Das gern zitierte päpstliche Schweigen zur Pille

Eine Schlüsselrolle nimmt dabei der vom Papst herangezogene Vergleich mit seinem Vorgänger Paul VI. (1963-1978) ein. Dieser "große" Papst habe seinerzeit in einer schwierigen Phase zugelassen, dass Ordensfrauen in Afrika im Falle absehbarer Vergewaltigungen Verhütungsmittel vorher einnehmen durften. Diese sogenannte Kongo-Pille spielt in moraltheologischen Debatten immer wieder eine Rolle. Auch in der Debatte um den Fall der mutmaßlich vergewaltigten Frau, die 2012 in zwei katholischen Kliniken in Köln kein Rezept für die "Pille danach" erhielt, wurde sie zitiert.
Wie verhielt es sich mit der Kongo-Pille?
Italienische und US-amerikanische Vatikanbeobachter, unter ihnen John Allen und Andrea Tornielli, haben nach den jüngsten Äußerungen von Franziskus durch Archivrecherchen herausgefunden, wie es sich wirklich mit der Kongo-Pille verhielt. Das Ergebnis sagt viel über den vatikanischen Kommunikationsstil der frühen 60er Jahre, bei dem noch mehr als heute aus der Deutung von Nichtgesagtem und der Interpretation der Inhalte "zwischen den Zeilen" herausgefunden werden musste. Tatsächlich fand die Debatte darüber, ob Nonnen als Vorbeugung vor einer Schwangerschaft (als Folge einer absehbaren Vergewaltigung durch kongolesische Rebellen) die Pille nehmen dürften, seinerzeit vor allem in den Medien statt.
1961 veröffentlichten drei im Vatikan hoch angesehene Theologen, unter ihnen Professor Pietro Palazzini, in der römischen Zeitschrift "Studi cattolici" Aufsätze, in denen sie die These vertraten, dass in diesem Extremfall der vorbeugende Einsatz von Verhütungsmitteln erlaubt sei. Entscheidend sei, dass es sich um einen Fall legitimer Selbstverteidigung handele.
Linktipp: Vage Öffnung in der Morallehre
Angesichts der Zika-Epidemie könne der Gebrauch von Verhütungsmitteln "in bestimmten Fällen" erlaubt sein, deutete Franziskus kürzlich an. Ein päpstlicher Freifahrtschein zur Verhinderung behinderten Lebens ist das allerdings nicht.Die "Anti-Pillen-Enzyklika" des späteren Papstes Paul VI. mit dem Titel "Humanae vitae" kam erst sieben Jahre später. Bevor er sie publizierte, ließ er eine geheime Kommission prüfen, was die Kirche zu den neu entwickelten (und auch zu den schon länger bekannten) Mitteln der Geburtenkontrolle sagen sollte. Gegen den Rat der Kommissionsmehrheit entschied sich der Papst am Ende 1968 für ein Verbot aller künstlichen Verhütungsmethoden.
Katholische Morallehre denkt nicht vom Ausnahmefall
Zum Extremfall der "Kongo-Pille" äußerte er sich weder in der Enzyklika "Humanae vitae" noch in anderen lehramtlichen Veröffentlichungen. Den prominentesten Befürworter der "Kongo-Pille", Pietro Pallazzini, machte Paul VI. aber 1973 zum Kardinal. Bereits 1962 hatte Johannes XXIII. (1958-1963) ihn zum Erzbischof befördert, und 1966 gab Pallazzini in Italien das quasi offizielle "Wörterbuch der katholischen Moraltheologie" heraus. Aus alledem schlossen damals kundige Vatikanbeobachter, dass Palazzinis Äußerungen zur "Pille aus Notwehr" von beiden Konzilspäpsten im Nachhinein schweigend abgesegnet wurden. Dass sie es nicht explizit taten, hängt nicht nur mit dem damaligen vatikanischen Stil zusammen.
Es gehört vielmehr bis heute zu den Eigenarten katholischer Morallehre, dass sie nicht vom Ausnahmefall her denkt, um nicht vom Extremfall her "Dammbrüche" in der Argumentation zu ermöglichen, die dann am Ende das gesamte Prinzipiengebäude zum Einsturz bringen könnten. Dass dies auch heute noch so praktiziert wird, hat nun erneut Franziskus vorgemacht: Indem er bei seiner "Fliegenden Pressekonferenz" nicht ausdrücklich die Freigabe der "Anti-Zika-Verhütung" verkündete, sondern sie wiederum nur indirekt - eben durch den Vergleich mit der schweigend geduldeten "Kongo-Pille" - als möglicherweise erlaubt erscheinen ließ.