Dominikanerschwester Ursula Hertewich über das heutige Sonntagsevangelium

"Hatte Jesus da schlechte Laune?"

Veröffentlicht am 26.06.2016 um 00:01 Uhr – Von Sr. M. Ursula Hertewich OP – Lesedauer: 
Ausgelegt!

Bonn ‐ Die neue Serie auf katholisch.de: "Ausgelegt!" Ab heute geben Ordensleute und Priester jeden Sonntag einen kurzen Impuls zum jeweiligen Evangeliumstext. Den Anfang macht Sr. Ursula Hertewich.

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Evangelium nach Lukas (Lk 9, 51-62)

Als die Zeit herankam, in der er in den Himmel aufgenommen werden sollte, entschloss sich Jesus, nach Jerusalem zu gehen. Und er schickte Boten vor sich her. Diese kamen in ein samaritisches Dorf und wollten eine Unterkunft für ihn besorgen. Aber man nahm ihn nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem war. Als die Jünger Jakobus und Johannes das sahen, sagten sie: Herr, sollen wir befehlen, dass Feuer vom Himmel fällt und sie vernichtet? Da wandte er sich um und wies sie zurecht. Und sie gingen zusammen in ein anderes Dorf.

Als sie auf ihrem Weg weiterzogen, redete ein Mann Jesus an und sagte: Ich will dir folgen, wohin du auch gehst. Jesus antwortete ihm: Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann. Zu einem anderen sagte er: Folge mir nach! Der erwiderte: Lass mich zuerst heimgehen und meinen Vater begraben. Jesus sagte zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes! Wieder ein anderer sagte: Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich von meiner Familie Abschied nehmen. Jesus erwiderte ihm: Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.

Impuls von Schwester Ursula Hertewich

"Hatte Jesus da schlechte Laune?" könnte man sich beim unbefangenen Lesen des heutigen Sonntagsevangeliums fragen. In der Tat begegnet er uns in den Evangelien nur selten so schroff, so abweisend und unnahbar wie in dieser Weggeschichte. Anscheinend war es nicht sein Tag – erst erfährt er Zurückweisung bei seiner Herbergssuche, und danach lässt er selbst gleich mehrmals hintereinander Menschen regelrecht abblitzen. Wohlgemerkt: nicht irgendwelche Menschen, sondern solche, die durchaus ein Interesse an seiner Person haben und die er selbst in seine Nachfolge berufen will.

Auf den ersten Blick wenig einladend, dieses Evangelium, doch beim genaueren Hinschauen frage ich mich, ob diese unbequemen Worte nicht in Wahrheit eine einzige große Einladung sind: Eine Einladung zur Entschiedenheit. Um in Freiheit eine Entscheidung treffen zu können, muss ich mir zunächst einmal klar werden, wofür bzw. wogegen ich mich entscheide. Für mich ist es immer wieder ergreifend, wie sehr Jesus während seines öffentlichen Wirkens darauf bedacht ist, die Menschen mit seiner ganzen Wahrheit in Berührung zu bringen. Niemals unterliegt er der Versuchung, mit billigen Mitteln möglichst viele auf seine Seite zu ziehen und einen großen Anhängerkreis um sich zu scharen.

Am Anfang wird kurz erwähnt, dass Jesus sich auf dem Weg nach Jerusalem befindet, dem Ort seiner Verherrlichung. Er selbst weiß, was ihn dort erwartet, er weiß, dass er dort verraten und verspottet wird, und – seines letzten Hemdes beraubt – schließlich am Kreuz endet. Jesus kann diesen Weg der äußersten Liebe und Hingabe nur deshalb in großer Freiheit beschreiten, weil er sich im Tiefsten in der Hand des Vaters geborgen weiß, weil er weiß, dass in Wahrheit nichts und niemand die Macht hat, ihm das Leben zu rauben.

In seinem Lied "Zum Meer" fragt Herbert Grönemeyer:

wer hat dich geplant, gewollt,
dich bestellt und abgeholt
wer hat sein herz an dich verlor'n
warum bist du gebor'n
wer hat dich gebor'n
wer hat sich nach dir gesehnt
wer hat dich an sich gelehnt,
dich, wie du bist, akzeptiert,
dass du dein heimweh verlierst

Christus nachfolgen zu wollen, ohne den wenigstens zu erahnen, der hinter all diesen Fragen steht, wäre ein geradezu lächerliches Unterfangen. Mit seinen deutlichen Worten lädt er uns ein, uns ganz loszulassen auf den tragenden Grund unseres Lebens hin. Erst, wenn ich mich von dieser göttlichen Wirklichkeit ergreifen und durchdringen lasse, ist es mir überhaupt möglich, die "Hand an den Pflug" zu legen, ohne nochmals ängstlich zurückzuschauen, nachzufolgen, ohne vorher nochmal schnell meine Schäfchen ins Trockene zu bringen. Erst wenn ich begreife, dass Gott selbst schon längst für mich gesorgt hat, wird sich das Bedürfnis, Feuer auf die Erde fallen zu lassen, um meine Widersacher zu vernichten, von selbst erledigen.

"Ein bisschen nachfolgen" funktioniert nicht – genauso wie ich auch nicht "ein bisschen heiraten" kann. Die Liebe will uns immer ganz, ohne Halbheiten und offene Hintertürchen, um sich uns so auch ganz schenken zu können. Ich bin davon überzeugt, dass die Einladung Jesu zu einem entschiedenen Leben zugleich die Einladung zur tiefsten Freude ist, die wir auf Erden empfinden können – die Freude, zu wissen wo wir hingehören.

Die Autorin

Sr. Ursula Hertewich OP ist promovierte Apothekerin und arbeitet in der Seelsorge des Gästehauses des Dominikanerinnen-Klosters Arenberg.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreibt ein Pool aus Ordensleuten und Priestern für uns.
Von Sr. M. Ursula Hertewich OP