Gudrun Sailer über das Papst-Schreiben "Amoris laetitia"

Vom Planeten Wirklichkeit

Veröffentlicht am 11.04.2016 um 00:01 Uhr – Von Gudrun Sailer – Lesedauer: 
Standpunkt

Bonn ‐ Gudrun Sailer über das Papst-Schreiben "Amoris laetitia"

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Mit Ehe und Familie hat sich Franziskus schlicht das zentrale Thema des Menschen vorgeknöpft, um in seinem dritten großen Dokument - nach Evangelii Gaudium und Laudato si - nicht bloß mächtige katholische Horizonterweiterungen vorzunehmen, sondern erstmals wirklich etwas festzuschreiben. In "Amoris laetitia" schreibt ein alter Papst über Leib, Sex, Kinder, Zukunft, Schuld, Vergebung, Gewissen, Freiheit, Gott und die Liebe. Er schreibt einer alten Kirche eine neue Haltung ein.

Haltung: Wer das reine Gesetz als Rückgrat der Kirche ansieht, muss zwangsläufig fürchten, sie könne zu Boden gehen mit Amoris laetitia. Franziskus aber riskiert diese Gewichtsverlagerung vom Rückgrat des Gesetzes zum Fleisch der Barmherzigkeit. Er zeichnet das Bild einer Kirche, die Verknöcherungen ablegt und beweglich zugeht auf jeden, der Fehler gemacht hat, also alle. Das ist die Haltung von Jesus. Merkwürdig, wie entstellt sie manchmal schien im Auftreten einer Kirche, die abkanzelte, statt aufzurichten, die Gesetze einschärfte, sich aber schwertat, bei Verstößen mildernde Umstände anzurechnen, obwohl das Gesetz genau das verlangt.

Festgeschrieben hat Franziskus (selbstverständlich), dass die katholische Ehe unauflöslich bleibt, dass es aber unterschiedliche Lebenslagen gibt, die unterschiedliche, auch vorläufige Einstufungen zulassen. Genau genommen hat er festgeschrieben, dass sich manches eben nicht festschreiben lässt. Insofern löst dieses Dokument nichts, weil Lösungen im Verweis auf alte Gesetze oder in neuen Lehrsätzen heute nicht zu finden sind. Mehr noch, dieses Dokument macht vieles komplizierter, weil es jedem von uns, die wir Kirche sind, genaues Hinsehen auf den anderen, Geduld und Zurückhaltung bei Urteilen auferlegt.

Genau deshalb ist es ein Markstein. Ein zutiefst heutiges Dokument der Kirche, das nur ein zutiefst heutiger Papst schreiben konnte, einer, der vom Planeten Wirklichkeit kommt, der 45 Jahre Priester und 20 Jahre Bischof am anderen Ende der Welt war, ehe er Bischof von Rom wurde.

"Amoris laetitia" enttäuscht Eiferer hüben wie drüben, erlöst das Gros der übrigen gemeinen Sünder und zeichnet der Kirche einen anstrengenden Weg vor.

Die Autorin

Gudrun Sailer ist Journalistin in Rom und Redakteurin bei "Radio Vatikan".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.
Von Gudrun Sailer