Kollateralschaden kurialer Dekadenz
Der Liebling des superreichen Florentiners: Hanno, italienisch Annone, Hauselefant. Vom Papst verhätschelt, ging das Tier vor 500 Jahren, am 8. Juni 1516, dennoch erbärmlich zugrunde. Rom und die Elefanten - seit Hannibals Marsch über die Alpen ein überaus spannendes Kapitel. Diesmal aber handelte es sich nicht um eine Invasion aus Nordafrika. Hanno war Inder, ein Geschenk des portugiesischen Königs Manuel zur Papstwahl. Großzügig zwar, aber auch durchaus eigennützig - nannte sich Manuel doch "Herr der Eroberungen, der Seefahrt und des Handels mit Indien, Äthiopien, Arabien und Persien". Und der, der auf dem diplomatischen Parkett zwischen den kolonialen Interessensphären Spaniens und Portugals zu entscheiden hatte, war seit dem Vertrag von Tordesillas 1494 nun einmal - der Papst.
Hannos Seereise nach Rom und die Landgänge, gemeinsam mit 42 weiteren Exoten, sind von Zeitzeugen in buntesten Farben ausgemalt worden. Dächer seien unter den Schaulustigen zusammengebrochen, und für die letzten 120 Kilometer habe der Papst sogar seine Schweizergarde als Geleitschutz entsandt, weil der Menschenauflauf zu groß wurde. Schon die erste Begegnung am 19. März 1514 versetzte Leo in Entzücken: Der prunkvoll aufgeputzte Hanno kniete artig vor ihm nieder und trompetete - dann nahm er einen tiefen Schluck aus dem Eimer und besprengte die päpstliche Entourage mit Wasser.
Ein Bild für die Götter
Es muss ein Bild für die Götter gewesen sein: der pummelige Papst und sein weißer Elefant in den vatikanischen Gärten. Verbürgt ist, dass der so weichliche wie genussfreudige, aber neugierige Renaissance-Mensch Leo durchaus Zeit mit seinem liebsten Spielzeug verbrachte. Nach dem soldatisch strengen Julius II. (1503-1513) war mit Leo X. die Lebensfreude in die Stadt zurückgekehrt. Doch so prachtvoll die Prozessionen auf Roms Straßen mit dem Zierelefanten sein konnten, so unfallgefährdet waren sie auch.
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Ein Aal verstopft den Brunnen auf dem Petersplatz, ein Elefant geht vor dem Papst auf die Knie: Von großen und kleinen Tieren im Vatikan erzählt Ulrich Nersinger im Buch "Die Arche Petri". Auch über das Gemüt eines Papstes ist dort Erstaunliches zu erfahren.Erst machte sich Leo im September 1514 einen derben Spaß daraus, seinen Hofnarren Baraballo, der sich selbst für genial hielt, aber offenbar immer am Rande des Wahnsinns taumelte, als vermeintlichen Dichterfürsten auf Hannos Rücken defilieren zu lassen. Das Tier ging durch, und der Künstler landete im Tiber. Ähnliches passierte im März 1515 beim Hochzeitsmarsch von Leos Bruder Giuliano de Medici. Im Tumult verlor Hanno erst die Nerven, dann den Halt. 13 Menschen starben.
Atemnot und Verstopfung
Und auch mit ihm selbst nahm es kein gutes Ende. Wohl noch keine sechs Jahre alt, plagten Hanno im Frühjahr 1516 Atemnot und Verstopfung. War es Stress oder falsche Ernährung? Hingen die beiden Krankheitsbilder ursächlich zusammen oder nicht? Die Leibärzte des Papstes bekamen die Sache nicht in den Griff - und verschrieben eine elefantöse Dosis Abführmittel, nach den Gepflogenheiten der Zeit mit ordentlich Gold versetzt. Die teure Arznei führte zu nichts außer zum Tode am 8. Juni 1516. Hanno wurde ein Kollateralschaden kurialer Dekadenz - und nach seinem Tod nahm die Reformation ihren Lauf.
Bei Grabungen auf dem Gelände der Vatikanischen Bibliothek förderten Archäologen 1962 riesige Zähne und sonstige tierische Überreste zutage. Sie hielten sie zunächst für Versteinerungen. Genauere Untersuchungen ergaben jedoch, dass der Fund von einem jungen Elefanten stammte. Mehr Überreste von Hanno gibt es künstlerischer und literarischer Art: Skizzen, Fresken, Karikaturen, Spottverse, ja sogar ein vermeintliches Testament Hannos, das mit den Missständen an der Kurie ins Gericht geht. Selbst Martin Luther spottet in einer seiner Schriften über die Elefantenliebe jenes Papstes, der für seine Verschwendungssucht die Ablasspraxis der Kirche in neue Höhen trieb. Der Epitaph, den Leo seinem Lieblingstier im Porzellanladen des Vatikan anfertigen ließ, ist leider nicht erhalten.