Schriftstellerin eröffnet Poetikdozentur zu Literatur und Religion

Dante, die Bibel und sündige Päpste

Veröffentlicht am 22.04.2016 um 11:33 Uhr – Von Robert Mitscha-Eibl (KNA) – Lesedauer: 
Literatur

Wien ‐ Die "Göttliche Kommödie" stand im Zentrum des Vorlesung von Sibylle Lewitscharoff zum Start der Poetikdozentur an der Uni Wien. Das Projekt befasst sich mit dem Verhältnis von Literatur und Religion.

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Dantes von Zahlensymbolik durchdrungenes, auf die Dreieinigkeit Gottes verweisendes Werk zeige einen Weg, der spiralenförmig aus dem "Sadomaso-Bereich" der Hölle über die Läuterung im Fegefeuer in einen beseligenden Himmel führe, so Lewitscharoff. In dieser Tour d'Horizon kämen griechische Helden, biblische Gestalten, aber auch der als nestorianischer Ketzer missverstandene Prophet Mohammed oder sündige Päpste vor. Es sei erstaunlich, dass der florentinische Dichter damit beim damaligen Klerus "durchgekommen" sei.

In ihrem Vortrag blickte die 1954 in Stuttgart geborene Autorin auf die breite Rezeptionsgeschichte der "Divina Commedia" mit mehr als 50 Vollübersetzungen ins Deutsche zurück. Ihre Rezeption im 20. Jahrhundert sei kennzeichnend für die "akute Skepsis der Moderne". Samuel Beckett (1906-1989) etwa - ein großer Verehrer Dantes - habe die Figur des antriebslosen Belacqua aus der "Commedia" in eigenen Werken mehrfach aufgegriffen. Der italienische Schriftsteller Primo Levi (1919-1987) habe sich in seinem autobiografischen Bericht über seine Internierung im Konzentrationslager Auschwitz auf die Qualtexte aus Dantes "Inferno" bezogen. Wie er hätten sich viele Häftlinge im Elend der Konzentrationslager der Verse Dantes erinnert.

Studenten sollen die Bibel lesen

Lewitscharoff kritisierte, dass heute auf universitärem Boden kulturprägende Texte wie jene der Bibel oder Homers weitgehend unbekannt seien. Früher seien sogar ausgewiesene Religionsskeptiker wie etwa Bertold Brecht Bibelkenner gewesen. Lewitscharoff empfahl vor allem ihren jungen Zuhörern an der Wiener Uni: "Lesen Sie die Bibel!"

Linktipp: Mit Dante in die Hölle

Der Situation der Seelen nach dem Tod hat Italiens Dichterfürst Dante Alighieri seine "Göttliche Komödie" gewidmet. Sie ist das berühmteste Werk des Dichters, der vor 750 Jahren geboren wurde.

Der für die Konzeption der Poetikdozentur verantwortliche Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück wies darauf hin, dass es auf universitärem Boden bislang keine Dozentur gebe, die sich dem Verhältnis von Literatur und Religion widme. Mögliche Verbindungslinien zwischen beidem zu ziehen, sei ein Anliegen hinter dem Projekt. Diese Akzentsetzung sei keineswegs selbstverständlich, so Tück. Jahrhundertelang hätten Kirchenführer und Theologen Dichtung als lügnerische Erfindung abgetan, die von der Wahrheit der Offenbarung ablenke.

Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts habe die katholische Kirche literarische Werke auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Dies sei heute vorbei. In anderen Kulturkreisen gebe es allerdings zuletzt wieder vermehrt "lebensgefährliche Zensur- und Sanktionsmechanismen", so Tück unter Verweis auf die islamischen Richtsprüche gegen Salman Rushdies "Satanische Verse". Freilich seien auch umgekehrt, von Seiten der Literatur, "die Zugbrücken zur Religion immer wieder hochgeklappt" worden.

Lewitscharoff liest aus ihrem neuem Roman

Lewitscharoff schloss ihre Vorlesung mit einer Passage aus ihrem Roman "Das Pfingstwunder", das im September erscheinen soll. Darin geht es um einen Dante-Kongress, der bei den Maltesern auf dem aventinischen Hügel in Rom stattfindet. Dante-Forscher aus verschiedenen Ländern und Erdteilen gehen die "Commedia" durch, bis sich - just in dem Moment, in dem die Glocken des Petersdoms das Pfingstfest einläuten - ein neues pfingstliches Sprachwunder ereignet und die vordergründige Realität durchbricht.

Die Wirklichkeit jenseits der Realität sei in Lewitscharoffs Werken ein wiederkehrendes Motiv, sagte Tück. In einem auf der theologischen Feuilleton-Website www.feinschwarz.net veröffentlichten Gespräch stimmt die Schriftstellerin der Deutung des Theologen zu, sie widersetze sich "dem Diktat des literarischen Realismus". Lewitscharoff dazu: "Ja! Wir alle leben in zwei Welten, der alltagstauglich realistischen und einer träumerisch anderen, die mit religiöser Inbrunst aufgeladen ist." Letztere sei "Futter für die Literatur".

Von Robert Mitscha-Eibl (KNA)