Das sagt die Sinus-Studie über die Glaubenswelt von Teenagern

Wie religiös ticken Jugendliche?

Veröffentlicht am 27.04.2016 um 14:12 Uhr – Von Agathe Lukassek – Lesedauer: 
Jugendliche liegen vor dem Kloster Marienthal in Ostritz im Gras.
Bild: © KNA
Jugend-Studie

Berlin/Bonn ‐ Jugendliche erwarten von ihrer Religion Sinn und Orientierung. Individualität kommt dabei gar nicht gut an, hat die Sinus-Jugendstudie herausgefunden. Denn am Ende wollen fast alle in den Mainstream.

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Eines vorneweg: Es handelt sich nicht um eine Studie mit Prozentzahlen und Balken. Denn das Sinus-Institut setzt bei seiner qualitativen Studie in langen Einzelinterviews mit 72 Jugendlichen auf inhaltliche Tiefe statt auf Quantität. Die 14- bis 17-Jährigen gaben ausführlich Auskunft über ihre Einstellungen zu Themen wie Liebe, Glaube, Umweltschutz oder Flucht und Asyl. Bei den Befragten achteten die Forscher auf eine gleichmäßige Verteilung nach Geschlecht, Wohnort, Schulform und Migrationserfahrungen. Die Ergebnisse gelten mit Blick auf die Psychologie als repräsentativ.

Beim Thema Religion stellen die Forscher zunächst eine Pluralisierung fest: das Spektrum an christlichen Gemeinschaften wird größer, der Islam findet in Europa zunehmend Verbreitung, ebenso Formen der Spiritualität, die nicht unmittelbar an Religionen gebunden sind. Religiöse Toleranz sowie die Ablehnung von Gewalt eint die Jugendlichen aus allen Bildungsschichten. Besonders zu spüren sei die Distanzierung vom radikalen Islamismus bei Muslimen, sagt Studienautor Marc Calmbach. Von den 72 Befragten waren 14 Muslime.

„Die Kirche kommt aber dann ins Spiel, wenn in ihr glaubwürdige Menschen anzutreffen sind, die als Glaubenszeugen fungieren.“

—  Zitat: Wolfgang Ehrenlechner, Bundesvorsitzender des BDKJ

Obwohl Jugendliche keine homogene Gruppe darstellen, eine sie laut den Ergebnissen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Auch Migranten fühlten sich in Deutschland mehrheitlich zu Hause, sagte Jugendforscher Klaus Hurrelmann der dpa. Damit habe die Bundesrepublik trotz kleiner radikal-islamistischer Strömungen eine deutlich bessere Ausgangssituation als zum Beispiel Frankreich. "Der Mainstream hat auch Vorteile. Diese Jugend will sich nicht auseinanderdividieren lassen", so der Sozialwissenschaftler, der das Vorwort der Studie schrieb.

Christliche Jugendliche skeptischer als muslimische

Die Sinus-Jugendstudie erkennt bei den Befragten zudem ein Bedürfnis nach gemeinsamen Werten, das "auf eine gewachsene Sehnsucht nach Aufgehoben- und Akzeptiertsein, Geborgenheit, Halt sowie Orientierung" hindeute. Das könne auch die Religion bieten. Nicht nur Jugendliche, die sich einer Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen, betonten "die sinnstiftende und orientierende Funktion von Religion", erklärt Peter Martin Thomas von der Sinus-Akademie Stuttgart. Doch vor allem christliche Jugendliche seien skeptisch gegenüber Religionsgemeinschaften als Institutionen – anders als etwa muslimische Gleichaltrige.

"Die Kirche kommt aber dann ins Spiel, wenn in ihr glaubwürdige Menschen anzutreffen sind, die als Glaubenszeugen fungieren", sagt der Bundesvorsitzende des BDKJ, Wolfgang Ehrenlechner, im Interview der KNA. Das Wirken von Papst Franziskus etwa könne einen Effekt auf Jugendliche haben. Grundsätzlich bezeichneten sich die meisten Jugendlichen nämlich als glaubensinteressiert und sinnsuchend, sagt Bianka Mohr von der afj. "Die Bindung an eine Glaubensgemeinschaft steht für sie allerdings im Hintergrund, vielmehr ist es wichtig, dass Religion Menschen verbindet und Sinn stiftet", so Mohr.

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Jugendliche für Glauben zu begeistern, ist eine Herausforderung. So vielfältig wie ihre Lebensweisen, sind auch die Arten, ihnen zu begegnen. Diese spezielle Seelsorge soll Jugendliche Gott spüren lassen.

Eine deutliche Abgrenzung scheint aber genauso wenig im Trend zu sein: Ehrenlechner und Mohr betonen, dass die Möglichkeit zum Kirchenaustritt von den Jugendlichen nicht in Betracht gezogen werde. Wenn die Kirche die Sinnfragen der Jugendlichen angemessen aufnimmt, könne sie "für junge Menschen eine respektierte Größe sein, der sie bewusst angehören wollen", sagt Ehrenlechner.

Gebete in Krisensituationen

Die religiöse Praxis ist laut Studie nicht im Alltag der meisten Jugendlichen verankert, sondern überwiegend anlassbezogen. Sie findet zu spezifischen Zeiten im Jahresverlauf statt, etwa zu Weihnachten oder zum islamischen Zuckerfest, oder auch in bestimmten Lebensabschnitten, wie etwa bei der Vorbereitung auf Konfirmation oder Firmung. Die häufigste religiöse Praxis ist das Gebet – besonders vor Herausforderungen und in Krisensituationen. Gottesdienste und ritualisiertes Gebet werden von den Jugendlichen eher als Bestandteil des Familienlebens wahrgenommen, weniger als eine bewusste Teilnahme am religiösen Leben.

Die Ergebnisse der Erhebung müssten in das Engagement der Jugendverbände und Kirchen einfließen, sind sich die Beteiligten einig. "Die Studie zeigt, wo wir eben noch nicht so gut sind", gibt Ehrenlechner zu. Für die weitere Arbeit seines Verbands bedeute das, mehr personale Angebote für die Jugendlichen zu schaffen, sie in ihrer Lebenswelt abzuholen und zu begleiten. Vor allem bei den Jugendlichen, die pessimistisch in die Zukunft blickten, sei das besonders wichtig. (mit Material von KNA und dpa)

Einige Schlagworte der Sinus-Studie zu Religion

  • Die individuelle Auffassung von Glaube und Religion ist nicht nur durch die Lebenswelt, sondern auch durch die Glaubensrichtung bestimmt
  • Christliche Jugendliche unterscheiden deutlicher zwischen persönlichem Glauben und Religionszugehörigkeit als muslimische
  • Für das Selbstverständnis muslimischer Jugendlicher spielt Religion oft eine größere Rolle als bei christlichen Jugendlichen
  • Das Interesse an Sinnfragen ist unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft
  • Für Jugendliche ohne Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft sind Religionen oft interessant und exotisch-reizvoll
  • Jugendliche ohne Religionszugehörigkeit können sich kaum vorstellen, Mitglied einer Religionsgemeinschaft zu werden
  • Die Mitgliedschaft in einer Glaubensgemeinschaft begründet sich in der Regel aus der familiären Tradition
  • Auch bei geringer Religionsverbundenheit zeigen die christlichen Jugendlichen keine ausgeprägte Bereitschaft zum Kirchenaustritt
  • Religiöse Praxis ist oft nicht im Alltag verankert und auf bestimmte Anlässe beschränkt
Von Agathe Lukassek