"Wir fordern den Erhalt unseres Erbes"
Frage: Herr Bischof, Papst Franziskus reist Ende Juni nach Armenien. Was erhofft sich das armenische Volk von dem Besuch?
Arnaoutian: Franziskus ist ein Papst, der für die Randständigen, die Vernachlässigten und die Vergessenen einsteht. Das ist eine Ermutigung, eine Art, den Armeniern zu sagen: Die Kirche ist an eurer Seite, setzt euren Weg fort und seid den Traditionen eurer Vorfahren treu, den armenischen und den christlichen.
Frage: Die Welt tut sich immer noch schwer, den armenischen Genozid anzuerkennen. Kann der Papstbesuch daran etwas ändern?
Arnaoutian: Der Papst hat 2015, 100 Jahre nach dem Genozid an den Armeniern, eine Gedenkmesse im Petersdom gefeiert. In seiner Ansprache hatte er den Mut, von Genozid zu sprechen. Mit diesem einen Wort hat Papst Franziskus das Herz der Armenier auf der ganzen Welt gewonnen. Wir hoffen, dass diese Reise schlafende Gewissen aufweckt und die ganze Welt ermutigt, diesen ersten Genozid der Geschichte als solchen anzuerkennen.
Danach gab es zahlreiche weitere Völkermorde in der ganzen Welt - den Holocaust an den Juden, Ruanda ... Wenn die Weltgemeinschaft sich dieser Problematik bewusst gewesen wäre, wären diese Genozide nicht geschehen. Wir erwarten das Verantwortungsbewusstsein der internationalen Gemeinschaft, die Ungerechtigkeit anzuerkennen und dem armenischen Volk und der armenischen Kirche Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Wir fordern für die Armenier die Pflicht zum und das Recht auf Gedenken. Wir fordern die Einhaltung der Menschenrechte und den Erhalt unseres Erbes.
Frage: Armenische Christen sind heute in alle Welt zerstreut. Gefährdet das die armenische Identität?
Arnaoutian: Ja und nein. Die Armenier sind stark in ihrer Kultur und Tradition verhaftet. Aber es gibt die Gefahr der Assimilation. Diese Gefahr besteht in Armenien und im Nahen Osten weniger. Das Risiko besteht vor allem in Europa und Amerika. Die dritte und vierte Generation beginnt, Armenien zu vergessen. Gleichzeitig gibt es gegenwärtig ein Erwachen in der armenischen Diaspora.
Frage: Aber der Abwanderungstrend junger Christen hält an.
Arnaoutian: Für Syrien können wir von einer anhaltenden Auswanderungswelle sprechen. Der Krieg geht ins sechste Jahr. Die Situation ist dramatisch: Gewalt, Arbeitslosigkeit und die schlechte Sicherheitslage machen den Alltag sehr schwierig. Wir ermutigen sie nicht zum Weggang, aber wir müssen ihnen die Freiheit lassen. Auch wenn es unser Land ist und wir Hirten davon überzeugt sind, dass wir bleiben müssen. Gleichzeitig erleben wir eine Zuwanderung. Viele Menschen haben Damaskus verlassen, dafür sind Menschen aus allen Landesteilen nach Damaskus gekommen, weil es hier ruhiger ist als in anderen Landesteilen. Die Zahl der Familien ist annähernd gleich geblieben.
Frage: Gibt es Hoffnung auf baldigen Frieden?
Arnaoutian: Ob baldig, das weiß ich nicht. Aber es gibt Zeichen der Hoffnung. Die Situation hat sich etwas verbessert, mit Höhen und Tiefen. Die Lage in Syrien ist derart komplex, es ist eine internationale Krise mit vielen Mächten, in der Syrien zur Geisel geworden ist. Aber Syrien leistet Widerstand.
Frage: Wie lautet Ihr Appell an die Welt?
Arnaoutian: Was derzeit von außen kommt, sind Nothilfen. Was Syrien aber wirklich braucht, ist eine Radikallösung. Syrien braucht zuallererst Frieden. Unser Appell an die Welt lautet: Stoppt die Dschihadisten, die aus aller Welt nach Syrien gekommen sind - allen voran muss die Türkei ihre Einreise stoppen. Stoppt den Krieg und die Gewalt. Hört auf damit, uns Terroristen zu schicken.