Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?
Versteckt im Seitengang befindet sich ein Raum, der für Religions- und Glaubensgemeinschaften reserviert ist. Mittwochsmorgens gehört er den Katholiken. Ein Priester der EU-Bischofskommission COMECE oder der Jesuiten in Brüssel feiert eine Messe mit Mitarbeitern und EU-Parlamentariern.
Es ist ein schlichter Raum: 40 Stühle, kein Fenster, nur künstliches Licht, keine Orgel. Der Priester hat für die Messe ein Kreuz und zwei Marienbilder aufgehängt und den Tisch vorne als Altar hergerichtet. Etwa 25 Menschen sind gekommen. Leises Gemurmel auf Kroatisch und Polnisch, bevor es losgeht. Dann wird gesungen und gebetet. Jeder in seiner Sprache. Eine Abgeordnete liest ein Gebet auf Slowakisch vor, ein anderer Mitarbeiter hält die Lesung auf Französisch. In der Predigt geht es um die verbindende Wirkung von Religion über Parteigrenzen hinweg. Nach 30 Minuten spricht der Priester den Segen und die Abgeordneten schwirren aus.
62,2 Prozent der Parlamentarierer sind "religiöse Personen"
62,2 Prozent der 751 Parlamentarier beschreiben sich laut der Studie "Religion im Europäische Parlament" aus dem Jahr 2015 als religiöse Personen. Das EU-Parlament spiegele die Vielfalt der Haltungen und Ansichten in Europa wider, schreibt der Autor der Studie und Brüsseler Sozialwissenschaftler Francois Foret. Es gebe eine Vielzahl von religiösen Initiativen im Parlament - manche mit offiziellem Charakter, andere eher informell.
Ein paar Stunden später trifft man viele der Abgeordneten, die morgens in der Messe waren, erneut gemeinsam an - diesmal in einem großen Saal. Die Arbeitsgruppe zu interkulturellen Beziehungen und interreligiösem Dialog der Europäischen Volkspartei hat zu einer Konferenz eingeladen. Es geht um die Verfolgung von aramäischen Christen im Nahen Osten. Eingeladen ist unter anderem der syrisch-orthodoxe Erzbischof Nicodemus Daoud Sharaf und ein Priester, der Christen in der syrischen Stadt Homs vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) versteckt hat. Regelmäßig treffen sich etwa 30 Abgeordnete sowie Parlamentsmitarbeiter und diskutieren mit Gästen Themen, die mit Religion verknüpft sind - auch hier spielt Nationalität keine Rolle. Religion verbindet.
Erst vor kurzem feierte die Arbeitsgruppe einen Erfolg. Im Mai ernannte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Slowaken Jan Figel zum Sonderbeauftragten für die Förderung von Religions- und Weltanschauungsfreiheit außerhalb der EU. Das Europaparlament, besonders die EVP-Arbeitsgruppe zu interreligiösen Fragen, hatte diesen Posten in einer Resolution im Februar gefordert. Wiederholt brachte die Gruppe in den vergangenen Monaten Resolutionen zur Christenverfolgung ins Plenum ein. Am Anfang sei es nicht immer leicht gewesen, die Unterstützung der verschiedenen Fraktionen zu erhalten, erklärt der ungarische Ko-Vorsitzende der Gruppe, György Hölvenyi. Doch nun werde es besser.
Gahler: Viele Entscheidungen haben eine religiöse Dimension
Natürlich gibt es nicht nur katholische Initiativen, sondern auch protestantische, ökumenische und muslimische. Eine davon ist ein ökumenisches Frühstück immer mittwochs vor Beginn des Plenums in Straßburg. Der EU-Abgeordnete Michael Gahler (CDU) aus Frankfurt ist ein regelmäßiger Teilnehmer. "Parlamentarier und Mitarbeiter treffen sich, um Bibeltexte zu diskutieren und Fürbitten zu sprechen", sagt er. Mit dabei seien sowohl Rumänen als auch Griechen, Deutsche und Briten verschiedener Parteien. Einmal im Jahr gebe es nicht nur ein Frühstück, sondern eine mehrtägige Veranstaltung mit hochrangigen Rednern. Dazu kommen hin und wieder Abendveranstaltungen der Evangelischen Kirche Deutschlands.
Für Gahler spielt der Glaube auch in der täglichen Politik eine Rolle. Viele Entscheidungen hätten eine religiöse Dimension, etwa Gesetzesvorschläge zur Stammzellforschung oder zu Abtreibungen. Auch Themen wie Entwicklungszusammenarbeit oder die Verletzung von Menschenrechten seien häufig mit dem Thema Religion verknüpft.