Liturgiewissenschaftler Klaus Peter Dannecker über die Witwenweihe

Vom Schicksalsschlag zur Berufung

Veröffentlicht am 26.02.2016 um 00:01 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 
Eine Frau liegt auf den Altarstufen
Bild: © KNA
Liturgie

Bonn ‐ Vor einigen Jahren hat Liturgiewissenschaftler Klaus Peter Dannecker einen neuen Ritus für die Witwenweihe entworfen. Wie es dazu kam und wie der Ritus sich von anderen Weihen wie der zum Priester unterscheidet, erklärt Dannecker im Interview mit katholisch.de.

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Frage: Herr Dannecker, im Bistum Trier hat die 62-Jährige Eliane Gruben den kirchlichen Segen zum Leben im Witwenstand bekommen. Zum ersten Mal hat damit in der Neuzeit in Deutschland eine Frau die Witwenweihe empfangen. Sie haben vor einiger Zeit einen Entwurf für einen solchen Gottesdienst ausgearbeitet. Wie kam es dazu?

Dannecker: Der Ursprung liegt gar nicht in Trier, sondern in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Dort gibt es einige Witwen, die ganz bewusst aus dem Glauben heraus leben. Sie haben von Witwenweihen im Ausland gehört und dann überlegt, ob das nicht auch etwas für sie wäre. Bei meinen Recherchen nach einer entsprechenden Liturgie bin ich dann im ambrosianischen Ritus in Mailand fündig geworden. Kollegen aus Mailand haben mir dann die ambrosianische Feier zur Verfügung gestellt. Ich habe den Ritus als Grundlage genommen, eine Feier für die römische Liturgie zu entwerfen. Während der Arbeit daran habe ich von einer Weihe in Wien erfahren. Die Erfahrungen dort und die mittelalterliche Liturgie sind ebenso in meinen Entwurf eingeflossen wie die heutigen Anforderungen. Aber das war 2013. Dass es in Trier eine Weihe gab, habe ich jetzt erst erfahren. Ich hatte meinen Entwurf vor einiger Zeit dem Trierer Bischofskaplan zur Verfügung gestellt. Es kann gut sein, dass er den Ritus noch angepasst hat.

Klaus Peter Dannecker im Porträt
Bild: ©privat

Klaus Peter Dannecker ist Professor für Liturgie an der Universität Trier und beim Deutschen Liturgischen Institut für die Liturgiewissenschaftliche Abteilung zuständig. Derzeit befindet er sich in einem Sabbat-Jahr.

Frage: Wie genau läuft das Ritual ab?

Dannecker: Nach meinem Entwurf findet die Segnung der Witwen in der Heiligen Messe statt, genau wie die anderen Weihen des römischen Ritus, etwa eine Priester-, oder Jungfrauenweihe. Die Weihen sind im Ablauf gleich aufgebaut: Zu Beginn werden die Kandidaten oder Kandidatinnen aufgerufen. Nach der Homilie, der Predigt, kommt die Kernhandlung: Zunächst gibt es eine Hinführung, in diesem Fall zur Witwenweihe, es folgt die Befragung der Kandidatinnen, die Heiligen- und Fürbitten-Litanei und anschließend das feierliche Segensgebet. Dann folgen die sogenannten ausdeutenden Riten: Dafür habe ich vorgeschlagen, einen Ring und ein Brustkreuz zu überreichen. Fakultativ kann eine Kerze überreicht werden. Es kann noch ein Bekenntnis der neu gesegneten Witwen folgen. Anschließend geht die Messe mit der Gabenbereitung wie üblich weiter.

Frage: Wie reiht sich diese Weihe in andere Weihen – etwa die Priesterweihe - ein?

Dannecker: Von der liturgischen Struktur her sind Priester- und Witwenweihe wie gesagt gleich. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Bischofs-, Priester- oder Diakonenweihe sind Sakramente. Die anderen Weihen – neben der Witwenweihe gibt es noch die Jungfrauenweihe und die Abts- oder Äbtissinnenweihe – sind nicht sakramental und zählen zu den sogenannten Sakramentalien. Warum das so ist, ist letztlich eine theologische Frage. Eine alte Definition lautet: Ein Sakrament ist immer von Jesus Christus selbst eingesetzt und kann aus der Heiligen Schrift abgeleitet werden. Die Sakramentalien hingegen weisen auf die Sakramente hin und tragen sakramentenähnlichen Charakter. Aber das ist wie gesagt eine theologisch-dogmatische Frage, die erst im Mittelalter so entschieden worden ist. Vielleicht wird sie auch irgendwann einmal wieder anders entschieden. Letztendlich ist das ständige Schielen auf die Priesterweihe aber auch nicht fruchtbar…

Frage: Was meinen Sie damit?

Dannecker: Wenn sich Diskussionen um die Weihen in der Kirche auf das Priesteramt verengen, dann wird vergessen, dass es vielfältige Ausdrucksweisen für spirituelles Leben gibt. Ich fände es wünschenswert, diese Vielfalt im Volk Gottes wieder besser zum Vorschein zu bringen. Oder wie Paulus es sagte: Ich würde mir wünschen, dass der eine Leib mit den verschiedenen Gliedern, Funktionen, Aufgaben und Zeichen gesehen wird und sich nicht immer alles nur auf das Priestertum zentriert.  

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Nach dem Tod des geliebten Gatten war für Eliane Gruben schnell klar: Ein zweiter Mann kommt ihr nicht mehr ins Haus. 23 Jahre später sagte sie nun erneut: Ja, ich will - zu einem historischen Ritual. Nun ist sie Deutschlands erste offiziell geweihte Witwe.

Frage: Was hat die Weihe für praktische Konsequenzen?

Dannecker: Das liegt im Ermessen des Bischofs – genauso wie etwa bei den Geweihten Jungfrauen. Beide stellen sich dem Bischof in besonderer Weise zur Verfügung, um in der pastoralen Sorge mitzuwirken. Das ist aber auch nicht der entscheidende Punkt: Ob jemand etwa eine ewige Profess abgelegt hat, ändert nichts an dem, was er darf oder nicht. Was sich sehr wohl ändert, ist seine Standeszugehörigkeit. Bei der Profess ist es die Zugehörigkeit zu einer Ordensgemeinschaft. In diesem Fall geht es um die kirchliche Bestätigung der Zugehörigkeit zum Witwenstand. Welches Tun darauf folgt, ist eher sekundär. Es geht um ein verändertes Bewusstsein. Die Weihe ist letztendlich eine Symbolhandlung, mit der ihr eigenen Wirksamkeit.

Frage: Die Witwenweihe an sich ist aber nicht neu…..

Dannecker: Das stimmt. Wir haben Zeugnisse für den Witwenstand schon in der Traditio Apostolica. Das ist ein Dokument, das das christliche Leben vermutlich in Rom um das Jahr 215 beschreibt. Darin wird zum Beispiel von einer Bischofs-, Priester- und Diakonenweihe erzählt und die Lektoren werden erwähnt. Es werden alle weiteren Stände aufgezählt, aus denen sich die Gemeinde in Rom zusammensetzt. Und dazu gehört eben auch der Witwenstand. Und das verwundert nicht, weil er damals eine soziale Absicherung darstellte: Heute braucht keine Frau, die ihren Mann verliert, fürchten, dass sie als Witwe in Hunger und Elend endet. Damals war das anders. Die Kirche wollte ganz bewusst auf diese Frauen achten. Neben dieser sozialen Dimension hatten gerade in den ersten Jahrhunderten die Witwen eigene Aufgaben und kümmerten sich zum Beispiel um die Katechese, Sakramentenvorbereitung sowie die Sorge für die Armen. Mit der wachsenden Professionalisierung der Diakone und Priester übernahmen diese immer mehr die früheren Aufgaben der Witwen. Bis ins Mittelalter herrschte dann eine eher spirituelle Ausrichtung des Witwenstandes, bis er mehr und mehr in Vergessenheit geriet.

Frage: Gibt es in Deutschland denn einen Bedarf an solchen Witwenweihen?

Dannecker: Es ist sicher nicht zu erwarten, dass Massen von verwitweten Frauen kommen und die Weihe anstreben. Aber alle, die ich kenne und die in diese Richtung streben, bringen sich stark ins kirchliche Leben ein. Für sie ist eine solche Weihe ein schöner Ausdruck, das Engagement einerseits anzuerkennen und anderseits auch ihrem spirituellen Bedürfnis nachzukommen. Ein Ehepaar sucht sich schließlich nicht aus, wer als erster stirbt. Wenn eine Frau sagt, ich möchte diesen Schicksalsschlag vor Gott annehmen und als Berufung verstehen, dann halte ich das für eine sehr gute und fördernswerte Sache. Auf dem Weg dahin braucht es eine intensive spirituelle Begleitung.

Bild: ©KNA

Eliane Gruben hat am 13. Februar 2016 in der Herz-Jesu-Kirche in Mayen die Witwenweihe erhalten.

Frage: Welche Voraussetzungen muss man für eine solche Weihe mitbringen?

Dannecker: Natürlich gibt es da erst mal die formalen Kriterien: Die Kandidatin muss Frau und verwitwet sein, sich in der Kirche einbringen und auch ein ausgeprägtes spirituelles Leben führen. Bei den Fragen an die Frauen innerhalb des Ritus wird deutlich, worum es inhaltlich geht. So werden sie unter anderem nach der Bereitschaft gefragt, nicht mehr zu heiraten, im Geist der Armut und des Gehorsam vor dem Bischof zu leben und in beständigem Gebet zu sein. Die Frauen müssen ihre Verwitwung also bewusst als Zeichen zur Nachfolge Christi und des Rufes Gottes annehmen und die Evangelischen Räte leben.

Frage: Was würden Sie Leuten entgegnen, die glauben, eine solche Weihe brauche es in der Kirche nicht?

Dannecker: Ich würde von Witwen erzählen, die in dieser Weihe die Erfüllung in ihrem Leben gefunden haben. Die im Einsatz für die Kirche, Jesus Christus und den Glauben den Verlust des geliebten Ehemannes überwunden haben. Wenn man solche Witwen kennt, dann spricht das schon sehr dafür. Natürlich ging es jahrhundertelang ohne eine solche Weihe und ohne die Ausprägung des kirchlichen Witwenstandes. Wir haben in den letzten Jahrzehnten durch viele neue Entwicklungen, sie sich oft an der frühen Kirche inspiriert haben, eine gewaltige Bereicherung des kirchlichen Lebens erfahren. Der Katechumenat ist erneuert worden, es gib wieder Lektoren, Kommunionhelfer und weitere Dienste, die Jungfrauenweihe ist wieder aufgelebt, ebenso wie der ständige Diakonat. Die Erneuerung der Witwenweihe steht in dieser Reihe und darf als Zeichen für das Wirken des Geistes Gottes in unserer Zeit verstanden werden.

Zur Person

Klaus Peter Dannecker (*1963) ist Professor für Liturgie an der Universität Trier und beim Deutschen Liturgischen Institut für die Liturgiewissenschaftliche Abteilung zuständig. Derzeit befindet er sich in einem Sabbat-Jahr.
Von Gabriele Höfling