Ein schreckliches Dilemma
Es gibt aber auch Situationen, in denen diese Haltung gemessen an dem Leid, das ein Austragen des Kindes verursachen würde, nicht mit der Realität vereinbar erscheint. Dann, wenn es nicht in Liebe gezeugt wurde, sondern das Ergebnis eines brutalen, menschenverachteten Aktes ist. "Neben Folter ist eine Vergewaltigung das Schlimmste, was man einem Menschen antun kann, denn sie zerstört die menschliche Seele", sagt Silvia Florian, Referentin bei der katholischen Schwangerenberatung esperanza .
Sexualisierte Gewalt bringt unvorstellbares Leid über die Opfer, traumatisiert, verändert ihr Leben auf dramatische Weise. Eine Vergewaltigung ist ein Ereignis, das man vergessen will, meist aber nicht vergessen kann. Schon der Gedanke, dass daraus ein Kind heranwachsen könnte, es möglicherweise sogar die Gesichtszüge des Peinigers trägt und das Geschehene allgegenwärtig macht, ist ungeheuerlich.
Ethische Vorgaben und Moraltheologie
Medizinisch gibt es die Möglichkeit, in so einem Fall eine Abtreibungspille - häufig auch als "Pille danach" bezeichnet - zu nehmen. Jene Pille, die zum Öffnen des Muttermundes und zum Abgang der Gebärmutterschleimhaut führt. Die Frau bekommt dann ihre Menstruation. Für die Kirche ist diese Pille keine Option, denn ihre Einnahme käme einem Abbruch der Schwangerschaft gleich und widerspricht damit dem Schutz des ungeborenen Lebens. Deshalb dürfen katholische Kliniken diese "Pille danach" nicht ausgeben.
Diese ethische Vorgabe führte dazu, dass eine 25-jährige Kölnerin nach einer mutmaßlichen Vergewaltigung von zwei Kliniken der Cellitinnen-Stiftung abgewiesen wurde, weil am Ende der Untersuchung die Verschreibung der Pille danach hätte stehen können. Ein Fall, der deutschlandweit für Unverständnis und Entrüstung sorgte. Kardinal Joachim Meisner entschuldigte sich für das Vorgehen der Ärzte.
In den Kliniken spricht man von einem Missverständnis . Und in der Tat liest sich eine ethische Stellungnahme der Hospitalvereinigung St. Marien recht klar. "Pille danach" nein - Fürsorge, schnelle medizinische Hilfe und Autonomie der Patientin ja. Autonomie bedeutet, dass der behandelnde Arzt auch darauf hinweist, dass es die Möglichkeit gibt, eine Notfallpille einzunehmen.
"Entscheidet sich die Patientin dafür, verweisen wir sie an die Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung. Sie liegt auf unserem Klinikgelände rund fünfzig Meter von der Aufnahme entfernt", erklärt Christoph Leiden, Sprecher der Stiftung der Cellitinnen zur Heiligen Maria. Das Problem ist allerdings, dass die Frauen ihre Geschichte dann noch einmal erzählen müssen.
Ein geschützter Raum
Frauen, die sich gegen die Pille entscheiden oder abwarten wollen, werden von der Klinik an die katholische Schwangerschaftsberatung esperanza vermittelt. "Zum einen finden sie bei uns einen geschützten Raum, in dem sie reden und auch weinen können", erklärt Beraterin Susanne Lohmann. "Zum anderen können wir konkret helfen, indem wir sie an Schwerpunktberatungsstellen wie den Weißen Ring vermitteln. Gleichzeitig schauen wir auch, wer im familiären Umfeld da ist, um die Frauen aufzufangen.“"
Innerkirchlich hat eine moraltheologische Diskussion mit Außenwirkung um die "Pille danach" begonnen. Denn es gibt eine zweite Variante des Medikaments, die den Eisprung der Frau verhindert und damit einer möglichen Verschmelzung von Ei und Samenzelle und der Entstehung von Leben zuvorkommt. Moraltheologe Eberhard Schockenhoff von der Universität Freiburg hält diese empfängnisverhindernde Pille nach einer Vergewaltigung für vereinbar mit der kirchlichen Lehre.
Eine Lösung? Sein Paderborner Kollege Peter Schallenberg setzte im domradio-Interview dagegen, dass die Pille zwar in katholischen Kliniken an Patientinnen verabreicht werden könne. Auf der anderen Seite bliebe die Einnahme Katholikinnen jedoch untersagt. Die Gründe lägen im katholischen Sexualrecht, das sich auch gegen die Antibabypille ausspricht. Ein Ende der Diskussion ist nicht in Sicht. Klar ist jedoch: Eine Frau, die Opfer sexueller Gewalt geworden ist und eine Entscheidung treffen muss, befindet sich in einem schrecklichen Dilemma.
Eine Entscheidung, die Kraft verlangt
Dass eine Frau nach einer Vergewaltigung das Kind tatsächlich ausgetragen hat, hat Susanne Lohmann von esperanza einmal erlebt. "Sie hatte die Schwangerschaft komplett verdrängt und kam zu uns, als sie schon kurz vor der Entbindung stand. Im Beratungsgespräch wurde schnell klar, dass sie das Kind auf keinen Fall selbst aufziehen wollte. Sie wusste, dass sie niemals eine gesunde Beziehung zu ihm aufbauen könnte."
Die Frau hat das Kind schließlich in einem katholischen Krankenhaus entbunden und es wurde über die Adoptions- und Pflegestellenvermittlung des Sozialdienstes katholischer Frauen und Männer in eine Familie vermittelt. "Es ist eine Möglichkeit, um in so einer Situation beidem gerecht zu werden, dem Selbstschutz der betroffenen Frau und dem Schutz des Kindes, in dem man ihm die Chance gibt, in einer anderen Familie aufzuwachsen." Eine Entscheidung, die viel Kraft verlangt.
Von Janina Mogendorf