Neuer Kampf um das Christliche
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Letztes Jahr, im Sommer und Herbst 2015, wußte jedermann in Deutschland, was christlich ist und wofür Christen in unserer Gesellschaft stehen. Diese hohe Identifizierbarkeit war eine sehr erfreuliche Ausnahmesituation. Doch mit Tempo entwickelt sich die Gesellschaft weiter. Aktuell nicht zum Guten, so meine ich.
Die hohe semantische Eindeutigkeit von Christlich und Christen im Willkommensherbst 2015 rührte her von dem in Westdeutschland flächendeckenden Engagement von Christen für die vielen ankommenden Flüchtlinge in Not. Spitzenmänner wie der EKD-Ratsvorsitzende Bischof Heinrich Bedford Strohm und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, sorgten wie Plisch und Plum für eindrückliche TV-Bilder in den Nachrichtensendungen, als sie in Amtskleidung öffentlich bei den Willkommens-Aktionen auf dem Münchner Hauptbahnhof mithalfen.
Und vor Ort handelten die Christen entsprechend. Die Pfarreien aktivierten ihre Netzwerke. Sie öffneten sich für fremde Mitakteure. Die Christen ließen es im Westen in der Regel nicht zu, dass um Flüchtlingsunterkünfte ein soziales Vakuum entstand, ein Leerraum und somit eine Bühne, auf der Rechtsradikale ihre Hass- und Gewaltaktionen inszenieren konnten.
Und heute? Die Deutungshoheit und die Klarheit im Blick auf das Christliche – sind sie dahin? Ein semantischer Kampf ist entbrannt. Führende Akteure der rechtspopulistischen AfD kapern die Begriffe Christlich und Christentum. Sie deuten die frisch eroberten Worte nach ihrer rechten Ideologie um. Also machen die selbsternannten Abendlandverteidiger aus dem internationalistischen, antirassistischen Christentum der Nächstenliebe eine Art anti-islamische, weiße Stammesreligion.
Wer stellt sich dagegen? Protestanten wie der EKD-Ratsvorsitzende, die Luther-Botschafterin Margot Käßmann sowie die in diesem religiös-ideologischen Streit hellwachen Erzbischöfe in den Metropolen München, Köln, Hamburg und Berlin. Je provinzieller eine Kirchenregion, desto mehr scheint man die neue Auseinandersetzung zu verschlafen, man hat ihre Brisanz vielleicht noch nicht mitgekriegt.
Ein Zeichen setzt der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und der bevorstehende 100. Katholikentag in Leipzig. Die Rechtspopulisten bleiben ausgegrenzt von den Podien, man wird ihnen keine Bühne bieten, sich nicht instrumentalisieren lassen – doch in den Diskussionen können sie auftreten. Das ist gut so. Klare Kante, aber keine Gesprächsverweigerung.
Jedoch: Im beschaulichen Bendorf bei Koblenz sitzt bereits ein AfD-Politiker im Pfarrgemeinderat von St. Medard. Die deutschen Katholiken bilden - wie die Protestanten - keine geschlossene Front gegen Rechtsaußen. Es bleibt offen, ob es ihnen gelingt, die rechte Instrumentalisierung von Christlich und Christentum auf Dauer überzeugend und mit Erfolg abzuwehren.