch nur das Fest, die können nicht mitbeten, die haben vom Glauben keine Ahnung. Das führt nicht selten zu Frust, wie auch der Text von Pfarrer Thomas Frings zeigt, der in dieser Woche im Internet für Aufsehen gesorgt hat. Dabei scheinen vielfach schlicht die Erwartungen nicht geklärt.
Der Hauptberufliche als "Versorger"
Nicht nur der Fastenhirtenbrief von Kardinal Rainer Maria Woelki operiert nun an vielen Stellen mit dem Begriff einer Kirche der Versorgung, die überwunden werden müsse: Weg von einer "von Hauptberuflichen versorgten Kirche", hin zu einer "miteinander gestalteten, getragenen und verantworteten Kirche". Der Hautberufliche (wer ist damit eigentlich gemeint? Neben Priestern, Diakonen, Pastoral- und GemeindereferentInnen auch die so genannten Folgedienste? Erzieherinnen und Erzieher? Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter?) wird also als "Versorger" beschrieben. Laut Wikipedia ist mit dem Begriff Versorger "die Person (gemeint), die den Lebensunterhalt einer Familie übernimmt, siehe Ernährermodell".
Es stellt sich die Frage, ob das tatsächlich ein zutreffendes Bild der momentanen Gemeindesituation ist. Meine persönliche Erfahrung im Hinblick auf Gruppen, Initiativen und Verbände ist das jedenfalls überhaupt nicht. Ich selbst habe mich übrigens auch noch nie als Versorger empfunden. Wohl aber als jemand, von dem andere Menschen eine professionelle Dienstleistung erwarten, zu der ich aufgrund von Studium und weiteren Qualifikationen in der Lage sein sollte. Nebenbei: Können wir in der Kirche nicht froh sein, dass gerade in diesen Monaten professionelle Mitarbeitende in den Kirchen für einen professionellen Umgang mit den Menschen sorgen, die bei uns Zuflucht finden?
Abbau von Professionalität
Was wäre so schlimm daran, wenn andere Menschen genau das von mir erwarten würden: dass ich schlicht meinen Job mache, und zwar bestmöglich? In Zeiten, in denen in jedem Semester an den Universitäten in Deutschland neue Studiengänge für immer neue spezielle Professionen entstehen, scheint die Kirche ihre Zukunft ausgerechnet im Abbau von Professionalität zu sehen. Die Hauptamtlichkeit scheint auf einmal das Problem dafür zu sein, dass "das Kirchenbild des Zweiten Vatikanums" sich nicht durchsetzen konnte: das Volk Gottes unterwegs, begleitet und gecoacht vom "dienenden Hirtenamt" und organisiert von "nicht dominierenden Leitungsformen auf den unterschiedlichen Ebenen". Ist das wirklich das Kirchenbild des Konzils? Erstaunlich, dass die communio hierarchica im Hirtenbrief diskret verschwiegen wird, obwohl sie im Weihepriestertum durch die Hintertür wieder sehr deutlich auftaucht: Katholische Gleichheit bedeutet gleiche Würde, allerdings unterschiedliche Rechte.
„Was ist mit den Menschen, die einfach nur staunen und nicht die Bibel teilen wollen? Was ist mit den Menschen, die einfach nur ihre Kirchensteuer zahlen wollen?“
Die Apostelgeschichte zeigt, dass die Kirche schon in ihren Anfängen aus "Kirchensympathisanten" bestand. Dort werden sie als eine Menge von staunenden Menschen beschrieben. Diese Sympathisanten werden in Zukunft immer mehr werden, sagt der Pastoraltheologe Christian Bauer: "Es gab sogar die, denen Jesus nur ein einziges Mal begegnet ist. Obwohl er sie in keine seiner Gruppen berufen hat, haben sie doch vollgültiges Heil erfahren. " Was ist mit den Menschen, die einfach nur staunen und nicht die Bibel teilen wollen? Was ist mit den Menschen, die einfach nur ihre Kirchensteuer zahlen wollen? Jedenfalls haben sie ein Recht auf Professionalität.
In den Überlegungen zur Neustruktur in vielen Bistümern Deutschlands stecke denn auch ein Denkfehler, sagte vor wenigen Tagen wieder der Paderborner Pastoraltheologe Herbert Haslinger: Sie folgten "allesamt der Maxime, dass nun in möglichst großem Umfang die Gläubigen selber in Form von ehrenamtlichem Engagement anstelle der hauptamtlichen Seelsorger das kirchliche Leben vor Ort in den Gemeinden bewerkstelligen sollten. Die neuen pastoralen Strukturen forcieren damit exzessiv eine Idee, die sich in den vergangenen Jahrzehnten wie ein unhinterfragbares Dogma in die Gehirne eingebrannt hat: Aufgabe der Gläubigen sei es, durch Teilnahme, Engagement und Bindungsbereitschaft den Bestand der Kirche zu bewahren; Gemeindemitglieder würden sich in dem Maße als gute Christen erweisen, in dem sie durch Mitarbeit zur Lebendigkeit von Kirche und Gemeinde beitragen. Genau hier passiert die fatale Umkippung von Zweck und Mittel: Die Kirche macht sich selbst zum Zweck und die Menschen zu ihren Instrumenten."
Die Lebendigkeit der Kirche ist nicht entscheidend für das Heil der Welt. Diese Ambivalenz mag schwer erträglich und mitunter demotivierend sein, jedoch vergessen wir nicht: Am Karfreitag, als sich alles zum Guten wenden sollte, war Gott quasi allein.
Die Menschen sind nicht für die Kirche da, sondern die Kirche für die Menschen. Nichts anderes bedeutet der Gedanke vom Grundsakrament Kirche, nichts anderes bedeutet der Gedanke von der Kirche in der Welt. Dazu braucht es die besten Spezialisten, die zu finden sind – auch solche, die selbstverständlich dafür bezahlt werden, weil sie professionell und gut ausgebildet sind.