Das EU-Referendum in Großbritannien macht vielen Katholiken Sorgen

"Niemals die religiösen Wurzeln vergessen"

Veröffentlicht am 18.06.2016 um 00:01 Uhr – Von Johanna Heckeley – Lesedauer: 
Brexit

London/Bonn ‐ Die Briten werden am 23. Juni wählen können: Bleibt Großbritannien in der EU? Die Umfragen sehen derzeit die Austrittsbefürworter vorne. Ein Brexit hätte für Ausländer noch nicht absehbare Folgen. Was sagen Katholiken, deutsche wie britische, vor Ort dazu? Katholisch.de hat sich umgehört.

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Dennoch werden die Briten am 23. Juni wählen können. Die Umfragen sehen derzeit die vorne, die den Austritt befürworten. Das hätte für Ausländer noch nicht absehbare Folgen. Was genau sagen Katholiken, deutsche wie britische, vor Ort dazu?

"Der Brexit ist Thema in der Gemeinde", meint Stephan Arnold. Er ist Diakon in der Deutschsprachigen Katholischen Gemeinde St. Bonifatius London. Dorthin kommen einerseits Expats, die von ihren deutschen Unternehmen für eine begrenzte Zeit nach London entsandt wurden. Andererseits sind auch Deutsche Teil der Gemeinde, die dauerhaft in England leben. "Die Expats betrifft das Thema Brexit nicht so stark, die gehen ja irgendwann wieder zurück", erklärt Arnold. "Anders ist das für die Deutschen, die hier leben. Die fragen sich, unter welchen Bedingungen sie bleiben können, wenn Großbritannien tatsächlich aus der EU austritt." Viele von ihnen seien aus wirtschaftlichen Gründen gekommen, etwa, weil es ihre Arbeitsbranche in Deutschland nicht gebe oder sie in England bessere Chancen hätten. Die Diskussion darüber komme in der Gemeinde immer wieder auf. "Sie fragen sich, ob sie eine Aufenthaltsgenehmigung bekämen, ob sie die Britische Staatsbürgerschaft annehmen müssten, um hier zu bleiben, oder ob dies alles nicht geht und sie zurück nach Deutschland müssen."

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Arnolds hat vom NHS, dem britischen Gesundheitssystem, und von vielen Schulen gehört, dass sie genau das fürchten: "Dort arbeiten viele Ausländer. Beim NHS wurde geschätzt, dass alles zusammenbricht, wenn sie gehen müssen." In der Deutschen Gemeinde könne daher keiner so richtig verstehen, dass die Briten laut Umfragen mehrheitlich für einen Austritt sind. "Aus der deutschen Perspektive gibt es vom Verstand her dafür keine guten Argumente. Aber vielleicht treten sie ja vom Herz her aus."

Die EU habe wohl nicht genügend an das Herz appelliert. "Die stehen nur für krumme Gurken." Die kleinen Ziele, die die EU gemeinsam erreicht habe, wie ein friedvolles Zusammenleben und die Reisefreiheit, das zähle in der Debatte wenig. "Ich höre zwei Argumente bei den Briten heraus. Erstens: Wir wollen wieder selbst entscheiden, nicht Brüssel soll bestimmen. Und zweitens: Wir wollen nicht, dass so viele Ausländer kommen." Er fürchtet daher, dass die Abstimmung tatsächlich für den Austritt ausfällt. In die Debatte mit Briten mischt er sich aber nicht ein. "Man muss als Ausländer vorsichtig sein, wenn man mit Briten darüber redet, denn das ist sozusagen ihr Thema."

Die Befürworter des Ausstiegs sind lauter

"Mein – sehr persönlicher – Eindruck ist, dass die Befürworter des Ausstiegs viel lauter sind", meint Maria Lohre. Sie leitet gemeinsam mit anderen Frauen das Lioba House des Säkularinstituts St. Bonifatius, einer missionsbenediktinischen Weltgemeinschaft. Im Lioba House in London können junge Frauen kurz- oder längerfristig unterkommen, zum Beispiel für Urlaub oder Praktikum . "Man bekommt eine viel größere Anzahl von Flugblättern der Gegner in den Briefkasten geworfen. Die sind sehr plakativ." Lohre lebt seit fast vier Jahren in London und war zuvor schon mehrere Male durch ihre Gemeinschaft in England. "Ich persönlich bin leidenschaftliche Europäerin und sehr gerne hier."

Abstimm-Zettel für das EU-Referendum
Bild: ©lazyllama/Fotolia.com

Am 23. Juni können die Briten über den Verbleib in der Europäischen Union abstimmen. Was die Folgen eines Austrittes wären, ist noch nicht abzusehen.

Doch die derzeitige politische Stimmung versetze sie in Sorge: Viele Briten in ihrem Umfeld hätten den Eindruck, mit einem Austritt aus der Europäischen Union könnten einige Probleme gelöst werden. "Ein Gärtner hat mir letztens erzählt, dass er findet, dass ihm und seiner Branche zu viel Bürokratie von Brüssel aufoktroyiert wird." Andere wollten für den Austritt aus wirtschaftlichem Interesse stimmen, "wegen der hohen Arbeitslosigkeit etwa oder einem geringen Verdienst." Aber auch die Einwanderung, besonders die von Muslimen, mache den Briten Angst. "Und gerade diese Ängste werden in den Kampagnen noch geschürt." So herrsche bei vielen die Meinung, dass die EU nur Probleme mache und man in einem unabhängigen Großbritannien besser dran sei.

Nicht die religiösen Wurzeln Europas vergessen

Das ist der falsche Ansatz, meint Maria Lohre: "Wir sind in erster Linie eine Wertegemeinschaft. Wir müssen bedenken, was unsere Gründerväter mit der Europäischen Union im Sinn hatten!" Dazu habe gehört, nach dem Chaos der zwei Weltkriege, Frieden zu schaffen, "ein ureigenes christliches Bedürfnis". Dass jetzt viele Briten den Populisten glaubten und sich gegen Europa wendeten, sorge auch ihre Gäste im Lioba House, mehrheitlich junge deutsche Frauen. "Sie fürchten, dass die Briten für den Austritt stimmen könnten. Sie fragen sich, was dann danach kommt." Sie hofften, dass die EU-Gegner bei der Abstimmung nicht in der Mehrheit sind. "Das nehme ich auch mit in mein Gebet."

Linktipp: Schwierige Existenz

Katholik in England - das ist über Jahrhunderte eine schwierige Existenz gewesen, die sich letztlich erst unter der jahrzehntelangen Regentschaft von Königin Elizabeth II. zum Besseren wendete. Die "Papisten" waren schon seit der Reformation auf der Insel nicht mehr gelitten.

Die Schottische Bischofskonferenz sieht die Abstimmung als eine "gänzlich zivile Angelegenheit" und möchte keine Abstimmungsempfehlung aussprechen. Der Fokus müsse beim Referendum jedoch auf dem Menschen liegen, betont Brian McGee, Bischof von Argyll and the Isles an der Westküste Schottlands: "Wir müssen ein Europa errichten, 'das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Werte'", zitiert er aus der Ansprache von Papst Franziskus bei dessen Besuch des Europaparlaments im November 2014.

"Wir sollten niemals die tiefgreifenden, religiösen Wurzeln der Europäischen Nationen vergessen und dass Europa eine 2.000-jährige christliche Kultur hat, die den Kontinent geprägt hat." Mit Blick auf die Zukunft sei das zudem eine dynamische spirituelle, moralische und intellektuelle Quelle. "Das Referendum ist eine Chance, die Werte zu reflektieren, die wir als Nation schätzen." Jeder, der abstimme, müsse sich also fragen, wie seine Wahl im Licht des Evangeliums am besten dem Wohl der Gesellschaft dienen könne.

Von Johanna Heckeley