Was darf Satire?
Herr Plaßmann, beim Anschlag auf "Charlie Hebdo" starben auch vier Karikaturisten. Was haben Sie im ersten Moment gedacht?
Thomas Plaßmann: Zunächst war ich nur ungläubig und dann, als sich das Ganze konkretisierte, zutiefst erschüttert und geschockt. Nicht zuletzt auch deshalb, weil ich einen der getöteten Kollegen, Tignous, vor einiger Zeit auf einer Veranstaltung in Afrika kennen gelernt habe. Man muss das erst einmal einordnen können, wenn die Kollegen, die das gleiche gemacht haben, was ich hier tagtäglich auch tue, plötzlich deswegen hingerichtet werden. Das ist ganz furchtbar.
Frage: In Ihren Karikaturen setzen Sie sich häufig mit den Religionen auseinander. Haben Sie Angst, dass Ihnen Ähnliches passieren könnte?
Plaßmann: Natürlich setzt sich die Angst ein wenig im Hinterkopf fest, auch wenn ich die Bedrohung nicht unmittelbar spüre. Denn nicht jedes Thema ist so dramatisch behaftet, dass ich davon ausgehen muss, hier steht gleich jemand mit einer Kalaschnikow in meinem Arbeitszimmer. Dennoch besteht die Gefahr, dass man eine Schere im Kopf entwickelt und etwas vorsichtiger wird in dem, was man tut. Dagegen muss man ankämpfen. Obwohl ich selbst noch nie direkt bedroht worden bin, muss ich es mit einkalkulieren. So furchtbar das auch ist.
Frage: Die Medien werten den Anschlag auf "Charlie Hebdo" als einen Anschlag auf die Pressefreiheit. Wie beurteilen Sie das?
Plaßmann: Das sehe ich natürlich genauso. Satire ist eine Form, sich mit gesellschaftlichen, politischen oder eben religiösen Themen auseinander zu setzen. Wenn dann so massiv und in einer Art und Weise, wie es dramatischer nicht hätte sein können, von den Verblendeten reagiert wird, dann ist das nicht nur ein Anschlag auf "Charlie Hebdo", sondern auch einer auf die zivilisierte Welt und deren Vorstellung von Freiheit.
„Auch im Streit um die Mohammed-Karikatur 2005 konnte man beobachten, welche Kraft dieses journalistische Werkzeug noch hat.“
Frage: Sie thematisieren den Islam ebenso wie das Christentum. Wie fallen die Reaktionen aus?
Plaßmann: Generell lässt sich sagen, dass bei vielen Leuten das große Missverständnis vorliegt, ich würde mich über irgendetwas lustig machen oder das hohe Gut der Religion in den Schmutz ziehen. Doch darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, Missstände mit Hilfe der Karikatur aufzuzeigen und ihnen entgegenzuarbeiten. Das muss möglich sein und ist auch nötig. Damit will ich aber niemanden persönlich verunglimpfen. Und es ist auch egal, ob es um wirtschaftliche, um politische oder religiöse Fragen geht. Auf der Ebene des Zeichenstifts spielt das keine Rolle. Wenn einmal Kritik kommt, dann eher seitens der Christen. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass das Thema Kirche eines meiner Schwerpunkte ist.
Frage: Sie wollen mit Ihren Karikaturen auf Missstände hinweisen. Was erhoffen Sie sich noch von Ihrer Arbeit?
Plaßmann: Ich bin nicht so kühn zu glauben, dass ich mit dem, was ich tue, die Welt verändern kann. Aber es ist ein kleiner Beitrag dazu, dass Menschen über einige Themen nachdenken, die es sich meiner Meinung nach anzugehen lohnt. Mehr muss es ja auch nicht sein. Und wie man sieht, sind Karikaturen nicht ganz wirkungslos – auch wenn es diesmal in Paris ganz tragische Auswirkungen hatte. Auch im Streit um die Mohammed-Karikatur 2005 konnte man beobachten, welche Kraft dieses journalistische Werkzeug noch hat. Und dass es die Menschen noch immer bewegt.
Frage: Sie selbst sind Katholik. Was bedeutet Ihnen Ihr Glaube und wie passt er zu Ihren Zeichnungen?
Plaßmann: Zunächst einmal würde ich beides voneinander trennen. Ja, ich bin gläubiger Katholik. Ich habe mir aber irgendwann die Frage gestellt, ob Kirche und Religion nicht auch Themenfelder sind, die es sich lohnt, in Form von Karikaturen zu bearbeiten. Darüber habe ich wirklich lange nachgedacht – und es dann einfach gemacht. Im Lauf der Zeit habe ich festgestellt, dass es ein ganz hervorragendes Mittel ist, und ich erfahre auch sehr viel positive Resonanz. Ich denke, man spürt auch, dass ich meine Zeichnungen aus einem Engagement für die Sache heraus zu Papier bringe. Es geht mir nicht darum, den Glauben oder die Kirche niederzumachen, sondern darum zu zeigen, dass man unter einer Situation leidet, die man ändern oder besser machen könnte.
Frage: Was sagen denn Gemeindemitglieder oder der Pfarrer zu Ihrer Arbeit?
Plaßmann: Die können schon damit umgehen. Und es ist ja auch nicht so, dass jede Karikatur gleich heftig an irgendwelchen Glaubenssätzen rüttelt. Oft behandeln sie auch Gemeindethemen oder zeigen, wie Gremienarbeit funktioniert. Ich ernte zwar auch hin und wieder Widerspruch, aber das ist auch okay. Es wäre eher komisch, wenn alle immer sagten: "Herr Plaßmann, das haben Sie aber nett gemacht." Man kann über die Karikaturen aber wunderbar ins Gespräch kommen.
Frage: Wie sollten Menschen Ihrer Meinung nach mit Satire umgehen, wenn es um ihren Glauben geht?
Plaßmann: Natürlich ist die Religion für viele Leute ein Thema, das sie persönlich sehr bewegt und das ihnen so heilig ist, dass sie nicht bereit sind, Satire zuzulassen. Und es ist auch noch einmal die Frage, wie ein Karikaturist an das Thema herangeht. Auch ich finde nicht alles gut, was man so sieht. Bei "Charlie Hebdo" gibt es Dinge, von denen ich sagen würde, das würde ich so nicht machen. Ich kann verstehen, dass sich Leute bei einigen Karikaturen verletzt fühlen. Es ist ihr gutes Recht zu sagen: "Das geht mir zu weit." Sie dürfen dann aufstehen und heftig dagegen protestieren. Aber das Attentat von Paris ist keine Form des Protests. So etwas darf niemals die Lösung sein.
Frage: Wo sehen Sie die Grenze von Satire?
Plaßmann: Das ist sehr schwer festzumachen. Jeder sieht für sich selbst eine andere Grenze. Es wird immer der berühmte Satz von Kurt Tucholsky genannt: "Satire darf alles." Den würde ich im Kern unterstreichen. Es muss prinzipiell irgendwo einen Ort geben, wo wirklich alles gesagt werden kann. Doch nach dem Aussprechen des Satzes sollte man sich doch selbst hinterfragen. Braucht man einen Ort für Ehrverletzungen, für persönliche Beleidigungen, für Rechtsradikalismus oder Islamismus? Dann wird man schnell ein wenig vorsichtiger. Als Zeichner muss ich meine Grenzen selbst setzen: Ich selbst will niemanden persönlich verletzen, niemanden in seiner Würde herabsetzen und Rücksicht nehmen auf die Gefühle und Vorstellungen anderer. Es muss aber auch immer in Relation zu dem Inhalt dessen stehen, was man da bearbeitet. Wenn man da mal kräftiger zur Sache gehen muss, bin ich grundsätzlich bereit, das auch zu tun.