Kontrovers diskutiert
Denn mit der grundsätzlichen Entscheidung für eine Restaurierung ist es im Ernstfall nicht getan. Im Gegenteil: Oft fangen die Probleme dann erst an. Welchen Zustand in der oft langen Geschichte eines Instrumentes legt man einer Restaurierung zugrunde? Welche Quellen und Beweise gibt es für einen Zustand? Und vor allem: Was will man mit einer Restaurierung erreichen?
Im Fall der Orgel kommt ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt hinzu: die Praxistauglichkeit. Seit Jahrhunderten dienen Orgeln in Gemeinden als Stütze des Gemeindegesanges und zur geistlichen Erbauung in Liturgie wie Konzert. Hier gilt es einen Kompromiss zu finden zwischen der rein musealen Bewahrung eines mehr oder weniger genau erforschten Zustandes und einem praxistauglichen Instrument, das seiner Gemeinde dienen kann. Da tun sich zwischen Denkmalpflege und Orgelsachverständigen auf der einen sowie Kirchenmusikern und Orgelbauern auf der anderen Seite schon mal Gräben auf. Den einen geht die Restaurierung unter Umständen nicht weit genug, die anderen wollen ein zuverlässig funktionierendes Instrument. Kontroverse Debatten sind die Folge, wie zuletzt auf einer Tagung im Marienwallfahrtsort Kevelaer zu erleben war.
"Warum lechzen wir nach unvollkommenen Instrumenten?"
Hinzu kommt die Tatsache, dass viele Orgelbauer heutzutage nicht nur alte Orgeln wiederherstellen, sondern auch neue Instrumente bauen können, die mehr oder weniger exakte Kopien historischer Vorbilder sind. Doch stellt sich auch hier die Frage nach dem Sinn. "Warum lechzen wir nach unvollkommenen Instrumenten und kniffeligen Fingersätzen? Nur um der Ursprünglichkeit auf die Spur zu kommen?" Matthias Schneider, Kirchenmusik-Professor an der Greifswalder Universität und Präsident der Gesellschaft der Orgelfreunde (GdO) stellt diese provokante Frage und zieht als Antwort einen Vergleich heran: "Ich will nicht so spielen wie Bach oder Buxtehude, ich will wissen, wie sie musikalisch gesprochen haben, ich will ihre musikalische Sprache lernen."
Experten sind sich sicher: Das geht nur in einer wechselseitigen Beziehung von Orgelbau und Orgelspiel. Einer dieser Experten ist Paul Peeters, Forscher am GOArt, dem Organ Art Center im schwedischen Göteborg. Für ihn sind die vielfältigen stilistischen Möglichkeiten im Hinblick auf Orgelbau und Orgelspiel faszinierend, aber auch ein Luxusproblem: "Wollen wir zu viel? Müssen wir wirklich alles stilgetreu spielen können?" Vor einigen Jahrzehnten noch hat man diese Frage eindeutig beantwortet und viele alte Orgel abgerissen, nur um sogenannte Universalorgeln zu bauen. Darauf sollte sich Musik aller Epochen spielen lassen.
Heutzutage schlägt das Pendel eher in die andere Richtung aus. "Bei der Restaurierung von alten Orgeln gab es einen Paradigmenwechsel von bedenkenloser Erneuerung zu gewissenhafter Bewahrung", so Wolfgang Rehn von der Schweizer Orgelbaufirma Kuhn. Und auch bei Neubauten wird die stilistische Bandbreite immer größer. Da werden für jeden Stil spezielle Orgeln gebaut. "Wenn wir die Musik aus einer Zeit verstehen wollen, müssen wir wissen, wie die Musiker sie gespielt haben", begründet der britische Orgelbauer John Pike Mander diesen Trend. Der Glaube, bei der Suche nach der historischen Wahrheit alles richtig zu machen, sei jedoch eine Illusion: "Wir müssen immer akzeptieren, dass wir nicht alles wissen und auch Fehler machen." Sein Kollege Rehn drückt es ähnlich aus: "Rekonstruktionen sind immer auch die Interpretation eines Stils."
Letztendlich geht es nur um die Musik
Letztendlich geht es sowieso immer nur um das eine: "Einfach nur Musik machen", wie Bernhard Haas, Professor für Orgel an der Hochschule für Musik und Theater in München, es ausdrückt. Haas bezieht sich hier durchaus auf berühmte Vorbilder, etwa Felix Mendelssohn-Bartholdy oder Charles-Marie Widor. Die haben ihre Musik ganz pragmatisch auch auf Instrumenten gespielt, die hierfür nicht unbedingt geeignet waren. Authentizität ist eben auch nicht alles.
Entscheidend ist letztendlich, wie ein Musiker die Anweisungen des Komponisten umsetzt und wie es klingt. Oder, wie Thomas Jann, Vorsitzender des Bundes Deutscher Orgelbaumeister (BDO), es in Bezug auf den Orgelbau ausdrückt: "Das Unperfekte ist kein erstrebenswerter Zustand, aber muss denn alles perfekt sein?"